Quartiere sollen geschützt werden

Neuer Streit um Stadtzuger Verkehrspolitik steht bevor

Der Schleichweg mit Nervenkitzel: Die steile Loretostrasse in Zug für Pendler Richtung Ägerital ist so beliebt, dass sich die Autos hier stauen.

(Bild: woz)

Wie soll die Zuger Innenstadt vom Verkehr befreit werden? Seit der Ablehnung des Stadttunnel-Projektes in einer kantonalen Abstimmung ist die Stadtzuger Politik ratlos, wie es in Sachen Verkehrsproblematik weitergehen soll. Ein parlamentarischer Vorstoss fordert nun vom Stadtrat rasches Handeln.

Neue Strassen bedeuten automatisch mehr Verkehr. Dies ist die Grundannahme jeder grünen Verkehrspolitik. Und sie treibt nun die beiden grünalternativen Zuger Stadträtinnen Tabea Zimmermann Gibson und Michèle Willimann dazu, vom Zuger Stadtrat vorauseilende Massnahmen einzufordern.

2021 wird die Tangente Zug/Baar eröffnet. Die neue Strasse soll die Ägerital-Gemeinden an die Autobahn anbinden und ausserdem den Norden der Stadt Zug und den Süden von Baar erschliessen.

Dosiersysteme und Geschwindigkeitsbeschränkungen

Deshalb soll die Stadt jene Quartiere und Strassen entlasten, welche bisher als Einfallsachsen von Osten her herhalten mussten – also die Loretostrasse als Teil der sogenannten «grauen Gutschrank-Abfahrt» und die Ägeristrasse.

Ausserdem soll die Stadt jene Strassen im Norden der Stadt Zug schützen, die durch die Tangente mehr Verkehr anziehen könnten: also Industriestrasse und die Baarerstrasse. Die beiden Alternativen denken an Riegel – zum Beispiel in Form von versenkbaren Pylonen – und Dosiersysteme – in Form von Ampeln. Ausserdem an mehr Tempo-30-Zonen.

Versprechen aus dem Abstimmungskampf

Ziel ist es, den individualisierten motorisierten Verkehr zu vermindern und den Langsamverkehr und öffentlichen Verkehr in der Stadt Zug aufzuwerten. Dies sei vor der Abstimmung über die Tangente Zug/Baar so versprochen worden.

Das Problem: Im offiziellen Abstimmungsbüchlein zur Tangente 2009 stand davon nichts. Denn das Zuger Kantonsparlament hatte alle flankierenden Massnahmen abgelehnt.

In der Abstimmungsbroschüre wurde erwähnt, dass 2,5 Kilometer zusätzliche Radwege geschaffen werden, die neue Strasse wenig Raum schlucke und quasi naturschonend gebaut werde. Dass sie im Verbund mit andern Grossprojekten im Kanton Zug den Verkehr «verflüssigen» und als Folge davon auch der ÖV weniger behindert würde.

Ein halbes Jahrhundert lang fast Stillstand

Der Hintergrund: Seit bald einem halben Jahrhundert wird in der Stadt Zug über Verkehrsentlastungen diskutiert. Die Kantonsregierung befand bereits vor über 40 Jahren, der Stadtkern sei in seiner «Lebensfähigkeit» bedroht. 1985 stand die erste Abstimmung zu einem Stadttunnel an (zentralplus berichtete).

Die Notwendigkeit einer zweiten Strassenverbindung nach Baar – die heutige Nordzufahrt – wurde rasch erkannt. Und immer wieder gab die Entlastung einer Einfallachse von Osten zu reden. Lange Zeit wollte man daher im Bereich des Gutschranks eine neue Abfahrt erstellen, bevor man die Idee zugunsten der Tangente fallen liess.

Masterplan zur Lösung der Probleme

Als Umfahrung von Zug kristallisierte sich nach der Jahrtausendwende ein Ensemble aus Nordzufahrt, Tangente und Stadttunnel heraus. Zusammen mit andern Grossprojekten wie der Umfahrung Cham-Hünenberg wurde dies als Massnahmenbündel verstanden, um die Verkehrsproblematik im Kanton Zug zu lösen.

«Es macht keinen Sinn, Massnahmen zu beschliessen, wenn man die künftigen Verkehrsströme nicht kennt.»

Christoph Iten, Fraktionschef CVP

So wurde es auch in besagtem Abstimmungsbüchlein geschildert. Von den Grossprojekten ist bisher aber nur die Nordzufahrt realisiert. Die Tangente ist im Bau, der Stadttunnel wurde an der Urne von der Kantonsbevölkerung abgelehnt (zentralplus berichtete). Die Umfahrung Cham-Hünenberg befindet sich immer noch in der Bewilligungsphase.

Wasser tropft aus jeder Ritze

Verkehr ist wie Wasser. Er sucht sich seinen Weg – und zwar den direktesten. Und er benützt Umwege, wenn man ihm die Passage verwehrt. Das ist die Grundannahme der Verkehrspolitik der SVP. Die ist daher gegen die Motion der Alternativen, welche vom Stadtrat Massnahmen bis Ende 2020 fordert – also noch vor der Eröffnung der Tangente im Jahr 2021.

Abstimmungsbroschüre zur Tangente aus dem Jahr 2009: So sollten die Verkehrsprobleme im Kanton Zug gelöst werden. Nicht realisiert sind Umfahrung Cham-Hünenberg, Stadttunnel Zug, Umfahrung Unterägeri. In Rotkreuz steht ausserdem ein neuer Autobahn-Halbanschluss zur Debatte.

Die SVP will den Verkehr möglichst flüssig durch die Ortschaften schleusen – ist daher auch dagegen, dass man etwa die die Zufahrt zur Loretostrasse, Industrie- und Baarerstrasse erschwert. «Die Tangente entlastet andere Strassen», sagt Gemeinderat Gregor R. Bruhin. «Warum also sollte man wieder neue Probleme an andern Orten schaffen, indem man den Verkehrsfluss erschwert?», fragt er.

Weniger Fussgängerstreifen?

Für Tempo 30 ist die SVP nur dann zu haben, wenn diese neuen Zonen «sicherheitsrelevant» sind. Also etwa neben Schulhäusern innerhalb von Quartieren. «Sonst sind wir gegen jedes Erschwernis, das den Verkehrsfluss behindert», sagt Bruhin.

Er fragt sich, ob man den Verkehr im Zuger Stadtzentrum – zwischen Kolinplatz und Bahnhof – nicht verflüssigen könnte, indem man einige Fussgängerstreifen aufhebt, oder durch Über- und Unterführungen ersetzt. «Davon gibt es auf diesem Abschnitt unzählige, die den Verkehr weiter ins Stocken bringen.»

Ohne Stadttunnel bleibt alles Stückwerk

Auf der Ägeristrasse – zusammen mit der grauen Gutschrank-Abahrt bisher die östliche Einfallsachse in die Stadt Zug, könnte die Eröffnung der Tangente zwar eine Abnahme des Verkehrs bringen. «Aber eine wirkliche Lösung auf diesem Abschnitt wird es ohne Stadttunnel nicht geben», so Bruhin. Wer vom Ägerital ins Stadtzentrum bei der Altstadt fahre, benütze nicht die neue Tangente.

«Der Stadttunnel ist aber für mindestens 30 Jahre vom Tisch. Er steht nicht einmal mehr im kantonalen Richtplan», sagt Bruhin. Das sieht auch Christoph Iten, der Fraktionschef der CVP, so.

Erst schauen, wie sich Verkehr entwickelt

«Wir finden die Gedanken der Motionäre grundsätzlich berechtigt», sagt der Christdemokrat. Allerdings solle man zuerst die Auswirkungen der Tangente abwarten und beurteilen. «Es macht keinen Sinn, bereits im Voraus flankierende Massnahmen zu beschliessen, wenn man die zukünftigen Verkehrsströme noch nicht kennt», so Iten.

Rot: Tangente Zug/Baar, gepünktelt: bisherige Verkehrsachsen, oben: Baar-Autobahn, Mitte: graue Gutschrank-Abfahrt, unten Ägeristrasse/Altstadt.

Beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Zug habe man auch mit einem gigantischen Verkehrschaos und viel zu wenig Parkplätzen gerechnet – am Ende war das Verkehrsaufkommen viel tiefer als erwartet und Parkplätze zur Genüge vorhanden.

Teil der Ortsplanung

Für Verkehrsmassnahmen sei die bevorstehende Ortsplanungsrevision «zwingend zu berücksichtigen». Bessere Velowege begrüsst Iten, es solle zudem geprüft werden, ob man dort neben E-Bikes auch die neuen E-Trottis zulassen könne. Tempo-30-Zonen will er allerdings nur abseits der Hauptverkehrsachsen, «wo es die Umgebung merklich aufwertet».

Weil die Verkehrsproblematik in der Stadt Zug seit sehr langer Zeit nicht gelöst wurde, hat sich der Schleichverkehr von Osten ins Stadtzentrum über die graue Gutschrank-Abfahrt via Loretostrasse und alte Baarerstrasse zum Lüssiweg oder zur Göblistrasse hin etabliert.

Statt Wohnstrasse eine zugestaute Abkürzung

Grau heisst sie deshalb, weil die Einfallsachse so nie geplant war. Sie ist nicht illegal, aber auch nicht erwünscht. Der oberste Teil davon, die steile Loretostrasse, ist ein Strassenstummel, der von Wohnblöcken und dem einzigen Oberstufenschulzentrum der Stadt Zug eingerahmt wird. In andern Städten wäre sie eine Wohnstrasse mit Tempo 20. In Zug aber ist sie zu den Stosszeiten von unten bis oben regelmässig zugestaut – und wird dann komplett zur blechernen Warteschlange.

Im Verlaufe der Jahre haben sich viele an dieses Unding gewöhnt. Ausser die Quartierbewohner. Bereits in den 1980er-Jahren liess der Quartierverein eine Studie erstellen und forderte den Einbahnverkehr auf der Loretostrasse und den Unterbruch des Lüssiwegs oberhalb der Kantonsschule.

Riegel bringt nichts

In den 1990er-Jahren folgte eine zweite Studie, die Nachbarschaft Lüssi forderte dauerhafte Massnahmen für die Sicherheit und Wohnqualität. Riegel und vorübergehende Absperrungen würden nichts bringen, hiess es.

Mittlerweile hat sich der Ton gemässigt – doch immer noch wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine wirksame Verkehrsberuhigung auf der Strasse gefordert, die im Bereich der Schule nicht einmal einen Fussgängerstreifen aufweist.

Neue Perspektiven?

Darauf kann das Quartier weiter nur hoffen. Die kürzlich erfolgte Einführung von Tempo 30 auf einem Teil des Stummels schreckt jedenfalls keinen Schleichverkehr ab. Denn auf der Loretostrasse muss man ohnehin mit Stau rechnen.

Die Motion der beiden ALG-Gemeinderätinnen könnte Zukunftsperspektiven fürs geplagte Quartier aufzeigen – falls sie bei der Gemeinderatssitzung am Dienstag überwiesen wird. Dies ist zwar meist nur Formsache im Parlamentsbetrieb.

Doch wenn die SVP und die politische Mitte keine Diskussion über eine Angelegenheit wünschen, werden Vorstösse wegen der herrschenden Mehrheitsverhältnisse mitunter kurz nach ihrer Einreichung abgeschmettert. Auch in diesem Fall könnte dies passieren.

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