Huck Finn erobern mit Song Deutschland

Nach Loredana: Das sind die neuen Streaming-Millionäre aus Emmenbronx

Sie sind Huck Finn: Peter Steger (links) und Martin Fischer. (Bild: Flavio Leone)

Der neue Song «Bonfire» des Duos Huck Finn geht auf Spotify durch die Decke – vor allem in Deutschland. Wie es dazu kam, ist ein Lehrstück über die Mechanismen der Streaming-Dienste. Trotzdem verdienen die beiden Luzerner Musiker kaum Geld damit.

«The sun will rise again. It is in our hands», singt Peter Steger im Song «Bonfire». Und tatsächlich geht für das Luzerner Duo Huck Finn gerade die Sonne auf. Mitte Juli haben sie den Song veröffentlicht – und seither geht beim Streamingdienst Spotify die Post ab.

Kürzlich haben sie die Millionen-Grenze geknackt: So viele Leute haben sich den Song angehört. «Inzwischen sind es bereits 1,1 Millionen», sagt Martin Fischer, die andere Hälfte des Duos. Für Rapperin Loredana mögen solche Zahlen normal sein, für eine kleine Luzerner Indie-Band sind sie es nicht.

Zum Vergleich: Black Sea Dahu aus Zürich sind die Überflieger der Stunde im Indie/Folk-Bereich. Ihr Song «In Case I Fall for You» hat es seit 2018 zum Spotify-Wunder mit inzwischen fast 3,5 Millionen Hörern geschafft. Bei den monatlichen Hörern haben Huck Finn mit 190’000 die Zürcher Kolleginnen mit 130’000 bereits überholt.

Apropos Loredana: Wie diese kommen Huck Finn ursprünglich auch aus Emmenbrücke. «Wir sind nach Loredana die nächsten Streaming-Millionäre aus Emmenbrücke», sagt Fischer amüsiert.

«Wenn du’s auf die Playlists schaffst, hast du ein Publikum.»

Martin Fischer, Huck Finn

Seit 2015 hat man von Huck Finn nichts mehr gehört, nun haben sie im Oktober die 4-Song-EP «Go Far» veröffentlicht, auf der «Bonfire» drauf ist. «Dass wir unser Publikum so schnell wieder erreichen, ist schon krass», sagt Fischer.

Doch was brauchte es zur Spotify-Million – und was bringt sie der Band? Ein Lehrstück in fünf Akten.

Hier der Song «Bonfire»:

1. Der Song

Am Anfang steht ein Song mit Potential – Huck Finn hatten schon immer ein Händchen für knackige Popsongs. «Bonfire» ist mit seinen «Mmmmh»-Passagen und wummernden Bässen zwar eigenwillig, aber der Refrain schiesst schnell in die Gehörgänge und bleibt haften.

Dass da kein Hobby-Produzent dahintersteckt, hört man dem Track an, er ist fett produziert und arrangiert. Huck Finn haben bei Lars «The Music Guy» Christen in Zürich aufgenommen. Er weiss, wie Hits funktionieren und hat schon mit Damian Lynn, James Gruntz, Nemo oder Marc Sway gearbeitet. «Wir wollten einen Produzenten, der uns weiterbringt», sagt Fischer. Lars Christen mache Top-Level-Produktionen und hat das Duo entsprechend gefordert. Es brauchte den Profi, um dem Rohdiamanten den richtigen Schliff zu geben.

2. Die Playlists

Im Vor-Streaming-Zeitalter erreichte man die Leute über Presse und Radio – und kam so wiederum an Konzerte. Huck Finn ist ein schönes Beispiel, wie die Wege heute anders verlaufen.

Im Riesen-Universum von Spotify, wo sämtliche Musik zu jeder Zeit verfügbar ist, gibt es nur eine Chance, als kleiner Fisch Aufmerksamkeit zu erlangen: über die kuratierten Playlists. «Wenn du’s auf die Playlists schaffst, hast du ein Publikum», bringt es Fischer auf den Punkt. Ein Publikum, das eine Luzerner Band ohne Label sonst niemals erreichen würde. Denn die meisten User suchen nicht gezielt nach Alben oder Künstlern, sondern bekommen aufgrund ihres Musikgeschmacks Playlists serviert.

Huck Finn veröffentlichten ihre Songs über den unabhängigen Digital-Vertrieb iGroove, um auf allen Plattformen wie Spotify, Apple Music oder Deezer präsent zu sein. Wie man letztlich einen Platz auf den begehrten Playlists ergattert, hat mit Glück und den richtigen Kontakten zu tun. Es sind Menschen dahinter, die über hunderttausende von Plays entscheiden. «Man kann diese Leute nicht direkt angehen, die Kontakte werden gut gehütet», sagt Fischer.

3. Die Beziehungen

Wie haben es also Huck Finn gepackt? Ein ehemaliger Manager der Band hat gute Kontakte zu Spotify – und so landete Huck Finn auf einer Playlist mit dem unscheinbaren Namen «Herbstgefühle». Mit über 800’000 Abonnenten ist sie eine der Grössten im deutschsprachigen Raum. Zudem schafften sie’s auf die deutsche Playlist «New Music Friday», auf der jeden Freitag neue Songs gepusht werden.

Martin Fischer kann nur spekulieren, wer letztlich aufgrund welcher Kriterien darüber entschieden hat. Was er sicher weiss: «Music business is people business. Beziehungen helfen.»

«Bonfire ist ein Song für den Zusammenhalt – ein Anti-Trump-Song.»

Die Playlists machen also den Unterschied – und darum wird der Song der Luzerner nun vor allem in Deutschland rauf und runter gespielt: «Von den Orten mit den meisten Streams sind fünf in Deutschland, erst auf Platz sechs kommt Zürich», sagt Fischer, der eine genaue Statistik über die Verbreitung der Songs hat.

Die Zahlen sind beeindruckend: Im Schnitt hören täglich 13’000 Leute «Bonfire». Monatlich seien es 23’000 aus der Schweiz und 300’000 aus Deutschland. Und das sind nur die Zahlen des Platzhirschen Spotify – Youtube (immerhin fast 50’000 Klicks), Deezer oder Apple Music sind noch nicht mitgezählt.

«Wir haben mega Freude, dass es gerade dieser aus unserer Sicht mutige Song geschafft hat», sagt Fischer. Es sei ein Song für den Zusammenhalt und gegen das Böse auf der Welt. «Ein Anti-Trump-Song», ergänzt er. Auf einen Hinweis der Band auf Twitter hat dieser allerdings nicht reagiert:

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4. Das liebe Geld

Geld verdienen Huck Finn mit den Streams kaum, sie arbeiten beide in ihren angestammten Jobs. Bis jetzt bekamen sie von Spotify gerade mal ein paar hundert Franken. Fischer schätzt, dass es für 1 Millionen Plays etwa 3’000 Franken gibt. «Nice» sei das, letztlich vor allem eine schöne Motivation weiterzumachen.

«Spotify ist ein faszinierendes Universum.»

Ein substantieller Teil des Geldes wird abgezwackt. «Wenn ein Stream so wenig wert ist, wird die Musik entwertet», sagt Fischer. Er findet, dass sich da etwas ändern muss – die Rechnung geht nicht auf. «Wir sind nicht von der Musik abhängig, aber wenn man davon leben will, ist es sehr hart», sagt er. «Es müsste viel mehr Geld an die Künstler gehen und weniger an die Zwischenstationen und Anbieter.»

Jammern will Fischer deswegen nicht, im Gegenteil: «Wir haben mega Freude.» Auf rund 6000 Playlists sei «Bonfire» aktuell. «Das ist massiv, wir können uns das gar nicht vorstellen. Spotify ist ein faszinierendes Universum.»

5. Die Radios

Trotz Streaming-Erfolg ist die Bandkasse jetzt praktisch leer, der Produzent war teuer und pro Songs wendeten sie drei bis vier Tage im Studio auf. «Wir haben viel aus der eigenen Tasche investiert», sagt Fischer.

Einträglicher als Streamings wären die guten alten Radioairplays, die über die Verwertungsgesellschaft Suisa abgerechnet werden. Für einen Play bei Radio SRF gibt’s ein paar Franken.

Von den privaten Radiostationen waren die Feedbacks (wenn überhaupt) jedoch sehr verhalten. «Ich fänd’s schön, wenn Privat-Radios Schweizer Musik mehr supporten würden. Diese müsste mehr Platz haben im Programm», findet Fischer. Immerhin SRF 3 spielt Huck Finn – allerdings mit «I O U» einen anderen Song der EP.

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