Auf einen Sprung in den See bei minus neun Grad

Nichts für Warmduscher: Diese Frauen trotzen der sibirischen Kälte

Maria Pilotto beeilt sich, wieder aus dem Wasser zu kommen.

(Bild: jal)

Winterschwimmer steigen in den See, egal ob es schneit, regnet oder stürmt. Sogar die klirrende Kälte dieser Tage kann den beiden Luzernerinnen Simone Felber und Maria Pilotto nichts anhaben. Doch nicht nur ihr Bikini erstarrte bei den Minustemperaturen.

Eine bittere Kälte hält Luzern im Griff, das Thermometer am frühen Montagmorgen zeigt minus neun Grad, die Bise lässt die gefühlte Temperatur noch weiter fallen. Perfekt für eine Runde im See!

Vor der Seebadi am Quai treffen wir kurz nach 8.30 Uhr Maria Pilotto und Simone Felber. Die beiden gehen seit vier Jahren nicht nur im Sommer, sondern auch über die Wintermonate regelmässig schwimmen. Ein bis zweimal wöchentlich – egal, ob Nebel, Regen oder eben klirrende Kälte.

Staunen über den eigenen Körper

Wieso tut man sich das an? «Es ist jedes Mal schön», sagt Maria Pilotto. «Die Bergkette, der Nebel oder die Sonnenstrahlen: Es gibt immer einen besonderen Moment.» Tatsächlich: Während zwischen der Hotel-Allee und der Seebrücke der Morgenverkehr voranschleicht, herrscht hinter dem Eingang im Seebad idyllische Ruhe. Dutzende Enten wippen auf den Wellen, das Licht blinzelt durch die Wolken, hie und da kreischt eine Möwe, während der Blick in die Ferne schweift.

«Wenn ich aus dem Wasser komme, bin ich jedes Mal zehn Zentimeter grösser.»

Maria Pilotto, Winterschwimmerin

Doch es zieht auch eine steife Bise durch das Holz des Seebads. «Nicht selten schimpfen wir und fragen uns, wer überhaupt die Idee dazu hatte», sagt die SP-Grossstadträtin und lacht.

Rasch wieder anziehen: Maria Pilotto (links) und Simone Felber steigen auch im Winter regelmässig in den See.

Rasch wieder anziehen: Maria Pilotto (links) und Simone Felber steigen auch im Winter regelmässig in den See.

(Bild: jal)

Und doch tun sie es immer wieder. Auch wegen des sozialen Aspekts, sagt die 25-jährige Simone Felber. «Man nimmt sich bewusst eine Viertelstunde, um aus dem Alltag auszubrechen und Zeit miteinander zu verbringen.»

Nicht zuletzt motiviert es die beiden, an die Grenzen zu gehen und sich zu überwinden. «Wenn ich wieder aus dem Wasser komme, bin ich jedes Mal zehn Zentimeter grösser», sagt Maria Pilotto, «weil ich selber staune, dass der Körper so was aushält.»

Lebensretter raten von Badeplausch ab

Auch an diesem Montagmorgen braucht es Überwindung. Nach dem Umziehen noch rumstehen und auf die Kollegin warten? Dafür ist es viel zu garstig. Simone Felber steigt deshalb hastig die Stufen hinunter und ist innert Sekunden im Wasser. Nach einem kurzen Schwumm im Kreis entsteigt sie dem See und huscht schnurstracks in die Kabine.

Die Wasserflecken, die ihr Gang über das Holz hinterlassen, gefrieren innert Kürze zu Eisschichten. Und auch der Bikini am Boden erstarrt bald.

Bei arktischen Verhältnissen ins Wasser zu steigen, davon rät die Schweizerische Lebensrettungs-Gesellschaft SLRG grundsätzlich ab. «Bei diesen Temperaturen ist man schnell unterkühlt und läuft Gefahr, einen Kälteschock zu erleiden», sagt Mediensprecher Philipp Binaghi. Wer sich trotzdem nicht davon abhalten lasse, der sollte sich im Voraus medizinisch checken lassen, sagt Binaghi. Ungeeignet sei das Kaltwasserbaden sicherlich für Menschen mit Herz- und Kreislaufbeschwerden. Zudem rät er: nie allein ins Wasser, sondern immer in einem sicheren Rahmen.

Eine Minute schwimmen pro Grad Wasser, so lautet eine Faustregel. Die Grenze ausgereizt haben weder Felber noch Pilotto je. «Man lernt, auf seinen Körper zu hören», sagt Simone Felber, die ausgebildete Rettungsschwimmerin. Wie lange man im Wasser verweilen könne, hänge aber stärker von der persönlichen Einstellung und dem Befinden ab als von der Temperatur. Deshalb spielt die peitschende Kälte dieser Tage theoretisch nur eine untergeordnete Rolle. Ob es draussen plus oder minus fünf Grad ist: «Da spürt der Körper keinen Unterschied mehr.»

«Wie lange man im Wasser bleiben soll, ist individuell sehr unterschiedlich», sagt auch SLRG-Mediensprecher Philipp Binaghi. «Wichtig ist, dass man die Abwehrsignale des eigenen Körpers wie etwa Muskelspannungen und Zittern richtig interpretieren kann.»

«Es ist jedes Mal wieder kalt, aber man weiss mit der Zeit, wie es sich anfühlen wird.»

Simone Felber, Winterschwimmerin

Inzwischen ist auch Maria Pilotto bereit. Sie tastet sich die Treppe entlang ins eiskalte Nass und taucht dann langsam ab. «Pass auf, dass dir die Füsse beim Aussteigen nicht auf der Treppe kleben bleiben», ruft Simone Felber. Auch die 32-Jährige hält es nicht länger als eine Minute aus. «Es nägelet sogar in den Händen, das habe ich sonst nie», sagt Pilotto kurzatmig und hastet zu ihrem Kleiderberg. «Wertvoll ist, wenn die Kleider nach dem Schwimmen bereits parat liegen und man sofort Socken und Schuhe anziehen kann, sodass man von unten her aufwärmt.»

 

Spürt sie den Frischekick, von dem viele Winterschwimmer berichten? Das Glücksgefühl, das sich angeblich einstellt und süchtig macht? «Nein, für mich ist das nicht der Grund, wieso ich im Winter schwimmen gehe.» Es komme auch vor, dass man nach dem Schwimmen friere. Dem Winterschwimmen wird nachgesagt, das Immunsystem zu stärken – doch auch das können die beiden weder bestätigen noch entkräften. Das eigene Gefühl sagt ihnen aber: Den Puls so hochzujagen, wie es beim Gang ins kalte Wasser geschieht, könne nicht allzu schlecht sein. Die oft gelobte gesundheitsfördernde Wirkung von Winterschwimmen sei wissenschaftlich nicht erhärtet, sagt auch Binaghi von der SLRG.

«Zurzeit gehen nur noch die Hartgesottenen schwimmen.»

Rosie Bitterli Mucha, Verwaltungsratspräsidentin der Seebad AG

Daran gewöhnen kann man sich aber trotzdem nicht. «Es ist jedes Mal wieder kalt», sagt Simone Felber. «Aber man weiss mit der Zeit, wie es sich anfühlen wird. Man kann sich drauf einstellen.» 

Auch Philipp Binaghi von der SLRG hält fest, dass Training insofern Sinn macht, dass man ein Gefühl für die Auswirkung der Kälte auf den Körper entwickelt. «Das heisst aber nicht, dass man abgehärtet ist, sondern dass man eher mit dem Zustand umgehen kann.»

Warteliste für den 125er-Club

Simone Felber und Maria Pilotto gehören dem «125er-Club» an: einer Gruppe von maximal 125 Menschen, die während der Winterpause Zugang zum Luzerner Seebad erhalten. «Zurzeit gehen nur noch die Hartgesottenen schwimmen», sagt Rosie Bitterli Mucha, Verwaltungsratspräsidentin der Seebad AG.

Das Wasser auf der Treppe verwandelt sich innert Kürze in Eis.

Das Wasser auf der Treppe verwandelt sich innert Kürze in Eis.

(Bild: jal)

Doch Baden ausserhalb der Saison ist beliebt. Es besteht sogar eine Warteliste, obwohl im 125-er-Club ein Badge pro Saison 125 Franken kostet. Der Kreis der Mitglieder wird bewusst übersichtlich gehalten, damit man sich gegenseitig kennt. Winterschwimmen hat in Luzern Tradition, weiss Bitterli Mucha. «Das hat es immer schon gegeben.» Während früher einige ausgewählte Leute wussten, wo der Schlüssel deponiert ist, gibt es seit dem Umbau des Seebads dieses Badge-System im 125er-Club. Und das hat sich laut Bitterli Mucha bewährt.

Auch Maria Pilotto und Simone Felber schätzen diese Möglichkeit sehr. «Hier kann man direkt in den See – alles Unnütze fällt weg.» Und was empfehlen die beiden einem blutigen Anfänger? «Auf etwas Schönes fokussieren und beim Reingehen tief ausatmen», sagt Maria Pilotto und Simone Felber fügt mit einem Lachen hinzu: «einfach gehen!»

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