Bürger in Luzerner Dörfern bekämpfen Bauboom

Nun kommt die kleine Schwester der Masseneinwanderungsinitiative

Emmen wächst, besonders um den Seetalplatz herum – dem will SVP-Einwohnerrat Markus Schumacher nicht tatenlos zuschauen. (zvg/Bildmontage: zentralplus)

Emmen boomt, doch nun will die SVP dem rasanten Wachstum einen Riegel schieben. Kein Einzelfall: In Hochdorf hatte dieselbe Initiative vor drei Jahren überraschend Erfolg. Was steckt dahinter?

Der Seetalplatz steht sinnbildlich für die Entwicklung der Gemeinde Emmen: Der Verkehrsknoten wird in den nächsten Jahren zu einem ganz neuen Stadtteil mit insgesamt über 3’000 zusätzlichen Einwohnern (zentralplus berichtete). Und das in einer Gemeinde, die sich erst kürzlich wieder weigerte, eine Stadt zu werden. Emmen bleibt trotz seinen über 30’000 Einwohnern ein Dorf.

Wenn es nach der SVP geht, soll die grösste Agglomerationsgemeinde im Kanton Luzern künftig nur noch in kleinen Schritten grösser werden. Die Partei hat kürzlich ihre Wachstumsinitiative eingereicht. Sie verlangt, dass das Bevölkerungswachstum im fünfjährigen Durchschnitt maximal 0,7 Prozent pro Jahr beträgt (zentralplus berichtete). Das wären jährlich rund 200 bis 250 Menschen – etwa die Hälfte der heutigen Zahl.

«Es ist untragbar, wie Emmen gewachsen ist», begründet Initiant und SVP-Einwohnerrat Markus Schumacher das Anliegen. «Wir integrieren alle fünf Jahre ein ländliches Dorf bei uns», illustriert Schumacher und verweist auf die rund 2’500 Einwohner, die Emmen in den letzten fünf Jahren zusätzlich aufnahm. Für ihn ist darum klar: «Wir müssen zurück zu einem gesunden Wachstum, mit dem wir die Infrastruktur auch zahlen können.»

So hat sich die Bevölkerung von Emmen in den letzten knapp 30 Jahren entwickelt:

 

 

 

 

 

 

Emmen ist kein Einzelfall. Auch in der Gemeinde Inwil wurde diesen Frühling ein ähnliches Begehren lanciert, allerdings nach Widerstand wieder zurückgezogen. Bereits einen Schritt weiter ist Hochdorf: Die Stimmbevölkerung hat dort 2015 überraschend eine gleichlautende Initiative angenommen.

13 Kräne waren zu viel

Was steckt hinter dem Wunsch aus der Bevölkerung, den Boom zu stoppen? In Emmen hat besonders die finanzielle Situation viele zur Unterschrift bewogen, sagt Markus Schumacher: Nach zwei abgelehnten Steuererhöhungen musste kürzlich der Regierungrat das Budget der Gemeinde festlegen – und erhöhte die Steuern (zentralplus berichtete). Hinein spielt laut Markus Schumacher aber auch der Wunsch, den dörflichen Charakter zu behalten. «Wir wollen eine Gemeinde sein, in der man sich trifft und kennt – und nicht ein urbaner, anonymer Ort.»

«Wir wollen weiterhin eine Durchmischung, wie man sie in Emmen kennt.»

Markus Schumacher, Initiant und SVP-Einwohnerrat Emmen

Dass es in Wahrheit nur darum gehe, die Ausländerquote zu senken: SVP-Einwohnerrat Markus Schumacher kennt den Vorwurf – und kontert ihn. «Wir wollen weiterhin eine Durchmischung, wie man sie in Emmen kennt.» Er geht davon aus, dass der Ausländeranteil auch nach einem Ja zur Initiative weiter ansteigt.

Auch in Hochdorf war die treibende Kraft hinter der Initiative die SVP, namentlich der Arzt Beat Meister. «Zeitweilig standen 13 Kräne im Dorf, das gab den Ausschlag», sagt Meister, inzwischen Kantonsrat. Die Stimmbürger hätten ein Zeichen setzen wollen. Dass nun andere Gemeinden nachziehen, überrascht ihn wenig. Auf der einen Seite seien Wohlstand und eine prosperierende Wirtschaft gefragt – bei zu schnellem Wachstum zeitige diese Entwicklung aber negative Konsequenzen. «Lärm, verstopfte Strassen, verbaute Aussicht, überforderte Infrastrukturen und so weiter. Dann beginnen sich die Bürger da und dort zu wehren», sagt Meister.

Die Probleme des Vorreiters

In Hochdorf zeigt sich jedoch auch, analog zur Masseneinwanderungsinitiative: Die Umsetzung ist nicht so einfach. Nur schon allein durch Neugeborene wird ein beachtlicher Teil des Spielraums ausgeschöpft – 2017 schluckte der Geburtenüberschuss 0,4 Prozent des Wachstums.

Das Hauptproblem liegt laut dem Gemeinderat aber woanders: dass die Initiative zu stark und einzig auf die Zahl fokussiert – und damit die besten Lösungen zur Verdichtung teilweise verunmöglicht. «Oder einfach gesagt: Quantität vor Qualität», sagt der zuständige Gemeinderat Roland Emmenegger (FDP). Das zeige sich zum Beispiel beim Bahnhofplatz, der zur Mobilitätszentrale mit Arbeits- und Wohnraum entwickelt werden sollte. Doch zusätzliche Wohnungen bedeuten Wachstum. «Die Entwicklung des Bahnhofareals wurde ausgebremst», sagt Emmenegger. Und das hat nicht nur Folgen für die Raumplanung, sondern könnte Hochdorf auch zu einem unattraktiven Pflaster für Geldgeber machen. «Ohne Wohnraum sind private Investoren nicht an einer Bahnhofarealentwicklung interessiert.»

«Dass damit eine Verdichtung nicht mehr möglich ist, ist eine Erfindung der Behörden.»

Beat Meister, SVP-Kantonsrat und Initiant von «Hochdorf wächst langsam»

Der Gemeinderat hat die Ortsplanungsrevision deshalb doppelt aufgegleist: einmal dem Wortlaut der Initiative entsprechend – also mit einem geringen Wachstum. Und einmal gemäss seinen Vorstellungen von einer sinnvollen Entwicklung. Beide Varianten liegen zurzeit beim Kanton zur Vorprüfung. Danach wird der Gemeinderat entscheiden, ob es 2019 zur Variantenabstimmung kommt – und die Stimmbevölkerung sich dazu äussern, ob sie eine buchstabengetreue Umsetzung erwartet oder nicht.

Und was passiert mit dem Seetalplatz?

«Die Umsetzung der Initiative ist sicher eine Herausforderung», räumt auch der Vater der Initiative, der Hochdorfer Kantonsrat Beat Meister, ein. «Denn letztlich geht es darum, sich einzuschränken.» Doch genau da fehlt es seiner Meinung nach am Willen der Behörden. In der Initiative stehe aber kein Wort von Verdichtung, sondern nur der Richtwert von 0,7 Prozent Wachstum. «Dass damit eine Verdichtung nicht mehr möglich ist, ist eine Erfindung der Behörden, die sich nicht wirklich einschränken will.»

In Emmen beobachtet man genau, was beim Vorreiter im Norden passiert. «Wie die Initiative in Hochdorf umgesetzt wird, würden wir in Emmen sicher nicht zulassen», sagt Initiant Markus Schumacher. Den Willen der Behörden vorausgesetzt, hat er keine Angst vor Problemen bei der Umsetzung. Zumal die Gemeinde nach wie vor grössere Bauprojekte bewilligen könne – sofern das Wachstum in den Folgejahren kompensiert wird.

Und was geschähe nach einem Ja am Seetalplatz, wo nach Plänen der Behörden in den nächsten Jahren 3’000 neue Einwohner hin sollen? Markus Schumacher seufzt, wenn er diese Zahl hört, und sagt dann: «Das ist einfach zu viel. Eine Möglichkeit wäre mehr Gewerberaum statt Wohnungen. Doch dieses Problem müsste der Gemeinderat lösen.»

Wieso die Wachstumsskepsis über die SVP hinaus verbreitet ist

«Migration, die dem Wohlstand nicht hilft, wird bei der SVP sehr kritisch beurteilt» sagt Lukas Golder, Politologe beim Forschungsinstitut gfs Bern. «Aber es gibt auch eine Wachstumsskepsis in der Schweiz, die weit über die SVP hinaus verbreitet ist.» Das umfasst laut Golder oft die Sorge um den Bodenverschleiss und den Naturschutz, wie sie etwa bei der Zweitwohnungsinitiative zum Ausdruck kam. 

Mehr Einwohner brauchen in der Regel mehr Infrastruktur, neue Schulen, neue Strassen, womöglich auch mehr staatliche Unterstützung. «Das zu finanzieren, sind viele nur noch bereit, wenn es langfristig allen etwas bringt.» Wo hingegen anonymes Wachstum die dörfliche Identität verändert, werde es als etwas Negatives wahrgenommen. «Die Haltung ist dann, einfach gesagt: Unsere Bevölkerung wächst, unsere Probleme wachsen.»

Lukas Golder, Politologe am Forschungsinstitut gfs in Bern, bezeichnet Luzern als «Kipp-Kanton».

Lukas Golder, Politologe am Forschungsinstitut gfs in Bern, bezeichnet Luzern als «Kipp-Kanton».

(Bild: zvg)

Diese Bedenken sind laut dem Politologen nicht zwangsläufig gegen Ausländer gerichtet. Der Aspekt der Fremdenfeindlichkeit spiele bei den Wachstumsinitiativen auf kommunaler Ebene eine weniger dominante Rolle als 2014 bei der Masseneinwanderungsinitiative.

Wenn sich Konservative und Grüne treffen

Just in Emmen und Hochdorf hatte zuletzt auch eine zweite Initiative mit wachstumskritischem Flair Erfolg, nämlich die Bodeninitiative der Grünen, die den Verkauf von staatlichen Grundstücken verbietet. Für den Politik- und Medienwissenschafter Lukas Golder nicht überraschend: «Es ist typisch, dass sich bei diesem Thema die grün-bewahrende-landschaftsschützerische Achse auf linker Seite mit der migrations- und wachstumsskeptischen Achse auf der rechten Seite kreuzt.»

Ob die Wachstumsinitiative deswegen auch in Emmen eine Mehrheit finden könnte – und grundsätzlich ein politisches Erfolgsmodell für andere Gemeinden ist –, könne man allerdings nicht pauschal sagen, so Lukas Golder. «Das hängt von der jeweiligen Situation vor Ort ab, unter anderem von der aktuellen Raumplanung, den bisherigen Erfahrungen mit Migration, der Mobilisierung an der Urne und der politischen Konstellation.» Doch in Zeiten, wo Bund und Kantone vieles bestimmen, habe die SVP hier eines der wenigen Themen gefunden, bei dem die Gemeinden noch einen relativ grossen Hebel besitzen.

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