Mehr Platz zur Rushhour

Neue Sparbillette: «Wir wollen Kunden gewinnen, die sonst nie den ÖV nutzen»

Im Regionalverkehr gibt es ab diesem Wochenende Sparbillette. Passepartout-Sprecher Romeo Degiacomi erklärt Sinn und Zweck des Angebots. (Bild: bic)

Als erster Tarifverbund der Schweiz bietet Passepartout Spartickets an. Vom Schnäppchenversprechen erhofft er sich einiges: Neue Kunden, solche die nach Corona wieder zum ÖV zurückkehren und weniger vollgestopfte Züge zur Rushhour. zentralplus hat nachgefragt, ob die hohen Erwartungen erfüllt werden können.

Es ist ein Novum in der Schweiz. Der Tarifverbund Passepartout bietet ab diesem Wochenende Sparbillette an (zentralplus berichtete). Passepartout, dem die Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden angehören, will damit gleich mehrere Ziele erreichen: Nach der Coronapandemie Kunden zurückgewinnen, die Auslastung der Züge zu Spitzenzeiten brechen und auch neue Kundinnen dazugewinnen.

Das Bedürfnis für vergünstigte Tickets sei da, ist man bei Passepartout überzeugt. Dies vor allem auch mit Blick auf die SBB, die im Fernverkehr seit 2009 solche Spartickets anbietet und in den letzten Jahren damit grossen Erfolg. Vergangenes Jahr wurden 8,8 Millionen solcher Sparbillette verkauft.

Dennoch: Bis anhin zeigten sich die Tarifverbunde – 17 davon gibt es in der Schweiz – äusserst skeptisch, was die Einführung solcher Sparbillette auf ihrem «Hoheitsgebiet» betrifft, wo in der Regel Zonenpreise gelten. Für ihr Zögern ernten die Verbunde seit Jahren Kritik vom Preisüberwacher und von der Politik. Nun prescht Passepartout als erster Verbund vor und führt auf sechs Zugverbindungen Spartickets an.

«Kunden sind preissensitiver geworden»

Bis zu 70 Prozent günstiger können nun also Billette innerhalb der Tarifregion Passepartout gekauft werden. Aber wer ist die Zielgruppe für dieses Angebot? Und reicht ein Rabat von ein paar Franken, um tatsächlich die gewünschte Lenkungswirkung zu erzielen? Passepartout-Sprecher Romeo Degiacomi ist zentralplus Red und Antwort gestanden.

zentralplus: Romeo Degiacomi, weshalb führt der Tarifverbund Passepartout das Sparbillett ein?

Romeo Degiacomi: Wir reagieren auf veränderte Mobilitätsbedürfnisse. Kundinnen und Kunden sind preissensitiver geworden, wenn es um die Wahl des Verkehrsmittels geht. Der Erfolg der Sparbillette im nationalen Fernverkehr war ein weiterer Grund, nun auch regional vergünstigte Billetts anzubieten.

zentralplus: Es gibt aber noch mehr Gründe, oder?

Romeo Degiacomi: Die mehr als 10-jährige Erfahrung der SBB mit Sparbilletten zeigt, dass sie mit diesem Produkt ausgewiesenermassen Neukunden gewinnen konnte. Dies war ein starkes Argument, die Idee für Luzern, Obwalden und Nidwalden zu prüfen.

zentralplus: Inwiefern war der politische Druck eine treibende Kraft? Der Preisüberwacher und verschiedene Parteien forderten solche Rabatte ja schon seit Jahren von den Tarifverbunden.

Degiacomi: Es war auch ein Faktor, der den Anstoss dazu gab, die Praxistauglichkeit der Sparbillette für unsere Verbundsregion zusammen mit den Transportunternehmen und den Bestellern zu prüfen.

«Gerade Familien, die in der Region Ausflüge unternehmen, können profitieren.»

Romeo Degiacomi, Mediensprecher Tarifverbund Passepartout

zentralplus: Weshalb ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um das Angebot zu lancieren?

Degiacomi: Die Coronalockerungen sind ein wesentlicher Faktor. Die Transportunternehmen spüren, dass der Freizeitverkehr seit den vergangenen Wochen zunimmt. Er ist aber noch lange nicht auf dem Niveau wie vor der Krise, auch hier kann das Angebot hoffentlich etwas bewirken. Die Tatsache, dass die Sommerferien vor der Türe stehen, trifft sich diesbezüglich natürlich auch gut. Gerade Familien, die in der Region Ausflüge unternehmen, können profitieren.

zentralplus: Sind Familien also die Zielgruppe für das Angebot?

Degiacomi: Sicherlich auch. Eine weitere Zielgruppe sind Personen, die den ÖV gar nicht oder nur wenig nutzen. Sie wollen wir für das Reisen mit dem ÖV gewinnen. Das sind beispielsweise Freizeitreisende. Es können aber auch ÖV-Pendler sein, die bisher am Wochenende meist mit dem Auto etwas unternehmen.

zentralplus: Sparbillette sind für sechs Strecken erhältlich (zentralplus berichtete). Wieso wurden gerade diese Strecken ausgewählt?

Degiacomi: Zur Lancierung orientiert sich das Angebot des Passepartouts eins zu eins an  den nationalen Sparbilletten. Zudem konnten die beteiligten Transportunternehmen bestimmen, auf welchen Strecken sie die Sparbillette einführen wollen.

zentralplus: Bleibt es bei diesen sechs Strecken?

Degiacomi: Wir starten mit diesem Angebot, werden uns aber laufend mit den Transportunternehmen und Kantonen austauschen und einen Ausbau des Angebots regelmässig prüfen.

«Beim Busverkehr mit einem sehr hohen Takt würde es mit diesem System schnell kompliziert werden.»

zentralplus: Wieso gibt's keine Sparbillette für den Busverkehr?

Degiacomi: Beim Busverkehr mit einem sehr hohen Takt würde es mit diesem System schnell kompliziert werden. Nur ein Beispiel: Was, wenn ein Bus Verspätung hat? Darf ich dann den nächsten nehmen? Gilt mein Ticket noch und wie kann das geprüft werden? Zudem gibt es innerhalb der Agglomeration zahlreiche Reisevarianten, um ein Ziel zu erreichen. Oberste Priorität für uns war ein möglichst einfaches Produkt, genauso, wie es sich national bewährt hat.

zentralplus: Wie sieht es bei längeren Fahrten mit weniger Verbindungen aus? Beispielsweise Busse, die ins Luzerner Hinterland oder ins Seetal führen?

Degiacomi: Das Thema wurde im Vorfeld diskutiert und es wäre zu einem späteren Zeitpunkt auch denkbar. Momentan wollen die Busunternehmen aber noch zuwarten. Von ihnen muss ein entsprechendes Signal kommen.

zentralplus: Check-in-check-out-Lösungen, wie die App Fairtiq, sind beliebt. Kann man damit auch von den Rabatten profitieren?

Degiacomi: Da es sich bei den Sparbilletten um ein Prepaid-Angebot handelt, funktioniert dies nicht. Das Sparbillett wird bis spätestens eine Stunde vor Abfahrt angeboten. Hier muss der Kunde also eine bewusste Entscheidung treffen, mit welcher Verbindung er reist. Das Sparbillett ist dann nur auf diesem bestimmten Zug gültig. Deshalb gibt es Passepartout-Sparbillette über die Apps von SBB, BLS und öV-Plus. Bei Check-in-Apps hingegen checken Sie direkt vor der Abfahrt ein, daher gibt es bei Fairtiq keine Sparbillette.

zentralplus: Wie viele Sparbillette werden eigentlich täglich angeboten?

Degiacomi: Eine fixe Zahl gibt es nicht. Die jeweiligen Transportunternehmen können selbst entscheiden, wann sie wie viele Tickets vergünstigt anbieten. Zentrales Kriterium ist die Auslastung einer Verbindung. Die Sparbillette sollen nicht zuletzt auch eine gewisse Lenkungswirkung haben, um die hohe Auslastung zu Spitzenzeiten zu brechen. Kunden profitieren im Gegenzug von weniger stark ausgelasteten Zügen und vergünstigten Preisen.

«Wenn eine mehrköpfige Familie oder eine Reisegruppe unterwegs ist, schenken die Rabatte durchaus ein.»

zentralplus: Glauben Sie denn auch wirklich an eine Lenkungswirkung? Die Rabatte sind logischerweise wesentlich tiefer als im nationalen Fernverkehr und betragen höchstens ein paar Franken.

Degiacomi: Auch hier kommt es darauf an, wer das Angebot nutzt. Als Einzelticket mögen die Vergünstigungen zwar nicht gewaltig sein, wenn aber eine mehrköpfige Familie oder eine Reisegruppe unterwegs ist, schenken die Rabatte durchaus ein.

zentralplus: Können Sie ein Beispiel machen?

Degiacomi: Von Sursee nach Engelberg kostet heute eine Passepartout-Tageskarte mit Halbtax 26 Franken, mit je einem Sparbillett für Hin- und Rückfahrt bezahlen Sie mit einem maximalen Rabatt von 70 Prozent noch rund 8 Franken. Das Sparbillett ist jedoch nur auf den jeweils ausgewählten Zugsverbindungen gültig, bei der Tageskarte können Sie fahren, wann Sie wollen.

zentralplus: Mit was für Mehreinnahmen rechnet Passepartout durch die Sparbillette?

Degiacomi: Wir rechnen zum Start mit jährlichen Mehreinnahmen von rund 300'000 Franken.

zentralplus: 2019 verzeichnete der Tarifverbund Passepartout einen Umsatz von rund 110 Millionen Franken. Die Spartickets werden also nicht ein wesentliches finanzielles Standbein für den Verbund sein.

Degiacomi: Nein, das sicherlich nicht. Es ist ein Zusatzprodukt. Der Umstand, dass es finanziell nicht wesentlich ins Gewicht fallen wird, ist auch ein grosser Vorteil.

zentralplus: Der da wäre?

Degiacomi: Es gibt dem Produkt eine gewisse Zeit, um bei den Kunden anzukommen. Die Wirkung wird denn auch erst mit einiger Distanz analysiert werden können.

zentralplus: Der nationale Branchenverband Alliance SwissPass, welchem die Tarifverbunde und auch rund 250 Transportunternehmen angehören, betrachtet das Passepartout-Sparbillett als eine Art Pilotprojekt. Je nachdem, wie es hier läuft, werde man die Einführung des Angebots in anderen Tarifverbunden oder gar auf nationaler Ebene angehen. Ist es für Passepartout ebenfalls ein zeitlich begrenztes Pilotprojekt?

Degiacomi: Nein, für uns ist es kein Pilotprojekt auf befristete Zeit. Wir werden sicherlich in einem Jahr eine Zwischenbilanz ziehen. Wie erwähnt gehen wir aber davon aus, dass es Zeit braucht, bis sich das Angebot etabliert. Wir stellen uns entsprechend auf ein längerfristiges Engagement ein und sind gespannt auf die Bedürfnisse und Rückmeldungen der Nutzenden und auch darauf, was wir daraus lernen können. Schliesslich wollen wir den Kundinnen und Kunden den Preisvorteil von Sparbilletten nun auch in unserer Region anbieten.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Stadtindianer
    Stadtindianer, 09.07.2021, 14:33 Uhr

    Und die in der Stadt lebende Bevölkerung darf weiterhin die exorbitanten Preise, ohne Halbtax Anerkennung bezahlen…

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  • Profilfoto von Walter W
    Walter W, 09.07.2021, 05:49 Uhr

    Sparbillette sind ein Affront gegen die GA Besitzer und regulär zahlenden Kunden. Die Bahn ist keine Fluglinie, nächstens gibt es nur noch im voraus buchbare Sonderkonditionen- das wird auf Dauer das System zerstören (siehe Grosser Kanton)

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  • Profilfoto von David G
    David G, 08.07.2021, 18:31 Uhr

    Leute die sonst nie den ÖV nutzen werden gar nicht wissen was Spabilette sind und auch nie Sparbilette verwenden. Eher müssten die Preise allgemein endlich sinken für den ÖV!!!

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