Spaziergang mit dem Zuger Förster Albin Schmidhauser

Mischwälder statt Monokulturen: Die Antwort auf dem Klimawandel

Sonderwaldreservat im Reusstal. (Bild: Nick Mijnssen)

Der 65-jährige Zuger Forstwissenschaftler Albin Schmidhauser kennt die Baumlandschaften unserer Region wie kaum ein zweiter. Er ist überzeugt: Die Zeit der reinen Fichtenwälder ist in Anbetracht des Klimawandels abgelaufen.

Albin Schmidhauser hat so manchen Sturm erlebt. Draussen im Wald, drinnen in den Amtsstuben. Etwa die verheerenden Orkane Vivian (1990) und Lothar (1999) oder das Sturmtief Burglind (2018). Neue Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Wälder, neue Erkenntnisse und Richtlinien für deren Pflege und Bewirtschaftung. Den jahrelangen Kampf gegen illegale Deponien. «Das ging zuweilen an die Nieren», sagt er, «doch wir haben manches erreicht.»

Er blickt zufrieden zurück – aber besorgt in die Zukunft. Denn am Horizont zieht ein besonders mächtiger Sturm auf: der Klimawandel. Wie stark wird er unseren Wald verändern?

Forscher suchen weltweit nach einer Antwort. Und nach den richtigen Rezepten für die Waldbewirtschaftung in wärmeren Zeiten. Haben Fichtenwälder eine Zukunft? Soll man südländische Bäume pflanzen? Könnten alte heimische Baumarten die Lösung sein? Auch Albin Schmidhauser weiss die endgültige Antwort noch nicht. Aber er ist überzeugt: «Wälder mit grosser Vielfalt sind für den Klimawandel am besten gewappnet.»

«Die Fichten sind weder heimisch noch standortgerecht.»

Der 65-jährige Zuger Forstwissenschaftler kennt die Baumlandschaften unserer Region wie kaum ein zweiter. Bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2019 war er Leiter des Amts für Wald und Wild im Kanton Zug, zuvor stellvertretender Kantonsingenieur und Abteilungsleiter Naturgefahren im Amt für Verkehr und Infrastruktur des Kantons Luzern. Dort führte er auch in der Funktion als Kantonsförster die Abteilung Wald.

Seinen beruflichen Werdegang hatte er als Forstwart bei der Korporation Zug gestartet, danach die Försterschule in Maienfeld und das Studium der Forstwissenschaften an der ETH Zürich absolviert. Ein Doktor der Technischen Wissenschaften mit praxisnaher Erfahrung.

Vor allem Fichten fielen den Sturmwinden zum Opfer

Wir stehen an idyllischer Lage oberhalb von Steinhausen – die erste Station unserer Erkundungsreise durch die Forstlandschaften im Zugerbiet. Vor uns ein scheinbar typischer Schweizer Wald: Fichten, Fichten, Fichten soweit das Auge reicht.

Dazwischen ein paar Buchen, hin und wieder eine Esche oder eine Eiche. Mittendrin ein hübscher Weiher. Das Naherholungs- gebiet gehört der Waldgenossenschaft Steinhausen; sie besteht seit einem halben Jahrtausend und teilt sich «33 Gerechtigkeiten auf 34 Genossenschafter», wie es auf ihrer Website heisst. Knapp ein Siebtel der Gemeindefläche ist in ihrem Besitz, darunter dieser Fichtenwald.

Albin Schmidhauser führt uns zu einem Gebiet am Rand des Waldes. Hier wütete im Januar 2018 der Sturm Burglind besonders heftig. Auf einer grösseren Fläche wurden reihum Bäume entwurzelt, umgeworfen oder geknickt. Vor allem Fichten fielen den Sturmwinden zum Opfer. Kein Zufall.

«In unseren Wäldern spiegelt sich die Forstpolitik der vergangenen Jahrzehnte.»

«Die Fichten sind eine Gastbaumart», erklärt Albin Schmidhauser, «sie sind weder heimisch noch standortgerecht.» Sie wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts in Schweizer Tieflagen angepflanzt – etwa mit Saatgut aus Pommern. Denn Fichten, auch Rottannen genannt, wachsen hier üblicherweise nur in den Voralpen und Alpen, in einer Vegetation ab 800 Meter über Meer. Sie gehören zu den flach wurzelnden Bäumen, die mit Trockenzeiten und Stürmen Mühe bekunden. Im Mittelland fühlen sie sich nur an wenigen Lagen richtig wohl.

Doch in den Zwischenkriegsjahren und mit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit wuchs der Bedarf an Bauholz. Damit geriet die Fichte in den Fokus der Waldbewirtschaftung. Sie wächst schnell und liefert – im Gegensatz zu Laubbäumen – einen grossen Anteil Stammholz. In der Holzverarbeitung ist sie begehrt. Ab den 1920er-Jahren wurden deshalb immer mehr Fichtenwälder angepflanzt – mit weitreichenden Folgen: Aus Mischwäldern wurden Monokulturen.

Bis sich ein Wald erneuert hat, dauert es mehrere Jahrzehnte

«In unseren Wäldern spiegelt sich die Forstpolitik der vergangenen Jahrzehnte», erklärt Albin Schmidhauser. «Wir sehen heute Wälder, die mehrheitlich zwischen 1880 und 1930 auf der Basis der damaligen Bundeswaldpolitik begründet und den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechend bewirtschaftet wurden.»

«Den Wandel kann man erkennen», sagt der Zuger Forstwissenschaftler Albin Schmidhauser. (Bild: Nick Mijnnsen)

Eine erste landesweite Grundlage bildete das Bundesgesetz über die Forstpolizei im Hochgebirge von 1876; es postulierte die Schaffung und Erhaltung von Schutzwäldern in den Bergen und verlangte eine nachhaltige Nutzung. Im Forstpolizeigesetz von 1902 wurden die Vorschriften auf alle Wälder in der Schweiz ausgedehnt. Die heutigen gesellschaftlichen Ansprüche sind im Waldgesetz von 1991 formuliert. Seither muss zum Beispiel ein Jungwald aus standortgerechten, einheimischen Bäumen bestehen.

«Den Wandel in der Bewirtschaftung kann man heute erkennen», sagt Albin Schmidhauser. Darin eingeschlossen sind neuerdings auch Strategien hinsichtlich des Klimawandels. Doch bis sich ein Wald rundum erneuert hat, dauert es mehrere Jahrzehnte. Das gilt auch für die Neubepflanzung im Steinhauser Wald, zu der uns Schmidhauser geführt hat.

Im Sturmgebiet, wo erst noch ein dichter Nadelwald stand, reckt sich nun ein vielfältiger Mischwald nach dem Licht: junge Eichen, Birken, Erlen, Weiden ... auch ein paar Nadelbäume. «Entscheidend ist der Boden», sagt Schmidhauser. Die Natur weiss, was passend gedeiht.

Zu den Verlierern den Klimawandels gehören auch die Buchen

Aber kann sie auch mit den menschengemachten, klimatischen Veränderungen Schritt halten? Das ist die grosse Frage. Das Pariser Klimaschutzabkommen, zu dem sich auch die Schweiz verpflichtet hat, will die Erderwärmung auf «deutlich unter 2 °C» begrenzen. Ob man das schafft, ist fraglich.

Wissenschaftler haben berechnet, was eine um 2 °C erhöhte Durchschnittstemperatur für unsere Vegetation bedeutet: Ihr Lebensraum verschiebt sich um mindestens 400 Höhenmeter nach oben. Für manche der heutigen Baumarten im Mittelland ist dies das sichere Ende.

Die trockenen und heissen Sommer von 2003 und 2018 lassen erahnen, was auf uns zukommen kann. Zu den Verlierern des Klimawandels gehört nicht nur die Fichte; auch Buchen haben unter der extremen Trockenheit gelitten und müssen nun mancherorts zu Hunderten gefällt werden. Sogar die Weisstanne – die kräftig im Boden ankert und Wasser auch aus tieferen Schichten zieht – schwächelt. Ulme, Erle und Ahorn sind gefährdet, die Alpen- und Hochmoorpflanzen bedroht. Hinzu kommt der starke Borkenkäferbefall der Nadelbäume.

«Wenn nun auch noch die Esche stirbt ...», sagt Albin Schmidhauser und schüttelt den Kopf. Man mag den Gedanken gar nicht zu Ende denken: Die Esche, einer der häufigsten heimischen Bäume, leidet unter einer Pilzkrankheit, der sogenannten Eschenwelke. Zehntausende Bäume mussten bereits gefällt werden.

Das Ökosystem im Wald ist ein hochsensibles Geflecht. Alles ist miteinander verwoben und vernetzt. Die Pflanzen erkennen den Feuchtigkeitsgehalt im Boden, finden auch verborgene Wasserquellen. Sie unterscheiden Licht und Schatten, können den Gehalt chemischer Stoffe erraten. Sie binden CO2 als Kohlenstoff aus der Atmosphäre und speichern ihn.

Sie haben deutlich mehr Rezeptoren, mit denen sie auf Umwelteinflüsse reagieren, als ein Mensch. Ihr Handicap: Sie sind mir ihrer Heimat fest verwurzelt, können vor keinen Gefahren fliehen. Sie können sich allenfalls anpassen. Schnell genug?

Die Holzpreise sind seit Jahren im Keller

Im Zolleinschlag, nahe der Reuss und unmittelbar vor der Zuger Kantonsgrenze zum Aargauer Freiamt, stossen wir auf ein sogenanntes Sonderwaldreservat. Hier wurden im örtlichen Wald mehrere Bäume, vor allem Eichen, in einem kantonalen Inventar erfasst und für mindestens 30 Jahre unter Schutz gestellt.

Das heisst: Der Wald kann von seinen Besitzern zwar weiterhin bewirtschaftet und sein Holz genutzt werden; bestimmte Bäume aber sind streng geschützt. Dafür erhalten die Waldbesitzer eine vertraglich definierte Abgeltung.

«Viele unserer Forstbetriebe arbeiten defizitär.»

Eine Win-win-Situation. Der Kanton schützt im Interesse der Allgemeinheit einen historisch wertvollen Baumbestand in der einstigen Auenlandschaft; die Waldbesitzer finden ein willkommenes Zusatzeinkommen. Denn mehr und mehr stellt sich für sie die Frage, ob sich die aktive Waldbewirtschaftung noch lohnt. Die Holzpreise sind seit Jahren im Keller, der Holzschlag rentiert kaum noch. Ausländisches Billigholz drückt die Preise.

Wichtige Schutzfunktion

Jahr für Jahr wachsen in den Schweizer Wäldern rund 10 bis 12 Millionen Kubikmeter Holz nach – was in etwa dem jährlichen Holzbedarf des Landes entspricht. Aber nur 4 bis 5 Millionen Kubikmeter Holz werden aus heimischen Rohstoffen gewonnen.

Der grosse Rest wird importiert. «Viele unserer Forstbetriebe arbeiten defizitär», weiss Schmidhauser. «Und überall dort, wo der Wald keine besondere Schutzfunktion hat, stellt sich wirklich die Frage, ob man den Wald nicht einfach den Kräften der Natur überlassen soll.»

Für die Waldbesitzer und Forstbetriebe ist die aktuelle Situation eine Herausforderung: Statt der Holznutzung steht zunehmend die Waldpflege im Vordergrund. Es gibt Aktionspläne und Bundesbeiträge für die Förderung der Biodiversität; spezielle Programme von Bund und Kantonen gelten dem Erhalt und der Stärkung der Schutzwälder.

Rund die Hälfte der landesweiten Waldfläche, so zeigt ein neuer Bericht des Bundesamtes Umwelt, schützt Gebäude, Strassen und Schienen wirksam vor Naturgefahren. Die Wälder bieten Schutz gegen Lawinen, Rutschungen und Felsstürze. Sie sind ein riesiger Wasserspeicher – ein Waldboden hat das 20-fache Fassungsvermögen einer Freilandfläche – und geben das Wasser nur langsam ab. Besonders unerlässlich sind sie in den Gebirgskantonen: Der Anteil der Schutzwälder an der Waldfläche beträgt hier 90 Prozent.

«Wir müssen den Wald auch fit machen für künftig grössere Windkräfte.»

Eine Schutzfunktion hat auch der Wald am Zugerberg bei Oberwil. Er bewahrt die darunter liegenden Siedlungen, die Hauptstrasse und die SBB-Linie zwischen Zug und Goldau vor Überschwemmungen, Hangrutschen und Steinschlägen. Gleichzeitig ist der Wald ein beliebtes Naherholungsgebiet für Wanderer und Biker, ein Paradies für Waldspielgruppen, Sportler, Hunde und Hündeler. Hier geniesst man einen herrlichen Ausblick auf den Zugersee und in die Innerschweizer Bergwelt.

Es ist die dritte und letzte Station unserer Reise. Ein lauschiger Wanderweg führt uns von der Schönegg steil aufwärts in den hübschen, montanen Mischwald. Das Forstgebiet gehört der Korporation Zug – ein Glücksfall. Denn die grosse Korporation fühlt sich dem Gemeinwohl verpflichtet.

Das Zusammenspiel zwischen Eigentümerin und Amt läuft entsprechend problemlos. Etwa wenn es um die Behebung sogenannter Steilränder geht: Ein schroffer Waldrand mit hohen Bäumen ist wenig windstabil; fegt ein Sturm über ihn hinweg, entstehen verhängnisvolle Windwirbel, die den dahinter stehenden Baumbestand treffen.

Naturnahe Waldränder sind stufig und gebuchtet; niedrigere Bäume schützen ihre grossen Artgenossen. «Wir müssen den Wald auch fit machen für künftig grössere Windkräfte», ist Schmidhauser überzeugt.

Vielfältige Ansprüche an den Wald

Im stadtnahen Oberwiler Wald kulminieren so ziemlich sämtliche Ansprüche, die man an einen Wald stellen kann. Nachhal- tige Holznutzung, wertvolle Schutzfunktion, Refugium für unsere Freizeitgesellschaft, Lebensraum für die Tiere.

Das alles unter einen Hut zu bringen, ist anspruchsvoll. E-Mountainbikes surren durch die Wälder, Jogger sind auch noch nachts mit Stirnlampen unterwegs. Angesichts dieses 24-Stunden-Freizeitbetriebs etwa einen Baumschlag durchzuführen, kann schon mal einen mehrköpfigen Sicherheitsdienst erforderlich machen.

Doch Albin Schmidhauser gibt zu bedenken: «Das freie Betretungsrecht ist eine grosse Errungenschaft.» Es ist in unserem Zivilgesetzbuch festgelegt und besagt: «Das Betreten von Wald und Weide und die Aneignung wildwachsender Beeren, Pilze u. dgl. sind in ortsüblichem Umfange jedermann gestattet, soweit nicht im Interesse der Kulturen (...) bestimmt umgrenzte Verbote erlassen werden.»

Wir brechen auf und machen uns talwärts auf den Heimweg. Was ihn in seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit am meisten fasziniert habe, wollen wir von Albin Schmidhauser noch wissen. «Das war eigentlich», antwortet er, und holt kurz etwas Atem, «das war eigentlich stets die Frage, wie sich die aktuellen gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald sinnvoll und naturgerecht umsetzen lassen. Und wie man möglichst gute Voraussetzungen schaffen kann für seine Zukunft.»

Wir sind froh um den Schatten, den uns die Bäume schenken. Die Sonne steht gleissend am Himmel, das Thermometer zeigt rund 30 Grad. Ein weiterer Hitzetag für unsere Wälder.

Autor: Ivo Bachmann

Dieser Artikel ist erstmals im Magazin Echt erschienen.

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