Molières «Menschenfeind» im Luzerner Theater

Moralisch sein kann man später immer noch

Lukas Darnstädt (links) als Clitandre und Yves Wüthrich als Acaste im Menschenfeind. (Bild: Luzerner Theater)

Am Samstagabend feierte das Luzerner Theater Premiere mit dem «Menschenfeind» von Molière. Ein vergnüglicher und leicht verdaulicher Abend im altbekannten Theater.

Das Globe ist abgebaut, das Theater wieder so, wie wir es kennen. «Der Menschenfeind» ist die Einstandsproduktion des Schauspiels auf der grossen Bühne und fast ist man enttäuscht darüber, dieses Stück tatsächlich in seiner altbekannten Form zu sehen. Doch das ist schnell vergessen …

Zwei Stunden dauert der «Menschenfeind» auf der Bühne des Luzerner Theaters, doch davon merkt man nichts. Leichtfüssig, kurzweilig und vergnüglich ist der Abend vorbei, kaum dass er angefangen hat. Das Schmunzeln im Publikum wird schon in den ersten Minuten des Stücks zum lauten Gelächter. Der Franzose Jean-Baptiste Poquelin alias Molière war ein Meister der Komik, und er wäre wohl zufrieden. Besonders, was seinen Text angeht, der mit raffiniert gesetzten Pointen das menschliche Miteinander entblösst.

Natürliches Reimen

Die deutsche Übersetzung in gereimten Versen beeindruckt und überrascht in ihrer Natürlichkeit. Und sie gibt den teilweise ernsten Sätzen den komischen Nachklang, den die französische Komödie braucht. Tatsächlich ist es die Übersetzung vom grossartigen und unvergesslichen Jürgen Gosch und von Wolfgang Wiens.

1666 wurde das Stück uraufgeführt, selbstverständlich mit Molière selbst in der Hauptrolle, und es funktioniert mit seiner zeitlosen Thematik noch immer einwandfrei.

Alceste im Streit mit seinem Freund Philinte. (Bild: Luzerner Theater)

Alceste im Streit mit seinem Freund Philinte. (Bild: Luzerner Theater)

Die Handlung

Alceste, der Menschenfeind, wunderschön überdramatisch gespielt von Christian Baus, hat die Schönfärberei und falsche Freundlichkeit der besseren Gesellschaft satt. Er hat sich zur bedingungslosen Ehrlichkeit gegenüber seinen Mitmenschen verpflichtet – ohne Rücksicht auf deren Gefühle. Als ihn sein Bekannter Oronte bittet, eines seiner Sonette zu beurteilen, schont Alceste den Poeten nicht und kränkt ihn tief. Das kümmert Alceste jedoch wenig.

Viel stärker beschäftigt ihn, dass seine geliebte Célimène es mit der Ehrlichkeit nicht genau nimmt. Sie lästert über Menschen, denen sie später schmeichelt. Alceste sieht so lange über ihre Ausfälle hinweg, bis er selber Opfer ihrer Doppelzüngigkeit wird. Und schliesslich muss er sich entscheiden: für seine Liebe oder für seine Prinzipien. 
 
Der grosse Konflikt des Stücks: Die unbedingte Wahrhaftigkeit steht dem Erfüllen des «guten Geschmacks» gegenüber. Wie viel Ehrlichkeit verträgt der Mensch? Wie viel Ehrlichkeit verträgt eine Gesellschaft? – ein zeitloses Thema. Und auch heute stimmt leider zu oft, was Molière schon formulierte: «Wer nicht die Gabe hat, seine Gedanken zu verstecken, hat hierzulande sehr wenig zu suchen.»

Wiebke Kayser als Arsinoé in einem wenig angenehmen Gespräch mit Célimène (Stefanie Rösner). (Bild: Luzerner Theater)

Wiebke Kayser als Arsinoé in einem wenig angenehmen Gespräch mit Célimène (Stefanie Rösner). (Bild: Luzerner Theater)

Ein Salon der Eitelkeiten

Die Inszenierung von Niklaus Helbling hält sich zurück, überlässt dem Text und dem komischen Talent der Schauspieler die Bühne. Mit komödiantischen Tanzeinlagen – wie beispielsweise dem Balztanz von Oronte und Alceste und den Kämpfen – wie auch mit den romantischen Annäherungen der Figuren bringt es die Inszenierung auf den Punkt, ohne sich selbst zu feiern.

Helbling setzt die Handlung in einen Salon der Eitelkeiten, in welchem jede Äusserlichkeit und jede Äusserung genaustens im Visier der Gesellschaft stehen.

Die Kostüme von Kathrin Krumbein könnten auch gut und gerne an einer Modeschau gezeigt werden, wozu auch die Musik bestens passen würde. Die ungewöhnlichen Schnitte, die Schuhe und die Farben erinnern an das Kapitol von Panem oder die modernen Interpretationen der Welt von Versailles. Wilde Frisuren ergänzen das Bild mit blauen Bärten, Haarknoten für die Herren und toupierten Mähnen für die Damen – für alle natürlich mit farbigen Extensions.

Das grosse Auge

Die Bühne wird von einem grossen Auge dominiert. Ansonsten sind ein gelbes Podest, eine Bank, ein Telefon, ein paar Holzstühle und ein Metallwürfel auf einer gross gemusterten Fläche die einzigen Elemente, die den Schauspielern zur Verfügung stehen.

Die Kombination der Teile und das dominante Auge im Mittelpunkt – das ist Geschmackssache. Sollte es die stetige Beobachtung durch die Gesellschaft symbolisieren, dann ist das Bild etwas gar abgegriffen. Weshalb auch der Vorhang beziehungsweise die bedruckte Leinwand mit dem geschlossenen Auge zwischen den Szenen immer wieder heruntergelassen wird, erschliesst sich mir ebenfalls nicht. Es gibt weder grosse Umbauten noch Zwischenspiele, welche dies verlangen.

Ein willkommener Gast und ein schöner Abschied

Der Gastschauspieler Hans-Jörg Frey ist als Oronte ein echter Glücksgriff. Seine ausdrucksstarken Bewegungen und seine affektierte Sprache bringen das Publikum zum Jubeln.

Philinte, stark gespielt von Jakob Leo Stark, und Alina Vimbai Strähler als Eliante lassen dann in den letzten Momenten des Stücks noch echte Romantik aufkommen, bevor sie in das offene Ende rennen.

Vergnügt und zufrieden machen wir uns nach dem lange dauernden Applaus auf den Heimweg. Es gab zwar kein Erzittern, keine Tränen, kein verzweifeltes Hinterfragen unserer Welt. Dieser Theaterabend hat nicht versucht, die Welt zu verändern. Aber wir haben gelacht. Viel gelacht und uns auch mal erwischt gefühlt in unserem alltäglichen Verhalten. Und wie Molière es so schön sagte: «Später kann man immer noch moralisch sein.»

Das Bühnenbild, dominiert vom Auge und dem gelben Podest. (Bild: Luzerner Theater)

Das Bühnenbild, dominiert vom Auge und dem gelben Podest. (Bild: Luzerner Theater)

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