Zuger Gericht: Schützenmatt-Schläger schuldig

Milde trotz «rücksichtsloser Gewaltanwendung»

Die Schützenmattwiese am Zugersee, wo Alain M. und die Jugendclique zusammentrafen. Wegen eines verweigerten Biers eskalierte die Situation.

(Bild: mbe.)

Das Zuger Jugendgericht hat sein Urteil gefällt. Zwei Jugendliche wurden wegen versuchter schwerer Körperverletzung von Alain M. verurteilt, einer vom Vorwurf freigesprochen. Das Gericht hat die Freiheitsstrafen stark reduziert. Rache sei nicht vorgesehen im Jugendstrafrecht.

Diesen Montag fand ein Prozess mit grosser Medienpräsenz am Strafgericht Zug statt. Drei Jugendliche hatten auf der Schützenmattwiese Alain M. zusammengeschlagen – dieser nahm sich kurze Zeit später das Leben (zentralplus berichtete). Jetzt steht das Urteil gegen die Verdächtigen fest.

Den 17-jährigen A.T. und den gleichaltrigen R.R. hat das Jugendgericht wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Raufhandel und weiteren Delikten wie Irreführung der Rechtspflege mit Freiheitsstrafen von elf respektive zehn Monaten bestraft. Dazu müssen sie je eine Busse von 500 respektive 300 Franken bezahlen.

Die Haupttäter sind bereits in Jugendinstitutionen untergebracht und müssen sich dort einer ambulanten Behandlung unterziehen. Wenn die Massnahmen erfolgreich sind, müssen sie die Gefängnisstrafe nicht absitzen. Wenn nicht, entscheidet das Gericht nochmals über die Länge. Die Haftstrafe müssten sie in einem Gefängnis in der Schweiz mit einer Jugendabteilung verbüssen; in Zug existiert keine solche Strafanstalt.

Der 16-jährige B.S. wurde vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung freigesprochen, aber wegen Raufhandels schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten bedingt bei einer Probezeit von einem Jahr sowie acht Tagen Freiheitsbeschränkung. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Schutzaufsicht lehnte das Jugendgericht ab.

Auch Kosten müssen die Schläger übernehmen, teilweise werden auch die Eltern haftbar gemacht.

«Es gibt keinen Film, was genau passiert ist.»
Marc Siegwart, Vorsitzender des Jugendgerichts

Kein einfacher Fall

«Wir haben uns die Sache nicht einfach gemacht», sagte der Gerichtsvorsitzende Marc Siegwart an der mündlichen Urteilseröffnung, an der alle Parteien nochmals anwesend waren. Zum Geschehen auf der Schützenmattwiese in der Nacht vom 4. September 2015 gebe es diametral verschiedene Sichtweisen, das habe der Prozess gezeigt. «Es gibt keinen Film, was genau passiert ist.» Die Anklage stütze sich auf das Ergebnis von 70 Einvernahmen, wobei die Aussagen von 29 Jugendlichen stammten. Da die Augenzeugen aber teilweise sehr jung waren, seien ihre Aussagen nicht oder nur teilweise verwertbar gewesen.

Die Aussagen der beiden älteren Jugendlichen bezeichnete der Richter als flatterhaft – und unglaubwürdig. «Sie hätten lieber nichts gesagt.» Nur der 16-jährige B.S. sei konstant bei seiner Meinung geblieben, und Dritte hätten seine Angaben bestätigt.

Kritik an Untersuchung

Siegwart kritisierte teilweise die Untersuchungsbehörden, weil diese Suggestivfragen gestellt hätten und die Verteidigungsrechte teilweise nicht eingehalten worden seien. Unbestritten sei, dass der Streit mit Alain wegen eines Biers nicht von den drei Beschuldigten angezettelt worden sei, sondern von zwei bereits verurteilten anderen Jugendlichen.

In der zweiten Phase des Konflikts hätten die Beschuldigten eingegriffen, hätten geschubst, seien tätlich geworden. In der dritten Phase, das hätten einige Mädchen identisch geschildert, hätten die zwei Hauptbeschuldigten auf Alain eingeschlagen und eingekickt.

«Sie beide waren die Aggressoren, davon sind wir überzeugt», sagte der Gerichtsvorsitzende zu den beiden im Saal. Doch auch Alain, so der Richter, habe sich gewehrt und sei nicht einfach passiv gewesen, wie es die Anklage darstelle. Nicht belegen lasse sich das Festhalten des Opfers, um besser auf ihn einzukicken. Da stütze man sich auf eine einzige Aussage.

«Mit Schubsen fängt es an»

«Das Ganze war ein klassischer Raufhandel», erklärte Siegwart. Doch auch wer in solchen Situationen, die oft mit Schubsen anfingen, aktiv teilnehme, mache sich mitschuldig. Wenn eine Person verletzt werde bei einem Raufhandel, werde er ebenfalls bestraft. Die Beschuldigten seien wegen ihrer Mittäterschaft verurteilt worden. Die beiden 17-Jährigen hätten in Kauf genommen, Alain schwer zu verletzen. «Wer aber ganz genau was gemacht und wie viele Tritte jeder verpasst hat, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen.»

Im unteren Strafrahmen geblieben

Das Gericht blieb deshalb beim Strafrahmen bei der Maximalstrafe von 12 Monaten. Nur bei besonders schweren Delikten sei ein höheres Strafmass möglich (der Jugendanwalt hatte Freiheitsstrafen von 32 und 36 Monaten für die Hauptbeschuldigten gefordert). Siegwart sagte zudem, wegen medialer Vorverurteilung habe das Gericht das Strafmass beim Hauptbeschuldigten um einen Monat reduziert. «Wir lassen uns von den Medien nicht zu einem härteren Urteil zwingen», fügte er hinzu.

«Ihr Verhalten war brutal und menschenverachtend.»
Marc Siegwart

Dennoch sei das Verhalten von A.T. und R.R. «brutal und menschenverachtend» gewesen, so der Gerichtsvorsitzende. Die Strafe müsse präventive Wirkung haben, sagte Siegwart. Schutz und Erziehung der Jugendlichen stehe im Zentrum. Doch der Strafrichter stellte auch klar, dass das, was die Jugendlichen getan hätten, intolerabel sei. «Rache gibt es aber nicht im Jugendstrafrecht», so der Richter.

7000 Franken an den Vater

Die Zivilforderungen des Privatklägers Beat M. wurden auf den Zivilweg verwiesen. Die drei Jugendlichen müssen dem Vater von Alain jedoch solidarisch mit 7000 Franken für seine Kosten entschädigen. Die zwei Hauptbeschuldigten müssen 3000 und der Jüngste 1000 Franken tragen.

Erste Reaktionen aufs Urteil

Die amtlichen Verteidiger der drei Beschuldigten wollten nach der Urteilseröffnung keine Stellung nehmen. Der Zuger Jugendanwalt Rolf Meier sagt, er nehme das Urteil des Gerichts «zur Kenntnis». «Wir haben es mit rücksichtsloser Gewaltanwendung zu tun in diesem Fall», sagt Meier zentralplus. Er wolle das schriftliche Urteil zuerst studieren und analysieren, bevor er entscheide, ob er den Fall weiterziehe.

«Wir haben es mit rücksichtsloser Gewaltanwendung zu tun in diesem Fall.»
Jugendanwalt Rolf Meier

Der Vater des verstorbenen Opfers, Beat M., will das Urteil nicht kommentieren. Die Ermittlungsbehörden hätten aber sehr präzis gearbeitet und ihn überzeugt. Und das Gericht habe allen Seiten die Möglichkeit gegeben, sich und ihre Sicht einzubringen. Auch ihm. Das findet er positiv. «Ich bin unglaublich froh, dass es jetzt vorbei ist», sagt der Vater.

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