«Tiefbahnhof ist ein Krüppel-Projekt»

In seinem Leserbrief kritisiert Leser Gerhard Schmid aus Cham das Prestigeprojekt Luzerner Tiefbahnhof scharf. Er hat ganz andere Ideen, wie die 2,4 Milliarden Franken verwendet werden sollten.

Leserbrief

Mit eindrücklicher Mehrheit hat sich der Luzerner Kantonsrat am ersten Sessionstag dieses Jahres zum unterirdischen Durchgangsbahnhof mit Kosten von rund 2,5 Milliarden Franken bekannt. Das ist etwas viel Geld für eine Region, die zur Hälfte vom Gotthard-Basistunnel profitiert und in letzter Zeit mit über einer halben Bahnausbau-Milliarde verwöhnt wurde und wird: 177 Millionen Franken für den unnötigen Engelbergtunnel, 250 Millionen für die Tieflegung der Zentralbahn vor Luzern und über 125 Millionen für Doppelspurabschnitte Zugersee Ost und West.

Ungereimtheiten beim «Quantensprung für Luzern» gibt es zuhauf. Der Milliardenbrocken mündet im Neustadtquartier in den zweispurigen Gütschtunnel, was die äusserst dringliche S-Bahn-Haltestelle Kreuzstutz auch in Zukunft verunmöglicht. Stattdessen wird man sich im Bus weiterhin auf verstopften Strassen fortbewegen, um den Bahnhof zu erreichen. Ist die Durchbindung von Fernverkehrszügen zwischen Genf und Konstanz wirtschaftlich, wenn der Sitzplatzbedarf zwischen Luzern und Zürich sehr viel höher ist als vor- und nachher? Was nützt den Gotthardzügen eine Fahrzeitverkürzung, wenn sie in Arth-Goldau auf eine Koordination mit dem Fernverkehr Zürich–Tessin angewiesen sind? Weshalb wird beim doppelten Schnellzugsangebot Luzern–Zug–Zürich verschwiegen, dass dazu eine weitere Milliardeninvestition zur Beseitigung der Einspurabschnitte zwischen Horgen Oberdorf und Baar nötig ist? Ist das kürzlich ins Bahnhofdach verlegte SBB-Reisezentrum kompatibel mit einem Tiefbahnhof?

Vor 25 Jahren hätte es Luzern in der Hand gehabt, einen von Norden nach Süden verlaufenden Tiefbahnhof zu erhalten, aber die Regierung hat die Chance vertan. Zur Diskussion stand damals eine alternative Neat-Zufahrtsstrecke ab Rotkreuz via Ebikon–Luzern (tief)–Stans (Überholgeleise oberirdisch)–Erstfeld (am Tunnelausgang von Stans her, bestehende Infrastruktur weiterhin nutzbar). Der 49 Kilometer lange Gotthard-Basistunnel Amsteg–Bodio wäre um 8 Kilometer kürzer gewesen als der heutige GBT, und die Planspiele rund um milliardenschwere Ergänzungsbauwerke wie «Uri Berg lang», die Umfahrung Flüelen, zwei neue Axentunnel, ein Viadukt bei Brunnen, ein Urmibergtunnel und die aktuelle Aufrüstung Rotkreuz–Rynächt als 4-Meter-Korridor für Güterzüge wären uns erspart geblieben.

Wer in Bern, Zürich und Schwyz den Neat-Bahnhof Luzern hintertrieben hat, ist schwer auszumachen. Erfolgreich war die fiese Strategie aber nur, weil sich die Luzerner Regierung nicht für ihre Interessen gewehrt hat. Schlechtes Planen und Regieren rächt sich jetzt in Form eines kostspieligen Krüppel-Projekts, das es nicht wert ist, umgesetzt zu werden.

Gerhard Schmid, Cham

Hintergründe zum Tiefbahnhof gewünscht? zentral+ berichtete mehrfach:

SVP fordert «Übungsabbruch» – und scheitert: Das Mammutprojekt geht einen Schritt vorwärts. Das Luzerner Parlament nahm am Montag den Planungsbericht zum Tiefbahnhof zustimmend zur Kenntnis. Nur die SVP stellte sich quer und wollte die Lösung «Luzern Nord» bevorzugen. Die anderen Parteien konnten damit jedoch nichts anfangen. (25. Januar 2016)

«Er kommt. Davon bin ich felsenfest überzeugt»: Der Kanton Luzern will alles daran setzen, den Tiefbahnhof Luzern so rasch wie möglich zu realisieren. Im Interview mit zentral+ spricht Regierungsrat Robert Küng über Chancen und Risiken, den Tunnel unter der Neustadt hindurch sowie das Zögern des Bundes. Klar ist: Das Projekt muss noch sehr, sehr hohe Hürden nehmen. (28. September 2015)

Regierung forciert 2,4-Milliarden-Projekt: Kürzere Reise- und Umsteigezeiten, strengerer Fahrplan und ein ausgebautes ÖV-Angebot: Der Luzerner Regierungsrat wirbt mit einem Planungsbericht für das Mammut-Projekt Tiefbahnhof. Doch es braucht offenbar eine Vorfinanzierung. (28. September 2015)

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1 Kommentar
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    LAZY, 02.02.2016, 18:18 Uhr

    Sehr geehrter Herr Gerhard Schmid

    vielen herzlichen Dank für Ihre detaillierten Infos. Ich hab auch nie verstanden, wieso fundierte, von Fachleuten vorgetragene Verkehrskonzepte von der Luzerner Regierung über Jahrzehnte verhindert wurden.
    Wieso sich der Nordteil des Kantons und deren Politiker nicht besser für deren Interessen einsetzen
    (Bahnhof Nord), ist ein weiterer unverständlicher Aspekt dieses Dramas.
    Aus der ETH wurde schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die heute überdimensionierten und vor allem überteuerten Bauwerke von den nächsten Generationen nie und nimmer unterhalten werden könne. Die SBB selber mussten vor kurzem darauf hinweisen, dass der Unterhalt der Infrastruktur bereits jetzt nicht mehr gewährleistet werden kann.
    Das ist die Konsequenz, wenn die politische Z(w)ängerlei über die Fachkompetenz der Spezialisten herrscht.
    Mit den besten Grüssen zur fünften Jahreszeit
    LAZY

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