Das Lucerne Festival reisst Barrieren nieder

Mit den Badelatschen ans Klassikkonzert

Auch das ist Lucerne Festival: Das Eröffnungskonzert wird gleich neben dem KKL auf dem Inseli übertragen – gratis und Open Air.  (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival).

Das Lucerne Festival trumpft wieder mit den grössten Namen der Klassik auf. Doch elitär will das Festival schon lange nicht mehr sein. Man kann auch von der Badi direkt ans Konzert. Warum sich das Festival für Junge engagiert und dabei nicht mal Geld verdienen will.

Klingende Namen, grosse Werke, erhabene Säle: Das Lucerne Festival bildet eine Art Gegenkultur der anderen Art: Viele bekommen gar nicht mit, was da während fünf Wochen im und rund ums KKL alles passiert.

«Die berühmten Orchester, die legendären Dirigenten, die virtuosen Solisten», verspricht das Festival. Diesen Freitag eröffnet es mit dem hauseigenen Lucerne Festival Orchestra – dieser «Klangkörper de luxe aus international renommierten Solisten» – unter dem neuen Stardirigenten Riccardo Chailly.

Angesichts dieses hochgreifenden Vokabulars kann es dem Klassikmuffel Angst und Bang werden. Aber es gibt auch eine andere Seite des Lucerne Festivals: Strassenmusik, innovative Formate spätabends und Sitzkissen-Konzerte für Kinder. Denn das Lucerne Festival kämpft seit einigen Jahren gegen sein noch immer hochkulturelles und elitäres Image.

Über diese Herausforderung, junge Leute ans Festival zu locken und sich in der digitalen Welt zu behaupten, sprachen wir mit Helmut Bachmann (Leiter Marketing und Kommunikation) und Johannes Fuchs (Leiter der Reihe «Young»).

«Es gibt keinen Dresscode, man kann direkt von der Arbeit oder von der Badi kommen.»

Helmut Bachmann, Lucerne Festival

zentralplus: Wenn man sich durch das immense Programm des Sommerfestivals blättert oder klickt, kann es einem mulmig werden. Wenn ich von Klassik keine Ahnung habe, ist es schwierig, den Überblick zu haben.

Helmut Bachmann: Das ist uns vollkommen bewusst, der Zugang zu klassischer Musik passiert nicht automatisch – da muss man Barrieren abbauen.

zentralplus: Was können denn solche Barrieren sein?

Bachmann: Es gibt verschiedene: Man ist vielleicht nicht bereit, sich in Schale zu werfen, man will nicht viel Geld ausgeben und nicht die Zeit investieren, um sich mit der Materie intensiv zu befassen. Um solche Barrieren abzubauen, führen wir diesen Sommer zum dritten Mal die Reihe «40 min» durch: Diese Konzerte dauern weniger als halb so lang wie ein durchschnittliches, es gibt keinen Dresscode, man kann direkt von der Arbeit oder von der Badi kommen, und sie sind gratis. Das erleichtert den Zugang.

Johannes Fuchs: Wir haben auch ein Printformat: «Day by Day». Es bietet bessere Orientierung und gibt für jeden Tag einen Überblick, was alles läuft. Es ist ein Festivalführer für Neueinsteiger mit vielen Bildern und einem Tagestipp. So erfährt man auch von den Angeboten für Kinder und Jugendliche und Dingen, die rund um die Sinfoniekonzerte stattfinden.

zentralplus: Was kann ich von den zehn Veranstaltungen von «40 min» erwarten?

Bachmann: Es sind Veranstaltungen querbeet durchs Programm, die das Interesse wecken sollen. Und es treten Weltstars wie Anne-Sophie Mutter oder Barbara Hannigan auf oder Martin Grubinger, einer der besten Perkussionisten der Klassik. Bei Simon Rattle mussten wir letztes Jahr 400 Leute wieder wegschicken, weil es keinen Platz mehr hatte. Die Reihe «40 min» hat sich in den letzten zwei Jahren etabliert.

Die Reihe «40min» im Video:

 

Fuchs: Wir bieten eine Einstiegshilfe. Auf eine sehr niederschwellige Art begegnen wir dem Publikum auf Augenhöhe und bauen eine Brücke zum Hauptprogramm mit den Sinfoniekonzerten.

zentralplus: Das Lucerne Festival bemüht sich stark um Kinder und Jugendliche, wieso?

Fuchs: Wir bieten für Kinder und Familien die ganz Palette: etwa die «Sitzkissenkonzerte» ab vier Jahren bis hin zu Angeboten für Jugendliche und junge Erwachsene, die nach 22 Uhr stattfinden. Man kann auch abends noch Teil des Festivals sein.

«Finanziell lohnt sich das nicht, es ist eine reine Investition in die Zukunft des Festivals und der Klassik.»

Bachmann: Jugendliche kommen nicht von sich aus ans Lucerne Festival. Darum nehmen wir Eltern, Grosseltern oder Göttis in die Pflicht, die nachfolgende Generation dafür zu begeistern. Bei vielen Sinfoniekonzerten kriegt man für Jugendliche bis 17 Jahren ein Gratisticket dazu. Zwingen kann man Jugendliche natürlich nicht, aber über die Schule oder Eltern ergibt sich oft eine Beziehung, die langsam wächst. Es geht nicht um Geld, wir sind dankbar, wenn Jugendliche einfach mal kommen.

Die Reihe «Young» im Video:

 

zentralplus: Lohnt sich dieses Engagement für das Lucerne Festival?

Bachmann: Finanziell nicht, es ist eine reine Investition in die Zukunft des Festivals und der Klassik. Andere Werte sind dabei wichtig: Klassische Musik bereichert die Leute, auch wenn man es oft nicht weiss. Das hat keine kommerziellen Hintergründe, wir denken da sehr langfristig, das sind Horizonte über Jahrzehnte. Und durch die Zusammenarbeit mit Schulen kommen rund 3000 Schüler an unser Festival. Wir haben ein Interesse, Kinder für Kultur zu begeistern.

zentralplus: Wie wichtig ist für das Festival die Kommunikation über die Social-Media-Kanäle, um jüngere Besucher zu erreichen?

Bachmann: Wir sind seit mehreren Jahren auf Facebook, Twitter und Youtube. Das Medium Video wird für uns immer wichtiger, seit zwei Jahren haben wir eine eigene Videocrew, die Inhalte festhält, aber auch atmosphärische Dinge. Diese Kurzclips streuen wir über die digitalen Medien. Letztes Jahr hatten wir etwa das Projekt «Eine Sinfonie für Luzern»: Es war ein Mitmachprojekt, bei dem wir auf vielfältige Art und Weise neue Leute ansprechen wollten.Das ging ohne spezielle Kenntnis in der Musik über eine App, Social Media und Radiostationen wie 3fach.

«Am Schluss geht’s um Emotionen, es muss im Herz landen und die Leute begeistern.»

zentralplus: Von der neuen Website blickt Riccardo Chailly den User bildschirmgross an – fast ein bisschen unheimlich …

Bachmann: Mit Bewegtbildern der Künstler wollen wir sie vermenschlichen. Es soll nicht einfach eine Ikone mit Bild sein, sondern man soll den Menschen dahinter sehen, mit Gefühlen und Ausdruck auf der Bühne. Unsere Website geht viel stärker ins Bildliche, Bilder sollen das Festival transparenter machen und näherbringen. Am Schluss geht’s um Emotionen: Es muss im Herz landen und die Leute begeistern.

Klassik für alle: Eröffnungskonzert des Lucerne Festival auf dem Inseli.  (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival).

Klassik für alle: Eröffnungskonzert des Lucerne Festival auf dem Inseli.  (Bild: Stefan Deuber/Lucerne Festival).

zentralplus: Das Lucerne Festival ist auch ein Open-Air: Public Viewing, Strassenmusik, Konzerte in der Buvette. Ist das Festival inzwischen Teil dieser Stadt – und nicht mehr so elitär?

Fuchs: Es gibt zwei Richtungen: Wir gehen zu den Leuten hin – und wir laden sie ein. Wir eröffnen diesen Sommer mit «Interval» ein Festivalzentrum im Herzen des KKL, wo man sich auch nach den Konzerten und ohne Ticket noch in einer Bar-/Loungesituation treffen kann. Zudem ist das Festival für Familien und Schulen mehr in der Stadt präsent, dieses Jahr das erste Mal im Neubad. Es ist ein toller Ort – für Familien, aber auch für Late-Night-Veranstaltungen, die da sehr gut reinpassen.

Bachmann: Das Festival soll nicht mehr elitär sein, das ist der Gedanke hinter all den Aktivitäten in den letzten Jahren. Wir müssen noch weiterarbeiten, aber wir sind dran. Vor drei Jahren, an unserem Jubiläumstag, hatten wir 1000 Leute, die zuvor noch nie im KKL waren. Das ist doch unglaublich. Klar gibt es immer noch Preise von 300 Franken für ein Sinfoniekonzert, die werden immer als elitär empfunden, aber es gibt eben auch Tickets zwischen 30 und 100 Franken.

Das Lucerne Festival im Zeichen der Frauen

Das diesjährige Programm des Lucerne Festival (LF) steht unter dem Motto «PrimaDonna». Und so stehen heuer viele Frauen im Mittelpunkt: elf Dirigentinnen, über 40 Solistinnen und 25 Komponistinnen reisen für das fünfwöchige Festival nach Luzern.

Da wäre beispielsweise die 30-jährige Litauerin Mirga Grazinyte-Tyla. Sie ist Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra und gibt ihr Luzerner Debüt. Oder Marin Alsop, Leiterin des renommierten Baltimore Symphony Orchestra.

Es treten Stars wie Barbara Hannigan (als Dirigentin und Sopranistin), Cecilia Bartoli, Martha Argerich, Sol Gabetta oder Anne-Sophie Mutter auf, ebenso aber jüngere, noch unbekanntere Interpretinnen. Composer in Residence ist die junge Österreicherin Olga Neuwirth.

Trotz allem steht zu Beginn ein Mann im Zentrum: Der 63-jährige Mailänder Riccardo Chailly, der ab diesem Jahr das von Claudio Abbado gegründete Lucerne Festival Orchestra übernimmt. Abbado verstarb 2014. Chailly ist einer der grössten lebenden Dirigenten und leitet die ehrwürdige Mailänder Scala – das Opernhaus schlechthin. Er leitet das Eröffnungskonzert am Freitag, 12. August, um 18:30 Uhr: «Sinfonie der Tausend» von Gustav Mahler. Das Sinfoniekonzert wird auf dem Inseli gratis an der frischen Luft übertragen (die Buvette verköstigt mit Würsten und Paella, was für ein Gegensatz!).

Das Lucerne Festival dauert vom Freitag, 12. August, bis Sonntag, 2. Oktober. Alle Veranstaltungen gibt’s auf der Website oder im Festivalguide «Day by Day».

Die Reihe «40min» findet zehnmal im Luzerner Saal des KKL statt. Viele Veranstaltungen sind draussen: Zum Beispiel drei Überraschungskonzerte im Inseli und zwischen 23. und 28. August das Strassenmusik-Festival.

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