1919 sprach man in Weggis vom «Schandbad»

Niedergang der Kultur – Luzerner Baderegeln heute und vorgestern

Nicht erst ein Problem der heutigen Smartphone-Gesellschaft: 1928 wurden Fotografen in Strandbädern als «Plage» wahrgenommen.

(Bild: «Seelust – Badefreuden in Luzern von Heinz Horat» HMLU H 60)

Man darf nicht in den Pool pinkeln, nicht nackt baden und keine anderen Gäste fotografieren. Das sollte allen klar sein – im Strandbad. Vor hundert Jahren waren die Regeln in Luzern noch etwas strenger und die Badekleider massiv grösser. Zum Start der Badesaison haben wir die spannendsten Veränderungen zusammengetragen.

Bald liegen sie wieder Tuch an Tuch an den Ufern. Und bald präsentieren sie wieder in knappen Bikinis und kurzen Badehosen ihre Körper. Männlein und Weiblein. Nahe beieinander, scherzend in spärlicher Bekleidung, laut lachend und sich gegenseitig nass spritzend.

Thaddäus Müller hätte einen solchen Anblick kaum überlebt. Der Luzerner Stadtpfarrer war um das Jahr 1810 ein fleissiger Anzeige-Erstatter gegen Badende. «Verletzung des öffentlichen Anstands» war das Delikt und toleriert war das Baden nur an bestimmten Stellen. Man hatte «still» zu baden und sich sofort, nachdem man aus dem Wasser trat, wieder anzukleiden.

Öffentliche Aufregung

Und nicht nur der Geistliche, ganz viele Menschen fühlten sich auch vor rund hundert Jahren noch stark von badenden Menschen belästigt. Pikierte Leserbriefe überschwemmten die Zeitungen. Man beschwerte sich über «Badeunfug», den «Zerfall und Niedergang der Kultur», verglich die Badenden mit «Wilden» oder konkret «Indianern» und fragte sich, wann der «Skandal die Gegend ganz verseucht» haben werde.

Leserbriefe und Anzeigen waren oft Anlass für grosse Diskussionen im Polizeidepartement und in der Politik.

Leserbriefe und Anzeigen waren oft Anlass für grosse Diskussionen im Polizeidepartement und in der Politik.

(Bild: Staatsarchiv AKT 44 859/860)

Papierkrieg und Verwaltungsapparat

Polizei und Regierungsrat hatten zur Jahrhundertwende und in den darauffolgenden Jahrzehnten mit dem Thema Baden einiges zu tun. Die Kantonspolizei legte sich nach Berichten über Badeunfug auf die Lauer und protokollierte das Verhalten und die Bekleidung der Badenden. In zahlreichen Rapporten, Anträgen und weiteren Dokumenten wurde in den 1920er-Jahren die «Kostümfrage» behandelt.

Nacktwanderer 1930?

Das Schwyzer Polizeidepartement fragte 1930 noch bei der Luzerner Kantonspolizei nach, wie die Bestimmungen über das öffentliche Baden und die dazu «schickliche» Bekleidung bei ihnen ausschauen würden. Doch nicht nur das.

Auch über den Umgang mit der «Nacktkultur in den Bergen und Alpen» waren sich die Schwyzer offensichtlich unsicher. Da leider die Antwort der Luzerner Kantonspolizei fehlt, ist unklar, ob Nacktwanderer in Luzern vor rund 90 Jahren ein Thema waren.

Reglemente und Verbote zum Thema Baden gab es zuhauf. In Strandbadreglementen war «anständiges Verhalten Ehrenpflicht» und das Tragen von angemessenen Badekostümen Gebot.

Züchtig und bedeckt

Kleidertechnisch war damals nur wenig erlaubt. Um die Jahrhundertwende waren bei Männern die Oberkörper stets bedeckt. «Oben ohne» war auch ohne Brüste kein Thema. Knielange Hosen waren knapp erlaubt, Badehosen aber nur für Jungen unter 14 Jahren akzeptiert. Bei den Damen waren die Oberschenkel meist komplett bedeckt. Über einer meist knielangen Hose wurde eine Art kurzes Kleid getragen. Manchmal erinnern die Badekostüme auch an die heutigen Jumpsuits – gerade durch ihre Beschaffenheit –, waren doch die meisten «Badekleider» damals aus festen Baumwollstoffen.

 

Eine Herrenbadehose von 1920 und ein Damenbadekleid von 1910.

Eine Herrenbadehose von 1920 und ein Damenbadekleid von 1910.

(Bild: «Seelust – Badefreuden in Luzern von Heinz Horath» Hist. Museum St. Gallen)

Männlein und Weiblein seriös getrennt

Gebadet wurde vor hundert Jahren in Badeanstalten noch meist getrennt nach Geschlechtern. Man wollte verhindern, dass unzüchtige Gedanken und unsittliches Verhalten in die Gesellschaft Einzug finden konnte. Wie man sich heute vorstellen kann – und wie auch um 1920 viele wussten –, war jedoch die Wand zwischen den beiden Bereichen und besonders die Wand zwischen den Garderoben ein Anziehungspunkt. Nicht nur für die Jugendlichen.

Das Lido in Weggis war schliesslich das erste Strandbad schweizweit, in dem Männer und Frauen gemeinsam badeten. Bei der Eröffnung 1919 machte es sich deshalb in der Presse als «Schandbad» einen Namen.

 

«Strandleben beidseits der Scheidewand» – Eine Karrikatur aus dem Nebelspalter aus dem Jahr 1922.

«Strandleben beidseits der Scheidewand» – eine Karikatur aus dem Nebelspalter aus dem Jahr 1922.

(Bild: «Seelust – Badefreuden in Luzern von Heinz Horath»)

Das Schandbad

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Baden in der Öffentlichkeit nicht nur verpönt, sondern an vielen Orten und zu den meisten Zeiten gar verboten. Besonders am Herumstehen in Badekostümen wurde Anstoss genommen. Der öffentliche Anstand werde verletzt, hiess es in den Rapporten der «Sittenpolizei». Gebadet wurde daher bald in dafür errichteten Badeanstalten.

 

Ein Bild aus dem Lido in Luzern um 1922.

Ein Bild aus dem Lido in Luzern um 1922.

(Bild: «Seelust – Badefreuden in Luzern von Heinz Horath» SALU F2a Anlagen)

Keine Unterwäsche erlaubt

Heute lässt sich bei einem Blick in die alten Reglemente ein Schmunzeln kaum verkneifen. Das weiss auch Dominik Berchtold, Leiter Verkauf der beiden Strandbäder Tribschen und Zimmeregg. «Solche Regelformulierungen erweisen sich oft als gar nicht mal so einfach und kommen dann teilweise recht witzig daher.» Es sei manchmal auch für ihn sehr spannend, was man alles reglementieren müsse, das man als selbstverständlich erachten würde.

Im Strandbad Tribschen und dem Waldschwimmbad Zimmeregg in Luzern wird heute bekleidungstechnisch nicht mehr besonders viel reglementiert. «Das Tragen von Unterwäsche unter der Badekleidung ist verboten, sofern die künstlichen Wasserflächen genutzt werden. Auch das Baden in Strassenbekleidung ist nicht erlaubt. Bei Kleinkindern ist aus hygienischen Gründen das Tragen einer Badewindel obligatorisch», heisst es da heute im Reglement. Der engagierte Stadtpfarrer Thaddäus Müller und die besorgten Bürger wären beim öffentlichen Thematisieren von Unterwäsche wahrscheinlich schon an die Decke gesprungen.

 

Zwei moderne und eher ausgefallene Badekostüme trugen diese beiden Damen 1919 in Weggis zur Schau. Das Linke wurde damals als eher kurz und fortschrittlich wahrgenommen.

Zwei moderne und eher ausgefallene Badekostüme trugen diese beiden Damen 1919 in Weggis zur Schau. Das Linke wurde damals als eher kurz und fortschrittlich wahrgenommen.

(Bild: «Seelust – Badefreuden in Luzern von Heinz Horath» HMLU H59, Nr. 151, 159)

Fotografieren als Aufreger

Ein Thema jedoch, welches als neueres Phänomen wahrgenommen wird, war schon vor hundert Jahren ein Ärgernis. «Das Fotografieren und Filmen im Bereich der Nasszonen und im Garderobenbereich von anderen Personen ist strikte verboten», so heisst es im Reglement der Tribschen- und Zimmeregg-Badi. Und dieses Problem musste bereits um 1920 reglementiert werden.

(Bild: Staatsarchiv AKT 44 859/860)

Technik und Schwimmtechnik

Während das Fotografieren vor rund hundert Jahren jedoch äusserst auffällig war, lassen sich die unerwünschten Dokumentationen heute viel schlechter ausmachen. «Heute kann jedes Handy Fotos machen», sagt Berchtold. Deshalb stelle das Fotografieverbot die Bäder vor eine grosse Herausforderung.
 
Insgesamt komme es jedoch kaum vor, dass jemand wegen eines Verstosses gegen die Regeln vom Gelände verwiesen werde. «Die Fälle kann man in den letzten Jahren an einer Hand abzählen», sagt Berchtold.

(Bild: Staatsarchiv AKT 44 859/860)

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