Genesio Colatrella schafft neue Fussballprofis

Nachwuchschef: «Der FC Luzern ist wie ein rostiges Auto»

FCL-Nachwuchschef Genesio Colatrella hat wenig Verständnis für den Entscheid, dass Nachwuchstalent Bradley Fink sein Glück in Dortmund suchen wird.

(Bild: pze)

Der FC Luzern hat in der jüngeren Vergangenheit stark in den eigenen Nachwuchs investiert. Man ernte heute die Früchte jahrelanger Arbeit, sagt der Chef der künftigen Stars. Genesio Colatrella warnt allerdings davor, Junge mit Ecken und Kanten auszusortieren. Dank «seinen» Jungs prophezeit er dem FCL aber eine rosige Zukunft.

Der FC Luzern startet diesen Samstag gegen Lausanne in die Rückrunde. Der Innerschweizer Club kämpft dabei um den Klassenerhalt. Um dieses Ziel zu schaffen, setzt der Verein nicht zuletzt auf den eigenen Nachwuchs. Die «Vision 21» sieht vor, dass Eigengewächse in der ersten Mannschaft auflaufen – auch um Identifikation zu schaffen bei der hiesigen Bevölkerung.

Im letzten Jahr debütierten denn auch fünf Zentralschweizer Spieler unter 22 Jahren in der Super League. Dass die Jungen Verantwortung übernehmen müssen, zeigt der letztjährige Torhüterwechsel von David Zibung zum heute 24-jährigen Jonas Omlin. Zu den Nachwuchsspielern aus der Region kommen junge Zukäufe wie Marvin Schulz (23), Shkelqim Demhasaj (21), Dren Feka (20) oder der Basler Leihspieler Dereck Kutesa (20). 

Zeit, beim Nachwuchschef nachzufragen, wie es um die künftigen Stars in der Swissporarena bestellt ist.

zentralplus: Genesio Colatrella, wie steht es um den Luzerner Nachwuchs? Hat der FCL den nächsten Lionel Messi in seinen Reihen?

Genesio Colatrella: (lacht) Was glauben Sie: Hätte ich den nächsten Messi, würde ich das hier einfach so sagen?

zentralplus: Das ist kein Nein.

Colatrella: Einen Messi hatte Luzern ja noch nie. Aber um unseren Nachwuchs steht es sehr gut. Vor allem mit der klaren Ausrichtung des Clubs, eigene junge Spieler in die erste Mannschaft bringen zu wollen.

zentralplus: Die Nachwuchsstrategie des FCL erfordert langjährige Planung. Die Spieler werden über Jahre aufgebaut. Wer behält den Überblick über die Talente?

Colatrella: Zum einen unser Talentmanager Michel Renggli, er hat ein gutes Auge für das Potenzial von jungen Spielern. Aber es gehört auch zum Job des Sportkoordinators Remo Meyer, die Übersicht über die eigenen Jugendspieler zu haben.

zentralplus: Dass der Sportchef die Jugendspieler analysiert, war nicht immer so. Früher ging man, wenn alle Stricke rissen, zum U21-Trainer und sagte, man brauche unbedingt einen Spieler fürs Wochenende.

Colatrella: Das ist heute anders. Bis mindestens zur U16-Jugend kennt der Sportkoordinator die Spieler. Man plant heute den Weg in die erste Mannschaft genauer, es hängt nicht mehr von einzelnen Leistungen in ganz bestimmten Spielen ab.

«Dass junge Spieler eine Meinung vertreten, wird zu wenig zugelassen.»

zentralplus: Wie viel Glück braucht man als junger Spieler?

Colatrella: Wir versuchen, stets die besten der Jahrgänge gezielt in die erste Mannschaft zu bringen. Der Faktor Glück spielt durch die nahe, professionelle Begleitung eigentlich keine Rolle mehr.

zentralplus: Häufig sagt man, im modernen Fussball werden die Junioren auf Leistung getrimmt. Dafür gibt es keine Charakterköpfe mehr. Man lernt den Umgang mit Medien und der Öffentlichkeit. Ein Oliver Kahn, ein Stefan Effenberg oder ein Eric Cantona – Spieler mit Ecken und Kanten – wären mit der heutigen Jugendförderung kaum mehr möglich, die würden als undiszipliniert aussortiert. Stimmt das?

Colatrella: Diese Gefahr besteht. In der heutigen Ausbildung wird Persönlichkeitsbildung zu wenig gewichtet. Dabei ist es doch so: Hat ein junger Spieler bereits eine Meinung, eine Haltung, so muss er das Recht haben, für diese einstehen zu dürfen. Und zwar ohne Gefahr zu laufen, blossgestellt zu werden. Dass junge Spieler eine Meinung vertreten, wird aber zu wenig zugelassen. Vor allem wenn ein Nachwuchsspieler in eine Profimannschaft rückt und gleich Stellung bezieht, können Trainer damit oft nicht umgehen und der Spieler wird aussortiert.

Genesio Colatrella, Technischer Leiter Nachwuchs, gilt ebenfalls als Kandidat.

In seinem Element: Genesio Colatrella während des Trainings.

(Bild: freshfocus/ Martin Meienberger)

zentralplus: Sprich: Wer nicht anständig ist, wird nicht Profi?

Colatrella: Um das klarzustellen: Persönlichkeit hat nichts mit Anstand oder Respekt zu tun, sondern man steht für etwas ein. «Gerry» Seoane rief, als er bei seinem FCL-Debüt den Platz betrat, seinen Teamkollegen zu: «Spielt den Ball zu mir.» Damals war er 16 Jahre alt. Er wollte sogleich Verantwortung. So entstehen Führungsspieler.

Chef der FCL-Talente

Genesio Colatrella ist seit Sommer 2015 Nachwuchschef beim FC Luzern. Der 46-Jährige war zuvor vier Jahre lang beim SC Kriens für den Nachwuchs verantwortlich. Als Spieler stieg Colatrella mit dem FC Thun in die Nationalliga A auf und spielte beim SC Kriens in der Nationalliga B. Neben Deutsch und Italienisch spricht er auch fliessend Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Englisch. Genesio Colatrella ist der jüngere Bruder der CSS-Chefin Philomena Colatrella. Nach dem Abgang von Sportchef Remo Gaugler wurde Colatrella als Nachfolger gehandelt, doch der FCL holte bekanntlich Remo Meyer.

zentralplus: Was wünschen Sie sich von den FCL-Trainern im Umgang mit solchen Spielern?

Colatrella: Die Trainer sollen ihnen die Freiheit geben, etwas auszuprobieren und die Verantwortung dafür zu übernehmen – und vielleicht zu scheitern. Einen Leader muss man auch Leader werden lassen.

zentralplus: Werden Sie in der Nachwuchsförderung künftig vermehrt darauf achten?

Colatrella: Ich befasse mich stark damit, ja. Ich möchte, dass Persönlichkeitsbildung ein Modul wird – wie Technik, Kondition oder Taktik. Ausserdem hatten wir das Glück mit Markus Babbel – und jetzt mit Gerardo Seoane –, Trainer zu haben, die eine Entwicklung dieser jungen Persönlichkeiten zulassen.

zentralplus: Die Junioren des FCL messen sich am Pfingstmasters-Turnier regelmässig mit dem Nachwuchs von internationalen Topvereinen wie Juventus oder Liverpool – und können bestehen. Warum entwickeln sich die Luzerner Junioren trotzdem nicht zu Profis auf gleichem Niveau?

Colatrella: Wir haben eine sehr gute Ausbildung. Vertreter von ausländischen Verbänden schwärmen von unserer Arbeit. Was uns im Gegensatz zu diesen Topteams fehlt, ist die Masse an Jugendspielern, aus denen wir die Allerbesten auswählen können. Wir bleiben bei unserem Scouting praktisch in der Region und kaufen fast keine Jugendspieler dazu, wie dies die Grossclubs tun.

zentralplus: Die Vision 21 will mehr Verankerung in der Region und mehr Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Der neue Cheftrainer Gerardo Seoane kennt die U21-Spieler sehr genau. Daraus ergeben sich Chancen. Ist die Wahl Seoanes für Sie als Juniorenchef erfreulich?

Colatrella: Natürlich nicht, ich habe meinen U21-Coach verloren. Jetzt brauche ich einen neuen (lacht).

zentralplus: Aber für den FCL ist es die richtige Wahl?

Colatrella: «Gerry» ist ein Profi. Viele sagen, er hätte zu wenig Erfahrung, dabei hat er viele Jahre auf Jugendniveau als Trainer gearbeitet. Er ist intelligent und hat die Kompetenzen, die erste Mannschaft zu führen.

«Wir geben nicht junge Spieler in die erste Mannschaft, nur um das Matchblatt zu füllen.»

zentralplus: Ist Seoane mit seiner Expertise in Bezug auf junge Spielern für den Nachwuchs ein Segen?

Colatrella: In Gesprächen mit ihm merkt man: Er weiss sehr genau, wann der richtige Zeitpunkt ist, einen Jungen nachzunehmen. Er erkennt Potenzial. Ist jemand gut genug für die Super League oder kann er möglicherweise noch weiter gehen? Er macht für jeden Spieler individuell eine exakte Planung.

zentralplus: Viele kritisieren, dass der FCL im vergangenen Jahr gestandene Spieler abgegeben und durch Jugendspieler ersetzt hat. Die Quittung kam mit dem Abstiegskampf. Hat man den Jungen zu viel Verantwortung aufgebürdet?

Colatrella: Ich sehe das anders: Markus Babbel hat, von aussen betrachtet, sehr sorgsam agiert. Beispiel Yannick Schmid: Er spielte gegen St. Gallen, machte sogar ein Tor. Im nächsten Spiel wurde er nicht mehr eingesetzt. Die Jungen bekommen Einsatzzeit und Erfahrung – aber müssen nicht konstant Leistung abliefern. Die Verantwortung liegt bei den routinierten Spielern.

zentralplus: Spieler aus der Talentschmiede sind günstiger als Zukäufe. Routiniers kosten Geld – und darum dreht sich’s beim FCL ständig. Eine Kritik an der Vision 21 ist, dass man auf Nachwuchsspieler setzt, um Geld zu sparen – dafür spielt man statt um Europa jetzt um den Abstieg.

Colatrella: Wir geben sicher nicht junge Spieler in die erste Mannschaft, nur um das Matchblatt zu füllen. Jeder, der den Sprung schafft, hat das Niveau, in der Super League zu bestehen.

zentralplus: Und welcher Tabellenplatz ist mit einem jugendlichen FCL realistisch? Kann man wieder auf das Niveau vergangener Jahre kommen?

Colatrella: Wenn man eine gezielte Planung macht, spielt man bald wieder vorne mit. Denn diese Spieler werden sich entwickeln. Ich bin von Gerardo Seoane und Remo Meyer überzeugt, die werden das langfristig aufbauen. Mit der jetzigen Strategie des FCL wird der Erfolg zurückkommen und damit auch die Zuschauer wieder ins Stadion. Ich ziehe gerne den Vergleich zu einem alten, rostigen Auto: Es braucht Zeit, ins Rollen zu kommen, doch wenn es einmal rollt, kann man es fast nicht mehr bremsen. (lacht)

Genesio Colatrella auf de Geschäftsstelle des FCL.

Genesio Colatrella auf der Geschäftsstelle des FCL.

(Bild: pze)

zentralplus: Also steckt man jetzt mitten in einem Umbruch?

Colatrella: Genau. Die Maschinerie ist jetzt angelaufen und wird immer besser funktionieren. Deshalb teile ich Marcel Kälins Meinung zur Vision 21: Wir wollen Feste feiern. Und das werden wir.

zentralplus: Was ist der Traum der Nachwuchsspieler des FCL: Blau-Weiss oder doch eher Barcelona und Real Madrid?

Colatrella: Das ist eine schwierige Frage. Wir werden verwöhnt von der Champions League, von grossartigem Fussball. Doch sind die Jungen einmal beim FCL, dann identifizieren sie sich mit dem Verein. Der FC Luzern ist das Aushängeschild der Region – da will ich als Junger hin. Vom Ausland träumen, das tun sicher viele, bei uns lernen sie aber, auf dem Boden zu bleiben. Sie merken, dass sie für den Traum des Profis erst ihre Hausaufgaben machen müssen.

«Die Eltern müssen dafür sorgen, dass die Spieler auch ein Leben neben dem Fussball haben.»

zentralplus: Für diese Entwicklung ist das Umfeld wichtig. Oft ist der Druck von zu Hause sehr gross. Man spricht von «Helikoptereltern», die nichts dem Zufall überlassen und ihrem Kind keine Freiräume mehr lassen. Wie erleben Sie die Luzerner Eltern?

Colatrella: Ich habe sehr gute Erfahrungen mit «unseren» Eltern gemacht. Ich habe sehr anständige Junioren. Diese Rückmeldung bekommen wir stets aus den Nachwuchsnationalmannschaften. Da kann ich nur ein Kompliment machen, da habe ich an anderen Orten Schlimmeres erlebt.

zentralplus: Was ist aus Ihrer Sicht wünschenswert? Wie verhalten sich die Eltern richtig?

Colatrella: Die Eltern sollen für die Jugendlichen Erzieher sein. Wenn die Jungs sich in einer Erholungsphase befinden, müssen sie sich gut regenerieren können. Die Jungs haben sechs Mal Training pro Woche, daneben noch Schule oder Ausbildung. Die Eltern müssen dafür sorgen, dass die Spieler auch ein Leben neben dem Fussball haben.

«Ich habe mich nicht mit dem Szenario Abstieg befasst.»

zentralplus: Was ist hinderlich?

Colatrella: Es wäre wünschenswert, wenn Eltern keine Spielanalysen machen oder keine Leistungseinschätzungen ihrer Kinder vornehmen. Ich weiss, das ist schwer. Aber dadurch kann das Selbstbild der Jugendlichen verzerrt werden. Das Fussballerische können die Eltern getrost uns überlassen.

zentralplus: Wie viele Jugendspieler werden im Jahr 2018 den Sprung in die erste Mannschaft schaffen?

Colatrella: In diesem Jahr werden es weniger sein als im letzten. Der Grund dafür ist, dass viele Spieler tiefere Jahrgänge haben. Sie sind körperlich noch nicht so weit. Vielleicht bekommen punktuell einzelne die Chance, wie jetzt Stefan Wolf. (Er schoss in seinem Debüt im Testspiel gegen Rotterdam ein Tor, A.d.R.)

Der Treffer des FCL-Nachwuchsspielers Stefan Wolf Mitte Januar:

 

zentralplus: Wenn der FCL absteigt, könnte man vermehrt Junge einbinden, da man auf tieferem Niveau einsteigt.

Colatrella: Für die Region und den Club wäre es extrem schade. Ehrlich gesagt habe ich mich nicht mit dem Szenario Abstieg befasst. Aber was ich weiss: Ein Junger kann sich nur verbessern, wenn er auf hohem Niveau spielen kann. Deshalb ist ein Abstieg auch für den Nachwuchs auf keinen Fall positiv.

zentralplus: Schafft der FCL den Klassenerhalt – unter Mithilfe der eigenen Nachwuchsspieler?

Colatrella: Ja, wir werden diesen Ligaerhalt schaffen. Auch weil die Nachwuchsarbeit eine hohe Qualität hat. Und wer weiss, vielleicht hat auch der FCL irgendwann einmal einen Lionel Messi.

zentralplus ist Medienpartner des FCL.

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