Luzern: Oberkirch eröffnet Asylzentrum

«Nur» 25 Asylbewerber – gewaltiges Interesse

Der Oberkircher Gemeindepräsident Ernst Roth informierte vor rund 200 Besuchern über die neue Asylunterkunft. (Bild: les)

Der anhaltende Flüchtlingsstrom bringt viele Gemeinden in eine neue Situation: Sie müssen sich konkret mit der Unterbringung von Asylbewerbern auseinandersetzen. zentralplus fühlte den Puls an einer Informationsveranstaltung in Oberkirch, entdeckte unterschiedliche Ansichten und erhielt wichtige Erkenntnisse.

Die Gemeinde Oberkirch eröffnet ein Asylzentrum. In der alten Dorfkäserei – der «Chäsi» – sollen ab Mitte April 25 Asylbewerber untergebracht werden. Am Mittwochabend hat die gleich neben Sursee gelegene Gemeinde am Sempachersee ihre rund 4300 Bewohner zu einem Infoanlass geladen. Und das Interesse war gross, über 200 Bürger folgten der Einladung.

Gemeindepräsident Ernst Roth zeigte sich erfreut über den grossen Aufmarsch. «Sie alle kennen die Flüchtlingssituation aus den Medien», sprach er zu den Anwesenden. Und er machte sogleich darauf aufmerksam, dass alles, was an diesem Abend präsentiert werde, eine Momentaufnahme sei. «Was vor einem Jahr galt, gilt heute nicht mehr. Und es ist die Aufgabe der Gemeinde und der Bevölkerung, sich diesen Herausforderungen anzunehmen.»

Einführung ins Thema Asyl für Neubetroffene

Die Entwicklungen im Asylbereich erklärte der Asylkoordinator des Kantons Luzern, Ruedi Fahrni. Er nannte Zahlen, welche dem Publikum immer wieder ein Raunen entlockten. «60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. 2015 gab es 40’000 Asylgesuche in der Schweiz. 5,4 Prozent werden dem Kanton Luzern zugewiesen. Das gibt 1900 Menschen für den Kanton.» Im Anschluss erklärte er den Anwesenden, wie das Asylverfahren im Detail in der Schweiz aussieht.

Fahrni war zu den Oberkichern erbarmungslos ehrlich. «Die Lage ist heute viel anspruchsvoller als etwa in der Kosovo-Krise», mahnte er. Es wird ein Anstieg der Flüchtlinge insbesondere aus dem Irak erwartet. Und wenn die EU sich mit der Türkei auf eine Grenzschliessung einigen würden, müsste die Schweiz mit einem weiteren Anstieg rechnen, da die neue Route via Griechenland–Italien direkt die Schweiz treffen könnte. Fahrni sagte, sie hätten dieses Szenario am Mittwoch zum ersten Mal in einer Einsatzgruppe durchgespielt.

Gespannt lauschten die Besucher den Ausführungen des Luzerner Asylkoordinators Ruedi Fahrni.

Gespannt lauschten die Besucher den Ausführungen des Luzerner Asylkoordinators Ruedi Fahrni.

«Ohne Asylbewerber zahlen wir 550’000 Franken»

Sozialvorsteherin Ruth Bucher führte anschliessend aus, was die Oberkircher am meisten interessierte – wie sie direkt betroffen sind. «Die Gemeinde muss laut Verteilschlüssel 49 Personen aufnehmen.» Allerdings verlange der Kanton nur eine Erfüllung zu 75 Prozent. «11 Asylbewerber sind derzeit in Oberkirch, das bedeutet, wir müssen 25 Personen zusätzlich aufnehmen», so Bucher.

«Wir werden 25 junge Männer aus Eritrea zugewiesen bekommen.»

Ruth Bucher, Oberkircher Sozialvorsteherin

Bucher gab auch gleich die Alternative bekannt. «Für Einwohnergemeinden, die ihrer Aufnahmepflicht nicht oder nur teilweise nachkommen, verlangt der Kanton neu Ersatzzahlungen.» Diese Kosten würden sich mit den heute 11 Asylbewerbern für Oberkirch auf maximal 365’000 Franken pro Jahr belaufen – ganz ohne Asylbewerber auf 550’000 Franken pro Jahr.

25 junge Eritreer ziehen nach Oberkirch

Besonderes Interesse galt auch der Frage: Was für Leute kommen denn nach Oberkirch? Sozialvorsteherin Bucher liess die Katze aus dem Sack: «Wir werden 25 junge Männer aus Eritrea zugewiesen bekommen.» Dies entlockte dem Saal ein längeres Murmeln. Die «Chäsi» sei vorübergehend für ein Jahr gemietet. Und sie erklärte, wie der Betrieb funktioniere. «Mit der Einrichtung hat die Gemeinde nichts zu tun, das läuft über den Kanton.»

Und Bucher führte auch aus, wie der Alltag der Asylbewerber aussehen wird. «Die Personen erhalten 11.50 Franken pro Tag.» Sie seien für sich selber verantwortlich, das bedeute Einkaufen, Kochen, Putzen und Waschen. «Ein Wohnbegleiter ist von Zeit zu Zeit vor Ort, aber eine Nachtbetreuung gibt es nicht», erklärte sie. Weiter würden bezahlt: die Krankenkassenprämie, die Gesundheitsversorgung, ein Winter- und Sommerkleiderset, ein Kissen, ein Duvet und Essgeschirr. Die Anwesenden lauschten den Ausführung interessiert, vielen waren diese Punkte wohl vorher unbekannt.

In die Dorfchäsi in Oberkirch sollen 25 Eritreer einziehen.

In die Dorfchäsi in Oberkirch sollen 25 Eritreer einziehen.

(Bild: les)

Auch wie sich die Asylbewerber beschäftigen, wurde erklärt. «Es sollen gemeinnützige Beschäftigungsprogramme innerhalb der Gemeinde angeboten werden», führte Bucher aus. Die Eritreer erhalten als Motivationsgrundlage 10 Franken pro Tag oder 200 pro Monat. Weiter habe sich eine Gruppe von 35 Freiwilligen zusammengefunden, die sich in vier Gruppen um die Asylbewerbern kümmere. «Und zwar in den Bereichen Betreuung, Deutsch, Freizeit und Arbeit.»

Drei Berichte aus und über Eritrea

Als Nächstes traten drei Redner auf, die das Land Eritrea kennen. Im ersten Referat eines Oberkirchers ging es vor allem um das Land selber, seine Bevölkerung und seine Geschichte, die an der aktuell schwierigen Situation mitschuldig ist. Dann ergriff ein UN-Beobachter das Wort und zeigte eindrückliche Bilder seines Einsatzes. Seine Botschaft war ganz klar: Die Würde vor den Menschen soll nicht verloren gehen.

«Weshalb 25 Männer und keine Familien?»

Eine besorgte Oberkircherin

Und als drittes erklärte eine Deutschlehrerin, die hier Eritreern Sprachunterricht gibt, dass sie immer wieder fasziniert sei, wie die Eritreer trotz ihrer schrecklichen Schicksale glücklich sein können. Die Ausführungen waren zwar eher langatmig, aber durchaus interessant.

Fragerunde zeigte tiefe Gräben

Zum Abschluss wurde die Runde für Fragen geöffnet. Es war die spannende Frage, wie weit die Skala zwischen Oberkircher Willkommenskultur und Migrationsskeptikern gehen würde, und in der Tat ergriffen beide Parteien das Wort. Erst entwickelte sich eine Diskussion um das Thema «sensible Zonen». «Sind diese nicht gerade kontraproduktiv, was Integration und Begegnung betrifft?», wollte ein Besucher wissen. Der Gemeinderat stellte sich auf den Standpunkt, damit besonders in einer ersten Phase Sorgen zerstreuen zu wollen.

«Man hat auch gut gespürt, dass viele den Asylbewerbern wohlwollend gegenüber stehen, es aber auch Bedenken gibt.»

Ernst Roth, Gemeindepräsident Oberkirch

Es tauchten auch kritische Fragen auf: «Weshalb 25 Männer und keine Familien?» Asylkoordinator Ruedi Fahrni machte einen sicheren Eindruck. Man spürte, dass er sein Fach versteht. «Die Chäsi ist eine Kollektivunterkunft und man kann dort nicht mehrere Familien einquartieren», erklärte er den logischen Grund.

Ein Bürger verschaffte sich auch Luft über das Versagen der Politik im Asylwesen. Und ein weiterer wollte wissen, wo man sich melden könne, wenn etwas schief gehe. Er habe zwei Töchter im Teenageralter und wolle, dass diese sich frei bewegen können. Auch diese Bedenken konnte der Gemeinderat zerstreuen, indem er erklärte, dass eine 24-Stunden-Rufnummer eingerichtet werde.

Informationsanlässe sind ein Muss

Gemeindepräsident Roth gab abschliessend zu Protokoll, dass dieser Informationsanlass ein grosses Anliegen des Gemeinderates war und das rege Interesse diesen absolut gerechtfertigt hat. «Man hat auch gut gespürt, dass viele den Asylbewerbern wohlwollend gegenüber stehen, es aber auch Bedenken gibt», so Roth.

Fazit: Auch wenn die Zahl von 25 Asylbewerbern gering klingen mag. Für jede Gemeinde, die sich zum ersten Mal mit dieser Situation konfrontiert sieht, ist es eine neue Situation. Diese erfordert von den Behörden, sowohl der Gemeinde wie auch des Kantons ein grosses Fingerspitzengefühl. Das über 200 Oberkircher kamen, zeigte einmal mehr, wie sehr das Thema Asyl die Menschen bewegt. Alle Beteiligten tun gut daran, möglichst viele Betroffene zu einem möglichst frühen Zeitpunkt mit einzubeziehen.

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