Vor vier Monaten bin ich in der serbischen Hauptstadt angekommen. Und jetzt, wo ich mich langsam aber sicher heimisch fühle, geht es schon wieder zurück in die Schweiz. Ich werde wiederkommen in diese unaufgeregt aufregende Stadt mit ihren herzlichen Leuten.
Als ich Mitte September nach Belgrad gereist bin, hatte ich wenig Ahnung von Serbien und seiner Hauptstadt. Geschweige denn von den rund 1,8 Millionen Menschen, die hier leben. Nach diesen Monaten weiss ich zwar noch immer nicht viel – wie überall gibt es unzählige Lebensrealitäten. Dennoch habe ich einen Einblick in das Leben und den Alltag der Leute bekommen und sogar ein paar Freundschaften geschlossen. Was mir besonders gefallen und/oder mich beeindruckt hat, lasse ich hier nochmals vorbeiziehen:
Unterwegs zu neuen Ufern
Auf den Strassen sind viele Autos, aber wenige Velos unterwegs. Kein Wunder: Es braucht ziemlich viel Mut, um auf den teilweise löchrigen und überlasteten Strassen herumzufahren. Das ist an den schönen Uferpromenaden ganz anders: Kilometerlang kann gemütlich den Ufern von Donau und Save entlang pedalt werden. Unverzichtbar die Zwischenstopps auf einem der vielen Schiffe oder Flosse, die zu Restaurants umfunktioniert wurden. Und unverzichtbar auch der Kartoffelsalat, die gebratenen Fischli und das Krüglein Wein.
Musik und Kultur
In Belgrad gibt es nicht nur viele Strassenmusikanten, sondern auch ein grosses Angebot an Konzerten jeglicher Couleur und anderen Kulturanlässen. Auffallend sind die vielen Festivals, die hier zu jeder Jahreszeit stattfinden. Interessenbedingt habe ich die Buchmesse, mehrere Konzerte des Belgrad Jazzfestivals, ein paar Theatervorstellungen und Filme besucht. Bei all diesen Veranstaltungen hatte ich den gleichen Eindruck: Das serbische Publikum ist lebendiger, aufgeschlossener und vor allem viel zahlreicher, als ich das aus der Schweiz kenne. In einen der angesagten (Techno-)Klubs habe ich es nur einmal geschafft, aber das macht nichts: Da tummeln sich genügend andere Leute herum, deren Outfit besser dorthin passt als meines.
Orthodoxe Kirche und Feiern
Die Kirchen sind optisch ziemlich anders als bei den Katholiken. Besonders auffallend ist, dass es keine Bänke und nur wenige Sitzgelegenheiten hat. Dadurch wirkt der Raum viel grösser, ruhiger und klarer. Zweimal habe ich eine orthodoxe Messe besucht. Die wortreiche Liturgie des Priesters, der Weihrauch und der Gesang sind beeindruckend – aber nach dem zweiten Besuch geht es mir wie daheim: Es reicht dann mit Kirchenbesuchen bis zum nächsten Jahr. Weihnachten und Neujahr habe ich doppelt gefeiert, hier kommt alles später wie die alte Fasnacht: Weihnachten wird am 7. Januar, Silvester am 13. Januar gefeiert.
Belgrad im Umbau
In Belgrad entsteht mit «Belgrade Waterfront» ein neuer, riesiger Stadtteil (ich berichtete darüber). Bei meiner Ankunft standen bereits zwei Hochhäuser im Rohbau. In den letzten Wochen haben die arabischen Investoren von diesem Megaprojekt – beziehungsweise die ausführenden Bauunternehmen – extrem Gas gegeben: Überall auf dem riesigen Gelände ragen Kräne in die Luft, Strassen werden geebnet, alte Gebäude abgerissen, immense Leitungsrohre verlegt und Alleen angelegt. Dieses topmoderne Luxusviertel wird Belgrad verändern und der Stadt einen anderen Stempel aufdrücken – wer sich in diesem futuristischen und teuren Quartier niederlassen will beziehungsweise kann, ist mir schleierhaft. Bleibt zu hoffen, dass in anderen Stadtvierteln der Charme und Charakter von Belgrad erhalten bleibt.
Queenkong an vielen Wänden
An vielen Mauern, Gebäuden und Brücken stechen einem tolle Graffiti ins Auge. Die phantasievollen, witzigen und auch mal politischen Botschaften prägen das Stadtbild und frischen die grauen Wände auf. Das würden sie auch in Luzern machen, wie die Erfahrung mit dem grossflächigen Bild «Queenkong» im Himmelrich gezeigt hat. Schade, dass solche Malereien bei uns meistens eine «Zwischennutzung» sind und zusammen mit den alten Gebäuden abgerissen werden.
Beizen und Kulinarik
Essen kann man in Belgrad gut und günstig. Am besten gefallen haben mir die serbischen «Kanepas», die traditionelle Gerichte im Angebot haben. In diesen Restaurants tingeln oft auch kleine Orchester von Tisch zu Tisch und bieten Unterhaltung. Mein Lieblingsgericht ist «Sarma» – in Kabisblätter gewickeltes Fleisch, serviert mit Kartoffelstock. Zugegebenermassen habe ich nach dieser Zeit eine Überdosis an Fleisch und freue mich auf eine vielfältige Gemüseküche in der Schweiz. Vegetarische Leute haben es in Serbien nicht einfach. Nichtraucher übrigens auch nicht: Fast in allen Cafés und Restaurants wird geraucht und ich rauchte fleissig mit. Das wird mir fehlen.
Luzern meets Belgrad
Ich war der erste Gast aus Luzern im Atelier Belgrad, an dem sich die Stadt Luzern seit letztem Jahr als Pilotprojekt beteiligt. Dass ich die Gelegenheit bekommen habe, hier vier Monate mit meinen Schreibereien zu verbringen, war für mich grandios. Entsprechend viel Zeit habe ich denn auch in der charmanten Wohnung an zentraler Lage verbracht und an diversen Projekten gearbeitet. Ein kleines davon war auch dieser Blog, der mit dem Eintrag heute beendet ist. Ich hoffe, dass noch viele Kulturschaffende aus der Schweiz und Luzern das Atelier in Belgrad nutzen können – eine gute Sache. Und jetzt heisst es für mich: Dovidjenja – auf Wiedersehen!
Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.