Kritik an Alleingang der Verkehrsbetriebe

ÖV-Ticket-Apps sorgen für Verwirrung statt Klarheit

Welche App ist für welche Strecke geeignet? Diese Frage kann schon mal für Verwirrung sorgen.

(Bild: Montage les)

Eine neue App soll Luzerner öV-Nutzern den Ticketkauf vereinfachen. «Schon wieder», seufzen Kunden und Pro Bahn sorgt sich wegen Überforderung. zentralplus erklärt, welche App was kann. Und konfrontiert die Verkehrsbetriebe mit dem Vorwurf, dass alle ihr eigenes Süppchen kochen.

Schon wieder: Im September wurde eine neue Ticket-App lanciert. Die App «lezzgo» der BLS kann in den Tarifverbunden Passepartout (Luzern, Ob- und Nidwalden) und Libero (Raum Bern) für den Ticketkauf benutzt werden. Ganz einfach kann man sich via Smartphone ein- und auschecken, die App berechnet den optimalen Preis und via Kreditkarte wird das Ganze verrechnet (zentralplus berichtete). Im Video wird die Funktionsweise erklärt:

 

Schon wieder, ist auch angebracht, da es mittlerweile zig solcher Ticket-Apps gibt:

  • SBB Mobile: Der Klassiker der SBB
  • PostAuto: Der Klassiker des Postautos
  • öV-Ticket: Die App des Tarifverbundes passepartout
  • fairtiq: Die App der Verkehrsbetriebe Luzern VBL
  • lezzgo: Die neue App der BLS

Smartphone ersetzt Kontakt am Schalter

Früher war die öV-Welt noch einfach: Ab an den Billettschalter, Anliegen schildern, bezahlen und losgehen konnte die Fahrt mit Bus, Zug oder Schiff. Wer auf das lange Anstehen zwischen ungeduldigen Rentnern und schreienden Kindern verzichten wollte, begab sich zum Ticketautomaten.

Dann kam das Smartphone. Und mit ihm eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, ein Ticket zu kaufen. «Das ist ein sehr willkommener Service», sagt Karin Blättler von Pro Bahn, die sich für die Kundenbedürfnisse der öV-Nutzer einsetzt. «Nur gibt es mittlerweile eine solche Vielzahl an Apps, dass der öV-Nutzer gar nicht mehr weiss, welche er überhaupt nutzen soll.»

So kann es auf einem Smartphone aussehen, wenn man sich mit allen Apps ausrüstet:

 

«Auch wir stellen fest, dass es immer mehr Ticket-Apps gibt», sagt Christoph Zurflüh, Sprecher beim Verkehrsverbund Luzern. «Der Markt ist sehr innovativ, die ganze Mobilitätsbranche ist aufgrund der Digitalisierung ständig in Bewegung.»

Nicht jede App kann jedes Ticket kaufen

Und wie soll der öV-Kunde in diesem Wirrwarr von Apps noch den Überblick behalten? «Jede App hat Vor- und Nachteile und verfolgt andere Ansätze», weiss Zurflüh. «Die App der SBB beispielsweise bietet eine grosse Auswahl.» Das breite Sortiment führe allerdings dazu, dass der Kunde manchmal zahlreiche Klicks brauche, bis er sein Ticket habe.

«Mit der öV-Ticket-App der VBL geht es um einiges schneller. Dafür bietet es nicht die ganze Palette an Tickets an», erklärt Zurflüh. Es sei nur für Strecken im Verbund geeignet. Fernverkehrstickets, etwa ins Tessin, kann man mit dieser App nicht lösen.

«Die Zeche zahlt der öV-Nutzer mit höheren Ticketpreisen.»

Karin Blättler, Pro Bahn

Die beiden Apps «fairtiq» der VBL und «lezzgo» der BLS verfolgen einen ganz neuen Ansatz. «Man löst nicht ein Ticket im klassischen Sinn, sondern meldet seinem Smartphone einfach den Ein- und Ausstieg», so Zurflüh. Die App würde dann automatisch den «best price» berechnen und via Kreditkarte abrechnen. «Dies erhöht die Flexibilität für den Kunden. Entscheidet er sich spontan, eine Strecke zu Fuss zurückzulegen, so fallen keine Kosten an.» Stelle die App zudem am Ende des Tages fest, dass eine Tageskarte den Kunden günstiger gekommen wäre, berechnet sie automatisch diesen Preis. Aber auch diese Apps sind nur in Teilen der Schweiz gültig. Ein Fernverkehrsticket kann ebenfalls nicht gekauft werden.

zentralplus hat vor Kurzem die App «fairtiq» der Luzerner Verkehrsbetriebe VBL getestet (hier geht’s zum Artikel). Diese App funktioniert mit allen Transportunternehmen in den Tarifverbunden Passepartout (Region Luzern), Libero (Region Bern-Biel-Solothurn), Frimobil (Region Fribourg), STI (Region Thun) und Engadin Mobil (Region Oberengadin). Das zentralplus-Fazit lautete: Die App ist bubieinfach.

«fairtiq» funktioniert in den Tarifverbünden der Regionen Luzern, Bern, Solothurn, Thun, Freiburg und im Engadin (Bild links). «lezzgo» in den Tarifverbünden Passepartout und Libero.

«fairtiq» funktioniert in den Tarifverbunden der Regionen Luzern, Bern, Solothurn, Thun, Freiburg und im Engadin (Bild links); «lezzgo» in den Tarifverbunden Passepartout und Libero.

 

Pro Bahn kritisieren hohe Investitionen

Karin Blättler von Pro Bahn kritisiert: «Jedes Transportunternehmen kocht sein eigenes Süppchen.» Und die Kosten für die Entwicklung einer solchen App seien immens. Bei «fairtiq» bezifferte VBL-Sprecher Christian Bertschi diese auf eine Millionen Franken. «Die Zeche zahlt der öV-Nutzer mit höheren Ticketpreisen», so Blättler. Sie kann dem Wettbewerb um die besten Apps nichts abgewinnen.

«Entscheidend ist, dass die Lösungen aus der Branche selber kommen. Somit bleibt das Geld innerhalb des öffentlichen Verkehrs.»

Hugo Wyler, Mediensprecher BLS

«Die Transportunternehmen haben ihre Betriebssysteme – inklusive der mobilen Versionen», erklärt Mediensprecher Hugo Wyler von der BLS mit Sitz in Bern. Es sei ein unternehmerischer Entscheid der BLS gewesen, eine eigene App auf den Markt zu bringen. Man könne damit wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen gewinnen. Zudem entspreche das einem Kundenwunsch. Zur Kritik von Pro Bahn entgegnet Wyler: «Entscheidend ist, dass die Lösungen aus der Branche selber kommen. Somit bleibt das Geld innerhalb des öffentlichen Verkehrs.» Kundenschädigender wäre aus seiner Sicht eine Industrielösung. Also, dass eine Software-Firma eine App auf den Markt bringt und so beabsichtigt, Gelder aus dem öffentlichen Verkehr zu saugen.

«Für den Kunden das Beste wäre eine einzige nationale Lösung von hoher Qualität.»

Karin Blättler, Pro Bahn

Auch die Schweizerischen Bundesbahnen sehen Vorteile darin, wenn mehrere Apps gleichzeitig getestet würden. «Die SBB begrüssen den aktuell stattfindenden Wettbewerb der Ideen sehr und verfolgen die verschiedenen Apps und Pilotprojekte im E-Ticketing mit grossem Interesse», schreibt Mediensprecher Oli Dischoe auf Anfrage.

Nationale Lösung wird angestrebt

«Für den Kunden das Beste wäre eine einzige nationale Lösung von hoher Qualität», sagt Blättler von Pro Bahn. Interessanterweise stösst sie mit diesem Anliegen bei den verschiedenen Verkehrsbetrieben auf offene Ohren. Hugo Wyler sagt: «Die BLS hat gemeinsam mit der Postauto AG und der SBB diesen Herbst eine Absichtserklärung unterzeichnet, die genau darauf hinarbeitet.» Mit dem SwissPass habe die SBB einen einheitlichen Kontrollstandard eingeführt. Mit der App «lezzgo» starte nun ein nächster Pilotversuch.

«Seitens SBB sind wir überzeugt, dass sich längerfristig nur ein national umsetzbares Gesamtkonzept durchsetzen wird», sagt auch SBB-Sprecher Dischoe. Aus diesem Grund würden die SBB eine federführende Rolle in den laufenden kurz-, mittel und langfristigen Branchenprojekten einnehmen. «Ausserdem ist es die Absicht der gesamten öV-Branche, dass der SwissPass – ob als Karte oder dereinst auf einem mobilen Endgerät – eine zentrale Rolle spielen wird.»

Und auch Christoph Zurflüh vom Verkehrsverbund Luzern hat eine solche Vision. «Ein einfacher nationaler verbundübergreifender Standard wäre sicher das Kundenfreundlichste und würde auch die öffentlichen Mittel schonen. Es ist wichtig, dass alle Akteure auf dieses Ziel hinarbeiten.» Dazu würden gemäss Zurflüh die Transportunternehmen, die Verkehrs- und Tarifverbunde, aber auch das Bundesamt für Verkehr gehören.

Vergangene Woche äusserte sich Verkehrsministerin Doris Leuthard ebenfalls zum Thema. Auch sie favorisiert eine nationale Lösung:


 

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