Leserbrief von Filmemacher Beat Bieri

«Guido Grafs Weitblick in die europäische Flüchtlingspolitik»

Guido Graf zeigt zentralplus einen seiner Arbeitsräume.

(Bild: les)

Der Luzerner Dokumentarfilmer Beat Bieri hat das zentralplus-Interview mit Guido Graf (CVP) gelesen und schreibt: Die Leistungen des Neo-Regierungspräsidents in der Asylpolitik sind blamabel. Er stützt seine Argumentation mit dem Beispiel eines Kurses für Arbeitsintegration von Asylbewerbern, der nun weggespart wurde.

Für ein Interview bei zentralplus liess sich der Luzerner Regierungsrat Guido Graf vor einer Europakarte ablichten – einer Karte, die er mit Fähnchen, Zettelchen und Pfeilen versehen hat und die der Leserschaft Grafs Weitblick in der europäischen Flüchtlingsproblematik kundtun soll. Noch aussagekräftiger wäre allerdings gewesen, der oberste Luzerner Asylverantwortliche hätte vor einer Karte seines Kantons posiert. Nur, eine Luzerner Karte zu diesem Problem wäre für Guido Graf wenig schmeichelhaft gewesen, denn sie würde einige ärgerliche weisse Flecken aufweisen. Flecken, die Guido Graf selbst zu verantworten hat.

Integrations-Projekt überraschend gestoppt

Vor eineinhalb Jahren habe ich für SRF einen zweiteiligen Dokfilm über einen Gastro-Integrationskurs im Kanton Luzern gemacht («Auf euch hat hier niemand gewartet», zentralplus berichtete). Der Kurs mit Namen «Riesco» wurde seinerzeit von Justizminister Christoph Blocher angeregt und von Erwachsenenbildner (und Koch) Heinz Gerig von der Branchenorganisation «Hotel & Gastro formation» im Kanton Luzern entwickelt: In einem einjährigen, recht anspruchsvollen, stark praxisbezogenen Kurs werden dabei Flüchtlinge, die zuvor jahrelang von der Sozialhilfe gelebt haben, im Gastro-Bereich arbeitsmarktfähig gemacht.

Die Erfolge, die auch auf einer langjährigen Erfahrung gründen, sind nicht von der Hand zu weisen: Die meisten Flüchtlinge finden nach diesem Kurs eine Anstellung und fallen der Sozialhilfe nicht mehr zur Last.

Mitten in den Dreharbeiten zu diesem Film wurde, für mich völlig überraschend, bekannt, dass der Kanton Luzern den Kurs nicht mehr fortsetzen wollte. Dieser Kanton Luzern, der half, den Riesco-Kurs zu entwickeln, womit sich die Vorgänger von Guido Graf als Pioniere in der Integration von Flüchtlingen erwiesen hatten. Und nun dieses Ende! Hatte ich etwas übersehen?

 

Beat Bieri (Bild: SRF)

Beat Bieri (Bild: SRF)

Meine Nachfrage beim Kanton ergab: Man wolle billigere Kurse. Zugegeben, der Kurs war nicht günstig, 26’000 Franken pro Jahr und Flüchtling kostete dieser. Allerdings kostet ein arbeitsloser Flüchtling (und solche gibt es zu viele auch im Kanton Luzern) die Sozialhilfe ebenfalls annähernd soviel, wie der damalige Luzerner Asylkoordinator bestätigte. Mir scheint, bei der hohen Erfolgsquote des Riesco-Kurses waren die 26’000 Franken sehr gut investiertes Geld.

Doch man wolle eben auch die Flüchtlinge in die Lehre bringen und nicht nur in schlecht bezahlten Hilfsjobs, war ein weiteres Argument des Kantons. Das ist gewiss ein schönes Ziel. Doch leider ist es auch blauäugig, wie jeder weiss, der sich mit der Integration von Flüchtlingen auskennt: Die Schweizer Lehre verlangt eine recht hohe Sprachkompetenz, welcher Flüchtlinge in den ersten Jahren kaum genügen können. Allerdings haben nachweislich viele Riesco-Abgänger später tatsächlich noch eine Lehre gemacht und so ihre soziale Stellung verbessert – eine Verbesserung, die nur möglich war, weil ihnen der Riesco-Kurs die Chance gab, im Schweizer Arbeitsmarkt überhaupt Fuss zu fassen.

«Riesco»: anderswo beliebt und erfolgreich

CVP-Regierungsrat Guido Graf, der schon zuvor ohne Not und nachvollziehbare Begründung die jahrzehntelange, erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Caritas in der Flüchtlingsbetreuung beendet hatte, ordnete also den Aufbau anderer, eigener Integrationskurse an. Was ist aus diesen geworden? Im Interview von zentralplus erfahren wir es: Sechs Monate nach dem Gastro-Kurs standen laut Graf «alle Absolventen wieder auf der Strasse». Und «bei der Pflege ist es so, dass die Pflegheime im Moment kein Bedürfnis nach diesen Arbeitskräften haben», so Graf. Kein Bedürfnis nach so ausgebildeten Arbeitskräften, müsste es wohl heissen.

Und was ist aus dem Luzerner Riesco-Kurs geworden? Heinz Gerig konnte vor einem halben Jahr auf Einladung der Schweizer Botschaft in Brüssel EU-Vertretern das Riesco-Modell vorstellen – und stiess dabei, wie ein 10-vor-10-Beitrag zeigte, auf grosses Interesse. Denn überall in Europa sucht man verzweifelt nach tauglichen Lösungen in der Integration von Flüchtlingen. Und in der Schweiz? Mittlerweile bieten vier Kantone Intergrationskurse nach dem Riesco- Modell an: Zürich, Baselland, Baselstadt und das Wallis – in den Bereichen Gastro, Bau, Pflege, Auto- und Gebäudetechnik. Riesco kann keine Wunder bewirken. Doch in beharrlicher Kleinarbeit, die den Flüchtlingen einiges abverlangt, gelingen damit erstaunliche Erfolge.

Guido Graf möchte immer wieder mal landesweit zur Kenntnis genommen werden – als Mahner und als Kritiker der Schweizer Asylpolitik. Doch schaut man auf die blamablen Leistungen dieses Regierungsrates im eigenen Kanton, muss man feststellen: Diese Rolle ist für Guido Graf irgendwie unpassend.

Beat Bieri, Filmemacher Luzern

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