Vorwurf: Mangelndes Verständnis für Baukultur

Oberster Heimatschützer spart nicht mit Kritik an Luzern

Es sei einfacher, den Wert des Luzerner Wasserturms zu vermitteln als jener von Gebäuden aus dem 20. Jahrhundert, sagt Adrian Schmid, Geschäftsführer der Schweizer Heimatschutzes.

(Bild: jal)

Nach zehn Jahren tritt der Luzerner Adrian Schmid nächsten Frühling als Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes zurück. Der 62-Jährige wirft Stadt und Kanton Luzern mangelnde Wertschätzung für Baukultur vor – und möchte sie gerne in eine Weiterbildung schicken.

Alte Gebäude beschäftigen Luzern aktuell stark: Denkmalschützer und Architekten wehren sich gegen geplante Abrisse, etwa beim Grenzhof-Schulhaus, beim CSS-Gewerbegebäude oder bei den Gundula-Villen. 

An vorderster Front für das baukulturelle Gedächtnis des Landes weibelt der Luzerner Adrian Schmid. Als Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes setzt er sich nicht nur für den Erhalt von wichtigen Bauten ein. Auch die Information der Bevölkerung ist dem 62-Jährigen wichtig, wie sie kürzlich in Form der Europäischen Denkmaltage, etwa im Aalto-Hochhaus, stattfand (zentralplus berichtete). Es ist eines der rund 90’000 Gebäude in der Schweiz, die unter Denkmalschutz stehen, das sind rund fünf Prozent aller Bauten. Im Frühling zieht Adrian Schmid, ehemaliger grüner Grossstadtrat, weiter (siehe Box).

Wer mit Adrian Schmid in den Gassen Luzerns unterwegs ist, absolviert ungefragt eine Stadtführung. Der Luzerner weiss über fast jedes Gebäude etwas zu berichten, seien es persönliche («Das war meine erste Wohnung, die kostete 90 Franken monatlich») oder historische Anekdoten («In diesem Haus war früher mal die Theologische Fakultät»).

zentralplus: Adrian Schmid, der Heimatschutz wird oft als Verhinderer und Baubremse betitelt. Sind Sie also der höchste Konservative der Schweiz?

Adrian Schmid: Das bewahrende Element war in den Jahrzehnten nach der Gründung des Heimatschutzes 1905 sicherlich prägend. In den 70er-Jahren kam der Fokus auf das qualitätsvolle Bauen, denn was wir heute bauen, wird morgen zur Heimat. In den letzten zehn Jahren hat sich unser Verein weiter geöffnet und ein progressives Verständnis von Heimatschutz entwickelt.

zentralplus: Was meinen Sie mit progressivem Verständnis?

Schmid: Die Vermittlungstätigkeit als dritte strategische Herausforderung. Ein Beispiel ist unsere Stiftung «Ferien im Denkmal». Indem wir bedrohte Baudenkmäler erwerben, restaurieren und sie als Ferienwohnungen vermieten – aktuell sind das 37 Objekte –, werden die Menschen für Baukultur und unsere eigene Geschichte sensibilisiert. Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Ich bin überzeugt, dass wir Fragen im Zusammenspiel von Heimat und Identität nicht einfach der SVP überlassen dürfen.

zentralplus: Oft sind es eher die Bürgerlichen, die den Denkmal- und Heimatschutz aushebeln möchten, beispielsweise der Zuger FDP-Ständerat Joachim Eder (zentralplus berichtete).

Schmid: Und das, obwohl der Schweizer Heimatschutz FDP-Wurzeln hat. Aber das sah man zum Beispiel auch bei der Zentral- und Hochschulbibliothek (ZHB) in Luzern, wo der bürgerlich dominierte Kantonsrat Ende 2012 den Abriss beschloss – und damit für die Zerstörung eines Baudenkmals votierte, während die Stimmenden in der Stadt Luzern sich deutlich für deren Erhalt aussprachen. Interessant ist, dass neu auch Bauten der 50er-, 70er-Jahre in der Bevölkerung Akzeptanz finden. Das zeigt, dass unsere Bemühungen zur Vermittlung der baukulturellen Werte fruchten.

«Wir mussten jeweils den Unterricht unterbrechen, wenn die Schweine gemetzget wurden.»

zentralplus: Trotzdem wird der Heimatschutz stärker als Akteur wahrgenommen, der auf rechtlichem Wege gegen Projekte vorgeht.

Schmid: Es braucht unterschiedliche Formen der Interventionen – und das bedeutet manchmal, auf die Hinterbeine zu stehen und den Rechtsweg zu beschreiten. Ich erhalte bei etlichen Gebäuden Reaktionen im Sinne von «Diese alte Hütte wollt ihr erhalten!». Das kann ich nachvollziehen. Es ist einfacher, den Wert von jahrhundertealten Bauten wie dem Luzerner Wasserturm zu vermitteln als den von Gebäuden aus dem 20. Jahrhundert. Doch in den nächsten Jahren wird sich der Fokus wandeln und man wird sich fragen, wieso je ein Politiker für den Abriss der ZHB stimmen konnte.

zentralplus: Genau das macht sich auch beim CSS-Gewerbegebäude im Tribschenquartier bemerkbar: einem Bau, der nicht als klassische Attraktion gilt und gemäss Heimatschützern trotzdem erhalten bleiben soll (zentralplus berichtete).

Schmid: Es gibt Objekte, die sind unbestritten in die Jahre gekommen. Ihr äusseres Bild, die Fassade wirkt schäbig, sodass man sagen könnte: Das ist ein Schandfleck. Auch beim Gewerbegebäude ist der architektonische Wert von aussen für den Laien nicht sofort erkennbar. Doch genau deshalb müssen wir ein Verständnis dafür schaffen, was die Qualität eines Baus ausmacht, aufzeigen, was zur Identität eines Stadtquartiers gehört.

Zur Person

Adrian Schmid ist als Geschäftsführer des Schweizer Heimatschutzes tätig – nächsten Frühling gibt er den Posten nach zehn Jahren ab. Der Stadtluzerner war zuvor auf Geschäftsleitungsebene beim Luzerner Mieterverband, dem Verkehrsclub der Schweiz VCS und der Wochenzeitung Woz tätig. Adrian Schmid war unter anderem langjähriger Präsident der Genossenschaftsbeiz Widder in Luzern.

Von 1983 bis 2000 wirkte er im städtischen Parlament, erst für die Progressiven Organisationen (Poch), danach für die Grünen. Er präsidierte den Grossen Stadtrat 1998/99. Politisch engagiert er sich noch immer: Schmid ist einer der Kräfte hinter den Luzerner Kulturlandinitiativen (zentralplus berichtete). 

In Zukunft widmet sich der 62-Jährige der Demokratie: Er ist Präsident der Swiss Democracy Foundation, die mit diversen Projekten die Bürgerbeteiligung, die Entwicklung der Demokratie und der Völkerverständigung weltweit fördert.

zentralplus: Nehmen wir das aktuelle Beispiel der Schulanlage Grenzhof. Wieso ist dieses mit Naphthalin verseuchte Gebäude konkret erhaltenswert?

Schmid: Es besitzt eine hohe architektonische Qualität. Es ist ein Zeitzeuge. Für viele mag das im ersten Moment nicht erkennbar sein. Im gängigen Verständnis wird ein Haus aus dem 18. Jahrhundert in der Luzerner Altstadt nicht infrage gestellt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es gibt in der Schweiz viele hässliche und billig erstellte Bauten aus den 70er-Jahren, die man abreissen kann – darunter aber auch solche von hoher Qualität wie den Grenzhof. Ich begrüsse es darum sehr, dass sich in Luzern mit der IG Baukultur nun ein neues Gremium von SIA, BSA, dem Heimatschutz und weiteren Kräften dafür einsetzt, die Menschen für diese Werte zu sensibilisieren. Dem Stadtrat von Luzern würde diesbezüglich eine baukulturelle Weiterbildung übrigens auch nicht schaden.

zentralplus: Erhaltenswert heisst also nicht zwangsläufig schön.

Schmid: Das Verständnis für Schönheit verändert und entwickelt sich. Was einmal als hässlich galt, erachtet man heute vielleicht als schön, weil es als Teil der städtischen Identität wahrgenommen wird. In den Nölliturm zum Beispiel hat man vor Jahrzehnten einen Tunnel für Autos und Zweiräder gebohrt – wollte man ihn heute zugunsten der Erweiterung des Strassenraums antasten, würde es einen Volksaufstand auslösen. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen das Verständnis gegenüber dem Wert der Bauten, die vielleicht später zu einem Baudenkmal wurden.

zentralplus: Dann wird irgendwann alles schützenswert?

Schmid: Nein! Die Welt und auch die Stadt Luzern verändern sich. So sind wir keineswegs der Meinung, dass man jedes Gebäude erhalten muss. Ein Beispiel ist der Kasernenplatz, der mit dem Bau der Nationalstrasse gravierend verändert wurde: Das ehemalige Waisenhaus wurde verschoben, um es zu erhalten, und wurde zum heutigen Naturmuseum, weil es eine hohe Qualität hatte – den Schlachthof und die Kaserne hingegen hat man abgerissen, weil ihre Nutzung an diesem Ort nicht mehr zulässig oder möglich war.

In der alten Kaserne besuchte ich das erste Jahr die Kantonsschule: Wir mussten jeweils den Unterricht unterbrechen, wenn die Schweine gemetzget wurden, weil die so geschrien haben, und wenn die Reuss hohes Wasser führte, stiegen die Ratten ins Schulzimmer (lacht). Im Ernst: Ein Objekt ist nicht per se denkmalgeschützt. Es gibt Bauten, die zwei oder drei Generationen brauchen, bis ihr hoher baukultureller Wert erkannt wird. Baudenkmäler sind wie ein guter Wein: Sie reifen und setzen dabei Patina an.

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«Es geht um Identität, um Sehnsucht»

zentralplus: Sie würden den Stadtrat gerne in eine baukulturelle Weiterbildung schicken, sagten Sie. Wie nehmen Sie die Luzerner Behörden wahr, was den Denkmalschutz betrifft?

Schmid: Die Stadt Luzern ist bei uns leider nicht Kandidat für den begehrten Wakkerpreis – obwohl ich das persönlich natürlich gerne hätte. Da sind im Moment noch zu wenig Verständnis und generelle Wertschätzung für Baukultur vorhanden, auch wenn ich anerkenne, dass zum Beispiel mit dem Felsberg- oder Dula-Schulhaus wichtige Objekte sorgfältig renoviert wurden. Wenn der Stadtrat jedoch den Entscheid betreffend Unterschutzstellung des Schulhauses Grenzhof anfechten will, irritiert mich das. Beim Kanton ist es aktuell noch schwieriger. Die bürgerliche Regierungsmehrheit hat die Ressourcen für Luzerner Denkmalpflege stark gekürzt.

zentralplus: Sie sprachen kürzlich in einer Publikation des Heimatschutzes von einer «Kaskade von Abbauplänen» – der Druck auf den Heimat- und Naturschutz sei enorm gestiegen. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Schmid: Der Haupttreiber ist die intensive Bautätigkeit. Das war schon bei der Industrialisierung der Schweiz vor rund 120 Jahren oder in Zeiten der Hochkonjunktur in den 70er-Jahren der Fall. Wir bekämpfen aktuell die Revision des eidgenössischen Natur- und Heimatschutzgesetzes. Sollte diese Abschwächung im Parlament mehrheitsfähig sein, ist ein Referendum sicher. Erstaunlicherweise sieht dies auch die Hälfte der Kantone so und lehnt die Revision ab. Gleichzeitig steigt der Widerstand der Bevölkerung: Denn wenn unglaublich viel und schnell gebaut wird, löst das auch Ängste aus. Es geht um die Identität des lieb gewordenen Quartiers, um die Sehnsucht nach den Kulturlandschaften, dem Unberührten, dem Schönen, dem Ruhigen. Das birgt Widerstandspotenzial – und das muss man ernst nehmen.

 

Der Luzerner Adrian Schmid ist seit zehn Jahren Geschäftsführer der Schweizer Heimatschutzes.

Der Luzerner Adrian Schmid kämpft gegen den Abbau beim Heimat- und Naturschutz.

(Bild: jal)

zentralplus: Wenn Sie dieses Idyll so beschreiben, kommt einem unweigerlich das Stichwort Ballenberg in den Sinn. Können Gemeinden und Wirtschaft so noch wachsen?

Schmid: Selbstverständlich, sowohl Gemeinden als auch die Wirtschaft wachsen ja auf Teufel komm raus. Das ist Realität. Doch eine Gesellschaft kann sich nicht nur auf das verdichtete Bauen konzentrieren: Es braucht Grünräume, Freiräume, soziale Begegnungsmöglichkeiten, kulturelle und Bildungsangebote, Einkaufsmöglichkeiten, damit sich die Menschen aller Altersstufen wohlfühlen können und ein Ort lebt. In Luzern gefällt mir zum Beispiel das Neubad sehr – es ist höchst erfreulich, was sich im ehemaligen Hallenbad entwickelt hat und welche Breite der Nutzung dort stattfindet. Politisch muss man sagen: Das ist keine Zwischennutzung, sondern das Neubad muss definitiv erhalten bleiben. Ansonsten geht etwas verloren, was im Südpol innert zehn Jahren nicht erreicht werden konnte. 

zentralplus: Nämlich?

Schmid: Ein Teil der städtischen Identität für mehrheitlich jüngere Menschen, wie es früher auch die Boa oder die Genossenschaftsbeiz Widder war. Orte des sozialen und kulturellen Austausches sind oft Räume mit baukultureller Qualität.

«Der gravierendste städtebauliche Fehler in der Stadt Luzern war, die Autobahn beim Kasernenplatz ins Zentrum zu führen.»

zentralplus: Sie wohnen selber in Luzern. Gibt es in der Stadt positive Beispiele von Neubauten?

Schmid: Ja, natürlich, zum Beispiel das KKL von Jean Nouvel. Auch wenn das alte Kunsthaus von Architekt Armin Meili grosse Qualität hatte, schuf der bedauernswerte Abbruch Platz für Neues. Der Neubau war insofern ein richtiger Entscheid. Das KKL wird in 15 Jahren eine Diskussion auslösen, ob es unter Denkmalschutz zu stellen sei.

zentralplus: Und die grösste Sünde?

Schmid: Der gravierendste städtebauliche Fehler war der Bau der Autobahn Hamburg–Rom ins Zentrum der Stadt Luzern. Der nächste Unsinn ist der geplante Autobahnzubringer Spange Nord.

zentralplus: Sprechen Sie nun als Heimatschützer oder als Grüner?

Schmid: Primär ist es eine verkehrspolitische Frage, und erst dann eine ökologische oder eine ästhetische. Durch den geplanten Autobahnzubringer sind keine denkmalgeschützten Objekte gefährdet. Aber das Stadtbild mit der Reuss wird noch stärker belastet. Aus Fehlern der Vergangenheit sollten wir lernen und sie nicht wiederholen.

Denkmalgeschützt oder nicht? Das ist die Frage bei der Grenzhof-Anlage in Littau.

Denkmalgeschützt oder nicht? Das ist die Frage bei der Grenzhof-Anlage in Littau.

(Bild: jal)

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