Prägende Luzerner Politikerin

Alt-Nationalratspräsidentin Judith Stamm ist tot

Judith Stamm 2019 in der zentralplus-Redaktion. (Bild: mbe.)

Die Luzerner Alt-Nationalratspräsidentin Judith Stamm ist verstorben. Das teilte die Mitte-Partei des Kantons Luzern auf Twitter mit. Stamm wurde 88 Jahre alt.

Judith Stamm war eine Vorreiterin der Frauenbewegung in der Schweiz, und besonders auch im Kanton Luzern. Von 1971 bis 1984 vertrat sie die damalige CVP im Grossen Rat. Sie wurden anschliessend in den Nationalrat gewählt und war dort von 1983 bis 1999 im Amt.

Mit ihrer wichtigen Motion im Nationalrat für die Durchsetzung des Gleichstellungsartikels der Bundesverfassung ebnete sie den Weg für die heutige Stellung der Frau. Die am linken Flügel der CVP politisierende Politikerin erreichte damit, dass nur zwei Jahre danach das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau (EBG) geschaffen wurde.

Aber auch in anderen sozial- und auch umweltpolitischen Themen war sie sehr aktiv und stiess damit ländliche und konservative Parteikreise vor den Kopf. In der Stadt und der Agglomeration traf sie aber den Nerv der Zeit. So setzte sie sich auch für die Fristenlösung als strafrechtlichen Grundlage bei Schwangerschaftsabbrüchen ein.

Erste weiblicher Polizeioffizierin

Unter den ersten war Stamm nicht nur bei den Wahlen. Die in Zürich aufgewachsene gebürtige Schaffhauserin doktorierte in Rechtswissenschaft und trat 1960 als Polizeiassistentin in das Luzernische Polizeikorps ein. Sie brachte es bis zur «Frau Oberleutnant» und war damit die erste weibliche Polizeioffizierin der Schweiz.

Als Kriminalbeamtin engagierte sie sich früh für eine Reform der Befragungspraxis bei Opfern von Sexual- und Gewaltdelikten. Nach 20 Jahren Kantonspolizei wurde sie Jugendanwältin.

Judith Stamms Hauptanliegen waren stets die Frauen. Sie legte sich auch spektakulär ins Zeug. «Nehmen Sie Platz, Madame» – dieser Aufruf, mit dem die von ihr von 1989 bis 1996 präsidierte Eidgenössischen Frauenkommission im Wahljahr 1991 die Männer zum Sesselrücken aufforderte, war ganz nach dem Geschmack von Stamm: präzis, höflich und provokativ.

1986 kandidierte Stamm gegen Partei und Fraktion, gegen Flavio Cotti und Arnold Koller, auf eigene Faust als Bundesrätin. Sie verpasste die Wahl klar, markierte aber eindrücklich den Willen der Frauen zur Vertretung in der Landesregierung.

Ziel von Sprengstoffanschlag

Judith Stamm präsidierte von 1998 bis 2007 die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) und die Rütlikommission, die die Bundesfeier auf der Rütliwiese organisiert. Stamm war seit der Gründung der SGG im Jahre 1810 die erste Frau in diesem Amt und die erste Person, die nicht aus dem Kanton Zürich stammte.

Wegen Störaktionen musste die SGG in jenen Jahren den Zutritt zum Rütli einschränken. Bei ihrem Rücktritt als SGG-Präsidentin im Herbst 2007 war Stamm neben zwei weiteren Zentralschweizer Politikern und SGG-Mitgliedern Ziel von Sprengstoffanschlägen auf Briefkästen. Verletzt wurde niemand.

Stamm erhielt für ihr Engagement auch mehrere Auszeichnungen. 2002 erhielt sie die Ehrennadel der Stadt Luzern. 2011 wurde sie Ehrendoktorin an der Juristischen Fakultät der Universität Basel. 2008 erschien ihre Biografie unter dem Titel «Beherzt und unerschrocken. Wie Judith Stamm den Frauen den Weg ebnete.»

Stamm war auch Gründungsmitglied des Luzerner Vereins Medien.Meinung.Vielfalt MMV, der zentralplus während der Aufbauphase unterstützte.

Verwendete Quellen
  • Meldung der SDA
  • Archiv zentralplus
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