Fundbüros als Spiegel der Gesellschaft

Neben Uhren und Handys auch mal ein Glasauge

Uhren werden häufig vergessen.

Die Tendenz, Sachen zu vergessen und zu verlieren, hat zugenommen. Viele Alltagsgegenstände lagern in den Fundbüros von Luzern und Zug, aber auch so manches Skurille – vom Gebiss bis zur Handharmonika. Die meisten Gegenstände finden wieder ihren Besitzer, so zum Beispiel der Rucksack mit 10’000 Franken Bargeld, der einmal im Bahnhof Zug gefunden wurde. Doch mancher holt sein Eigentum trotz Aufforderung nie ab. Ein Blick ins Reich der verlorenen Schätze.

Das Fundbüro ist eine typisch schweizerische Dienstleistung, über die sich manche ausländische Besucher wundern. «Indische Touristen finden es einmalig, dass wir in der Schweiz gefundene Gegenstände aufbewahren, bis sie der Besitzer abholt. Das sei bei ihnen undenkbar», sagt Josef Fischer, Leiter des Fundbüros Luzern.

Sein Arbeitsort befindet sich in einem prächtigen historischen Gebäude am Hirschengraben. Das einstige Spital ist heute Sitz der Luzerner Polizei. Ich klopfe an die Holztüre, kurzes Warten, dann öffnet Fischer. Der freundliche, nüchtern-sachliche Polizist, der früher in der Einsatzzentrale arbeitete, leitet das Büro seit sechs Jahren. Drei zivile Mitarbeiterinnen, die sich 110 Stellenprozente teilen, unterstützen ihn.

8000 Fundgegenstände jährlich

In Luzern befindet sich das zentrale Fundbüro für den ganzen Kanton; früher erledigten die Polizeiposten die Fundsachen, diese Regelung wurde jedoch aufgehoben. Die meisten Gegenstände stammen aber ohnehin aus der Stadt. «Rund 8000 Gegenstände erhalten wir jährlich», erklärt der Fundbürochef. Vor zehn Jahren seien es noch halb so viele gewesen.

«Alles, was auf öffentlichem Grund gefunden wird, bewahren wir maximal ein Jahr auf. Was in den Bussen liegen bleibt, müssen wir laut Transportgesetz drei Monate behalten», sagt Fischer. Die SBB und die Schiffahrtsgesellschaft SGV haben eigene Fundbüros.

Fischer beginnt eine Führung durch sein «Reich der verlorenen Schätze». Im einen Raum werden die grösseren Gegenstände aufbewahrt, Taschen, Rucksäcke, Koffer. Dazwischen eine alte Handorgel. In einem Regal findet sich sogar ein defekter Rollator, der im Bus gefunden wurde.
Die Koffer können Deliktgut sein, wurden also eventuell jemandem gestohlen. «Wenn nichts Wertvolles drin ist, werden sie einfach stehen gelassen und landen dann bei uns», sagt Josef Fischer.

In einem Gestell haben die Angestellten gefundene Plastiksäcke samt Inhalt fein säuberlich an Haken aufgehängt. Wenn jemand anruft und den Sack beschreibt, können sie ihn so identifizieren. Dazu kommen viele kleinere Gegenstände – von Teddybärchen bis zum Fotoapparat, Geh- und Wanderstöcken.

Wertvollere Gegenstände im Büro

Im zweiten Raum des Fundbüros befinden sich Büro und Schalter. Hier werden die wertvolleren Fundobjekte aufbewahrt: Handys, Schlüssel, Portemonnaies, Brillen, Uhren und Schmuck. Rund 100 Portemonnaies würden monatlich abgegeben, häufig ohne Geld, erklärt Fischer.

Die Gegenstände werden mit dem Fahndungssystem Ripol abgeglichen. Bei Handys mit einer in der Schweiz registrierten SIM-Karte kann die Polizei den Besitzer einfach eruieren, desgleichen bei registrierten Kabaschlüsseln.

Ist der Besitzer oder die Besitzerin einmal bekannt, schickt das Fundbüro einen Brief, manchmal noch einen zweiten. Denn: «Es gibt Leute, die holen ihr Eigentum trotz Aufforderung leider nicht ab», sagt Fischer. Auf die Handys wird ein Kleber mit Strichcode geklebt. Fischer zeigt mit einem Lesegerät, wie man im Computer den erfassten Fall und die Adresse aufrufen kann.

Ein Glausauge…

Was sind die skurrilsten Gegenstände, die je im Fundbüro landeten? «Ein Glasauge ist einmal abgegeben worden, in einer Schachtel», erinnert sich Fischer und lächelt. «Im Moment sind wir erschrocken, weil wir nicht wussten, ob es ein echtes Auge war.» Es war aus Glas, defekt, wurde von niemanden vermisst und schliesslich entsorgt.

Auch Gebisse gehen verloren. Erst kürzlich hat ein Mann seines abgeholt, ein weiteres lagerte beim Besuch von zentral+ im Fundbüro.

Beim Finden der Besitzer helfen laut dem Polizisten manchmal Medienberichte. «Wir hatten Jahre lang ein Ölbild bei uns, das niemand abholte. Als eine Zeitung einen Bericht mit einem Foto davon publizierte, meldete sich ein Mann und erklärte freudig, dieses Bild vermisse er schon lange. Wir fragten ihn, ob er sich als Besitzer ausweisen könne. Daraufhin wies er uns auf einen kleinen Zettel an der Rückseite des Bildes hin und konnte uns genau beschreiben, was darauf geschrieben stand.» Bingo.

Doch nicht immer sind Medien nur hilfreich. Denn mancher Schlaumeier kommt auf die Idee, sich aufgrund eines Fotos in der Zeitung als vermeintlicher Besitzer zu melden. Deshalb darf zentral+ den Schmuck und den Tresor nicht fotografieren. Ebenfalls verlockend wäre es wohl, die 2’500 Franken in Scheinen abzuholen, die kürzlich in einem Treppenhaus in Luzern gefunden wurden.

Positive Reaktionen und Freudentränen

Das Fundbüro ist oft ein Ort der Freude, wenn die Besitzerin oder der Besitzerin einen geliebten Gegenstand wieder findet. «Die meisten Leute sind sehr dankbar, dass wir sie ausfindig machen konnten», sagt Fischer.
Das mit dem Finderlohn ist so eine Sache: Laut ZGB hat ein Finder zwar grundsätzlich Anspruch auf einen «angemessenen» Finderlohn. Dieser wird jedoch nicht genau beziffert. Eingebürgert hat sich in der Schweiz ein Finderlohn von 10 Prozent des Werts. Er nimmt ab, je wertvoller der Gegenstand ist. Und durchsetzen lässt sich die Sache nur schwer, Rechtsfälle gibt es laut einem Experten noch nicht.

Die Fundbüro-Angestellten in Luzern gehen deshalb pragmatisch vor: Sie kassieren den Finderlohn vom Besitzer ein und leiten ihn an den Finder weiter.

Was niemand abholt, wird zwei Mal im Jahr vom Betreibungsamt versteigert. Die letzte Versteigerung fand Ende November statt. «Von 400 versteigerten Gegenständen kamen nur vier retour», sagt Josef Fischer. Der Rest geht, wenn es vertretbar ist, teilweise an gemeinnützige Organisationen. Liegen gelassene Kleider stammen nur aus den Bussen. Kleider aus Betrieben (Läden oder Restaurants) nimmt das Fundbüro nicht mehr an.

Im Kanton Zug bei den Polizeiposten

Das Fundbürowesen im Kanton Zug ist etwas anders organisiert. Genauer gesagt ist es das traditionelle Modell, das Luzern aufgegeben hat. Jeder Polizeiposten hat ein Fundbüro. Die Polizeien verwalten die Sachen im Auftrag der Gemeinde, nehmen gefundene Gegenstände entgegen und händigen sie den Besitzern wieder aus.

Laut Marcel Schlatter, Mediensprecher der Zuger Polizei, gab es im vergangenen Jahr 1’129 Fundmeldungen und 332 Verlustmeldungen.

Das grösste Fundbüro unterhält der Hauptposten Zug. Weil dieser wegen Umbau momentan geschlossen ist, zeigt Schlatter zentral+ deshalb den Polizeiposten Baar. Das dortige Fundbüro ist bescheiden. Es besteht aus ein paar Schubladen neben dem Schalter der Gemeindepolizei. Auch in Baar sind Schlüssel, Handys, Portemonnaies und Brillen die am häufigsten verlorenen Objekte. Manches liefert auch das Hallenbad Lättich, oft Ohrsteckerchen oder andere Gegenstände, die im Filter hängen geblieben sind. Die vermisse aber kaum jemand.

Rucksack mit 10’000 Franken

Spektakuläre Fundgegenstände sind im ganzen Kanton selten, sagt Schlatter. «Einmal haben wir einen Rucksack am Bahnhof Zug gefunden mit 10’000 Franken Bargeld. Der Besitzer war ein Mann, der den Banken nicht mehr traute und sein Geld deshalb mit sich herum trug.» – Offenbar war er aber doch zu wenig vorsichtig, da er sein Vermögen fast verloren hätte.

Natels für die Polizeihundeführer

Gebisse werden auch ab und an gefunden. Bei wertvollen Gegenständen gilt auch in Zug die Finderlohn-Regelung, aber die Behörden ziehen das Geld nicht ein. «Das ist eine Sache zwischen den beiden Parteien», sagt Marcel Schlatter.

Nicht abgeholte Fundgegenstände werden auch in Zug versteigert oder entsorgt. Die Schlüssel würden geschreddert, die brauchbaren Brillen exportiere das Zuger Fotogeschäft Grau in Entwicklungsländer. «Die alten Natels geben wir den Polizeihundeführern», sagt Schlatter, «sie können damit das Aufspüren von Deliktgut mit den Tieren trainieren.»

Schuhe und Kinderwagen

Die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) unterhält ein kleines Fundbüro bei der Schiffanlegestelle in Luzern.«Nichts besonderes», beschreibt Erich Wey von der SGV die Fundgegenstände. «Regenschirme, Schals, Kleidungsstücke werden oft liegen gelassen, manchmal auch ein Fotoapparat oder ein Natel.» Im Sommer sei die Hochsaison der verlorenen Gegenstände. Zu den eher ungewöhnlichen Fundgegenständen gehören Bergschuhe, Kinderwagen und Ski. Ausflügler lassen aber auch mal ihren Wander- oder Gehstock stehen. «Da sieht man, wie erholsam eine Schifffahrt bei uns ist, Passagiere können zeitweise wieder laufen», sagt Hermann Wey schmunzelnd.

Die SGV unterhält ein kleines Lager. Gemäss Reglement müsse man Fundgegenstände mit einem Wert bis zu 50 Franken einen Monat aufbewahren. «Dann werden sie in der Regel entsorgt», sagt Wey. Was wertvoller ist als 50 Franken, wird drei Monate aufbewahrt. Der SVG-Mitarbeiter schätzt, dass über die Hälfte der Gegenstände wieder abgeholt werden. Manchmal, so Wey, ginge auch einmal ein Kind verloren, «da wurde schon manche Träne vergossen beim Wiedersehen mit den Eltern.»

SBB schicken alles nach Brig

Die SBB haben ihren Fundservice vor einigen Jahren automatisiert und zentralisiert. Die Verlustmeldung im Internet ist kostenlos. Alles, was in den Zügen gefunden oder in den Bahnhöfen abgegeben wird, wandert in die Fundzentrale in Brig. Von Brig geht der Gegenstand wieder in die Region des Empfängers zurück, wenn dieser sich gemeldet hat. «Wenn zum Beispiel jemand aus Emmen etwas verloren hat, kann er den Gegenstand im Bahnhof Luzern wieder abholen, im Kanton Zug im Bahnhof Zug», sagt SBB-Mediensprecher Stefan Wehrle. Rund 100’000 Gegenstände werden jährlich in den Zügen gefunden, davon 12’000 Handys.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Kruemelmonster
    Kruemelmonster, 03.02.2014, 14:48 Uhr

    Wenn ihr mal was verliert im Zug, könnt ihr bei der SBB ein Suchformular aufgeben. Aber meistens kriegt man erst nach ca. 5 Tagen einen Anruf. Also nicht sofort in den Laden und ein neues Handy oder eine neue Keksdose kaufen 🙂

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