Spektakulärer Prozess in Zug

Mitarbeiter inszenierte Raubüberfall

Die Coop-Tankstelle an der Blegistrasse in Rotkreuz wurde 2013 überfallen. (Bild: mbe.)

Bei einem Überfall auf die Coop-Tankstelle in Rotkreuz 2013 wurden zwei Angestellte misshandelt, gefesselt und mit Klebeband geknebelt. Diese Woche stehen die mutmasslichen Täter, vier Kurden, in Zug vor Gericht. Darunter ist eines der «Opfer», das nur Theater gespielt hat.

Die vier Angeklagten wurden mit Fussketten und Handschellen von Polizisten in den Gerichtssaal geführt. Diese martialisch wirkende Massnahme ist in Zug üblich, seit einem Angeklagten vor einigen Jahren die Flucht durch die Tiefgarage gelang. Der Zürcher Anwalt Marcel Bossonet, der auch im «Fall Carlos» verteidigte: «Das sieht man hier nur selten. Ich will diese Praxis aber nicht kommentieren.»

«Es hätte der perfekte Raub sein sollen», sagte der Zuger Staatsanwalt Thomas Rein in seinem Plädoyer. Am 10. Januar 2013 wollten die Angeklagten den Coop Pronto an der Blegistrasse überfallen. Mit Hilfe ihres Kollegen O.A., eines Mitarbeiters des Shops. Dieser sollte den Kollegen nach einem inszenierten Überfall den Tresor-Code verraten. Das hatten die vier jungen Männer mit türkisch-deutschem Hintergrund in Weil am Rhein miteinander ausgeheckt. Der Mitarbeiter des Coop Pronto hatte erzählt, dass er bei einer Tankstelle arbeite. Seine neuen Bekannten plagten Geldsorgen. Sie fragten ihn, ob er bei ihrem Überfall-Plan mitmachen würde. Zuerst lehnte er ab, einen Tag später zu.

Versuchter Überfall

Am 10. Januar traf sich die Bande am Bahnhof Luzern. Man ging den Arbeitsplan von O.A. durch. Die drei wollten nach Ladenschluss, maskiert und mit einer Schreckschusspistole versehen, in den Tankstellenshop eindringen. Ihr Ziel: Möglichst viel Bargeld und sonstige Wertgegenstände erbeuten. Es sollte wie ein Raubüberfall aussehen, damit der Verdacht nicht gleich auf ihren Kollegen fiel. Einer ebenfalls anwesenden Mitarbeiterin, die nicht eingeweiht war, würde nichts passieren. Abgemacht war allerdings bereits damals, die Angestellten mit Kabelbinder zu fesseln und mit Klebeband zu knebeln.

Doch am Abend des genannten Tages lief alles anders. Kurz vor Ladenschluss um 23 Uhr parkierten die Männer in der Nähe der Tankstelle. Einer stand Schmiere, zwei gingen zum hinteren Bereich des Ladens und zogen sich Masken über. Dann gingen sie mit der Schreckschusspistole in der Hand zur Haupteingangtüre. Als die Türe nicht aufging und ausserdem ein Polizeifahrzeug vorbei fuhr, brachen sie ihr Vorhaben ab. Nach dem versuchten Überfall trafen sich die Täter gegen Mitternacht mit dem Shopangestellten und vereinbarten, am 20. Januar einen zweiten Versuch zu starten.

Zweiter Überfall gelungen

Doch die vier jungen Männer im Alter zwischen 24 und 28 Jahren planten auch diesmal zu wenig genau. Insbesondere erstellten sie keinen Rollenplan, und die Sache lief ihnen teilweise aus dem Ruder. Diesmal schloss die weibliche Angestellte die Haupteingangstüre einige Minuten früher als normal, sodass sich diese nicht mehr von aussen öffnen liess. Die Bande hatte abgemacht, dass O. A. ihnen für diesen Fall die Hintertüre öffnen sollte. Damit kein Verdacht auf ihn fiel, musste der Shopmitarbeiter seine Kollegin mit einem Trick dazu bringen, diese zu öffnen. Er sagte ihr, sie solle die WC-Rollen in der Kundentoilette wechseln, deren Eingang draussen liegt (siehe Bild unten). Die Frau hatte ihren Kollegen gebeten, aus Sicherheitsgründen mit ihr an die Hintertüre zu kommen, doch er blieb im Ladenraum.

Brutal vorgegangen

Als die Frau die WC-Rollen gewechselt hatte, rannten zwei der Täter maskiert auf sie zu. Sie begann sofort zu schreien. Einer nahm sie daraufhin mit Gewalt in den Schwitzkasten, hielt ihr den Mund zu und drängte sie zur Hintertüre, in den Lagerraum hinein. Die schockierte Frau musste sich dort auf den Boden legen. Daraufhin kam O.A. in den Raum und wurde von einem Täter spielerisch für die Überwachunskamera zu Boden gerissen.

Die Täter fragten die Frau nach dem Code, sie verneinte, diesen zu kennen. Ein Täter hielt ihr darauf die Schreckschusspistole an den Hals. Sie bekam Todesangst, begann zu weinen und antwortete, dass ihr Kollege den Code kenne. Nachdem dieser die Zahl verraten hatte, klebte die Bande den beiden Mitarbeitern den Mund zu und öffnete den Tresor. Die Beute: Bargeld im Wert von über 40’000 Franken, Swisslose im Wert von 3’500 Franken und einige Coop-Geschenkgutscheine. Die Täter fuhren zu einem Bekannten ins Luzerner Hinterland, übernachteten dort, verteilten die Beute und fuhren heim nach Süddeutschland.

Videokamera und Telefonüberwachung

Die Untersuchungsbehörden tappten zuerst im Dunkeln über die Täterschaft, der Plan schien also aufzugehen. Der Staatsanwalt erklärte am ersten Prozesstag, wie man den Tätern auf die Schliche kam. Bei der Sichtung der Videoaufzeichnungen kam einem Beamten etwas nicht koscher vor, er schaute sich die «theatralische Szene» wieder und wieder an. Die Räuber hatten ihren Kollegen offenbar zu wenig überzeugend vermöbelt. Obwohl sie ihm mit der Schreckschusspistole sogar auf den Kopf geschlagen und ihn verletzt hatten.

O.A. wurde als erster verhaftet, war aber vorerst nicht geständig. Durch eine länderübergreifende Telefonüberwachung und Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden kam man den drei Komplizen auf die Spur, dann gestand er. Staatanswalt Thomas Rein erklärte, die nicht beteiligte zweite Angestellte des Coop Pronto leide heute noch unter den Folgen des Überfalls. Sie könne seither nicht mehr Nachtschicht arbeiten.

Nicht die erste Straftat

Alle vier Angeklagten haben bereits andere Delikte auf dem Kerbholz. Darunter Raub, schwere Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung. Teilweise sassen sie bereits Jugendstrafen in Deutschland ab.

Der 23-jährige ehemalige Tankstellen-Angestellte A.O. soll wegen eines umfassenden Geständnisses und seiner Reue mit 36 Monaten bestraft werden. Nur 18 Monate müsste er absitzen, der Rest ist mit einer Probezeit von drei Jahren aufgeschoben, so der Antrag des Staatanwalts. Dem Verteidiger ist das aber immer noch zu hoch, sagte er.
Den drei Komplizen wird zusätzlich zum Raub und zum versuchten Raub auch Diebstahl vorgeworfen: Sie hatten ein Zuger Nummernschild entwendet und gegen ihr deutsches Nummerschild ausgetauscht. Die Anträge lauten vier, viereinhalb und fünf Jahre Gefängnis. Alle Angeklagten sitzen seit 2013 im vorzeitigen Vollzug, getrennt, in verschiedenen Strafanstalten.

Die mutmasslichen Täter hätten ihre Aussagen immer wieder dem Stand der Ermittlungen angepasst, was auf Falschaussagen hinweise, sagte der Staatsanwalt. Die drei Komplizen schoben zum Beispiel die Schuld auf den Tankstellenmitarbeiter und sagten, sie seien davon ausgegangen, dass dessen Kollegin miteingeweiht sei und folglich mitspielen werde.

Drohung oder nur erfunden?

Der Prozess dauert noch diese Woche, mit der Urteilseröffnung wird am Freitagabend gerechnet. Der Prozessauftakt ging nicht ohne Nebengeräusche ab. Unter den Zuschauern sind viele Familienmitglieder. Gemäss einem Anwalt handelt es sich um Kurden. Ein Angeklagter beschwerte sich nach der Pause, ein Verwandter eines anderen Beschuldigten habe ihn verbal bedroht. Der Besucher leugnete dies dem Gericht gegenüber. Nur weil Aussagen gegen Aussagen stand, musste der Mann den Raum nicht verlassen. Die Richterin verbat daraufhin jeglichen Kontakt mit den Anklagten.

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