Felix Meyer über Erfolg und Preiskrieg

Migros-Chef: «Ich bin lieber Ackergaul als Zirkuspferd»

Seit 28 Jahren für die Migros und seit fünf Jahren in Luzern tätig: Migros-Chef Felix Meyer.

(Bild: hae)

Felix Meyer hat mehr als 6000 Mitarbeitende in der Zentralschweiz und ist der Meinung, auf die Ebikoner Mall habe niemand gewartet. Jetzt erklärt der Migros-Chef, weshalb die Zentralschweizer preisbewusster sind als andere Schweizer. Und weshalb er dringend das Ladenöffnungsgesetz ändern möchte.

Der Migros-Chef empfängt freundlich in seinem Reich: Felix Meyer (58) trägt Kittel, weisses Hemd, keine Krawatte, dafür eine grosse Segleruhr, die unter der Manschette sichtbar schwer wiegt und dezent hervorschaut. Er hat einen Block vor sich, spielt immer wieder gerne mit seiner Lesebrille, er wird beim Interview assistiert von seiner Medienfrau Rahel Kissel.

An der Wand leuchtet laut das grosse orange M, vis-à-vis hängt leise Kunst: «Tal», ein Bild von Martin Mart Wenger, das man auch als Schneesturm auf Leinwand deuten könnte. Der erfahrene Segler Meyer allerdings will bei seiner Jahresbilanz von Sturm nichts wissen: Er hat seine 6’038 Mitarbeitenden der Migros Luzern, der viertgrössten regionalen Migros-Genossenschaft, fest im Griff. Felix Meyer nimmt zu allen Fragen unaufgeregt Stellung, nur einmal kommt er etwas in Rage: Wenn es um die Ladenöffnungszeiten und die Parkplatzproblematik in der Stadt Luzern geht.

zentralplus: 28 Jahre Migros, davon fünf in Luzern, Chef des zweitgrössten Arbeitgebers der Zentralschweiz – nach dem Kantonsspital – mit mehr als 6’000 Mitarbeitenden, 1,417 Milliarden Franken Umsatz: Das sind die Zahlen des Jahres. Und wie lautet Ihre Bilanz?

Felix Meyer: Im Juni 2019 bin ich 30 Jahre bei der Migros. Vor genau sechs Jahren wurde ich als Geschäftsleiter der Migros Luzern nominiert und ich durfte eine Genossenschaft übernehmen, die ich bislang nur aus der Ferne kannte. Ich konnte mich da auf meine diversen Funktionen berufen: Als Junger will man alle fünf Jahre wieder was Neues machen – und am Schluss bleibt man dann 35 Jahre bis zur Pensionierung hängen.

zentralplus: Ihr Weg war aber einer mit vielen internen Wechseln, oder? 

Meyer: Ich war zuerst Ausbildungsverantwortlicher, dann Personalchef, Leiter Klubschulen/Freizeitanlagen, Verkaufschef und dann Marketingchef. Mit 29 Jahren sass ich bereits in der Geschäftsleitung der Migros Bern und erlebte die Fusion mit der Migros Aargau/Solothurn zur Migros Aare. Das machte meine Arbeit bei der Migros sehr vielfältig und abwechslungsreich. Der einzige Nachteil: Es war dermassen interessant, dass kaum Routine einkehrte und alles sehr schnell vorbeiging. 

zentralplus: Und wir dachten immer, die Migros sei schwerfällig!

Meyer: Nur für Aussenstehende. Obwohl viele die Migros von aussen eher als behäbig wahrnehmen, ist sie ein äusserst dynamisches Unternehmen. Grund dafür ist das Konstrukt der zehn Genossenschaften, die Besitzer des Gesamtkonzerns sind. Da gibt es oft das Vorurteil, dass man die Migros zentral sehr schlecht führen könne, alles viel Zeit brauche und sie ineffizient sei.

«Das Dezentrale ist der Motor der Migros. Das führt zu viel Innovation.»

zentralplus: Also ist es nicht so?

Meyer: Das habe ich alles komplett anders erlebt: Genau das Dezentrale ist der Motor der Migros. Das führt zu viel Innovation, etwa im Retail. Ein bekanntes Beispiel ist das Programm «Aus der Region. Für die Region.», welches in der Migros Luzern erfunden und anschliessend in der Migros-Gemeinschaft verbreitet wurde. Da bleibt die Frage, ob das in einer Zentrale so schnell als neuartig erkannt worden wäre, weil ja gilt: Innovationen sind dann am besten, wenn sie von möglichst vielen kreativen Köpfen ausgetüftelt werden. Aus den Zellen der Migros-Genossenschaften entstanden auch viele Ideen zur Nachhaltigkeitsentwicklung oder auch in Sachen Effizienz, das gab viel Dynamik. 

Er möchte mit seinem «Migros-Jet» sein Unternehmen weiter abheben lassen: Felix Meyer.

Er möchte mit seinem «Migros-Jet» sein Unternehmen weiter abheben lassen: Felix Meyer.

(Bild: hae)

zentralplus: Hat die Migros deshalb so einen guten Ruf? Sie ist vor Rega, Ricola und Zweifel die beliebteste Marke von Herrn und Frau Schweizer. Wie sieht das Image der Migros Luzern aus?

Meyer: Der Ruf der Migros Luzern war so: im Reduit der Schweiz, sehr stabil, sehr behäbig, sehr homogen. Dabei ist unsere Zentralschweizer Migros-Genossenschaft wie die anderen auch unterwegs: sehr heterogen, mit sehr vielen Themen, sehr dynamisch. Und vor allem mit sehr viel Kraft in die Zukunft, um erfolgreich zu bleiben.

Chef von mehr als 6’000 Mitarbeitenden

Felix Meyer (58) stammt aus Biel und arbeitet seit knapp 28 Jahren für die Migros, davon fünf in Dierikon. Er ist Geschäftsleiter der Genossenschaft Migros Luzern mit mehr als 6’000 Mitarbeitenden, die 2016 für 1,417 Milliarden Franken Umsatz sorgten. Der Chef des zweitgrössten Arbeitgebers der Zentralschweiz – nach dem Kantonsspital – ist verheiratet und lebt in Küssnacht. Meyer ist begeisterter Regattasegler, Skater und Wanderer.

zentralplus: Welches sind die Unterschiede zu den anderen Migros-Genossenschaften?

Meyer: Das kann ich nur subjektiv beantworten, ohne es mit Zahlen belegen zu können: In Luzern ist vieles abhängig von Personen, und weniger vom System. Vieles steht und fällt mit aktiven und verantwortungsbewussten Menschen, die sich auf Markt und Kunden ausrichten. Hier kommt uns sicher auch unsere Unternehmensgrösse entgegen: Kleinere Genossenschaften haben es diesbezüglich einfacher als grössere. Darin liegt auch begründet, dass die Migros Luzern sehr kundenorientiert ist. Hier pflegt man die Kundenbindung nicht nur auf technischer Seite – etwa mit der Cumuluskarte –, sondern vor allem in den Filialen.

zentralplus: Mit kleinen Preisen?

Meyer: Tatsächlich achten wir bei der Preisgestaltung auf möglichst tiefe Margen. Unter den Migros-Genossenschaften haben wir die tiefsten Margen. Das kommt dem Kunden zugute und ist entscheidend dafür, dass wir solchen Erfolg haben.

«Die Zentralschweizer sind preissensibler, sie profitieren gerne von Promotionen.»

zentralplus: Weil die Innerschweiz eher arm ist?

Meyer: Es liegt weniger an der Kaufkraft als vielmehr an der Preissensibilität. Die Zentralschweizer sind preissensibler, das sehen wir daran, dass Rabattaktionen überdurchschnittlich funktionieren. Dies ungeachtet des Einkommens: Die Zentralschweizer profitieren gerne von Promotionen.

zentralplus: Das heisst, in der Migros Luzern sind gewisse Dinge billiger als in anderen Migros-Genossenschaften?

Meyer: Ja, das ist so. 

zentralplus: Welches sind die grossen Themen für die nächsten paar Jahre?

Meyer: Da konnten wir drei Leuchttürme festsetzen: Wachstum, Effizienz und Führung. Dabei steckten wir deutlich mehr Ressourcen in die Expansion, also Wachstum.

zentralplus: Da brauchen Sie sich als Gigant doch sicherlich keine Sorgen zu machen, oder?

Meyer: Heute müssen wir einen aktiven Expansionsprozess gestalten. Es ist nicht mehr so, dass man Flächen einfach so angeboten erhält. Auch da herrscht heute ein Verdrängungskampf. Seit dem Markteintritt der deutschen Harddiscounter wie Lidl und Aldi spüren wir zunehmend auch Widerstände aus der Politik.

zentralplus: Woran denken Sie?

Meyer: Ich nenne die Parkplatz- oder die Verkehrspolitik, das sind die grossen Zeichen der Zeit. Wir haben in den letzten vier Jahren trotz dieser Umstände aber gut gearbeitet und konnten Wachstum erzielen. Und Wachstum ist nun mal entscheidend: Die Kosten steigen, man kann mit Effizienzsteigerung dagegen ankämpfen. Umsätze und Erträge steigen aber meistens nicht im selben Masse.

zentralplus: Ist das auch Ihr Erfolg?

Meyer: Es braucht immer alle. Jedes Geschäftsleitungsmitglied bei uns in der Migros Luzern trägt zwei Hüte: einen von 49 Prozent, der steht für seinen Bereich; und einen von 51 Prozent, der steht für das ganze Unternehmen. Dieser Blickwinkel aufs Ganze muss grösser sein als derjenige für den eigenen Bereich. Das führt zu einem Führungsverhalten, das nur dann zum Erfolg führt, wenn man es gemeinsam macht. Mein Credo ist Bescheidenheit, also lieber Ackergaul als Zirkuspferd.

zentralplus: Welch schöner Titel!

Meyer: Ich ziere mich immer, wenn es darum geht, auf einem weiteren Titelbild zu posieren. Ich bin der Meinung, dass Manager eher erfolgreich sind, die sich auf die Arbeit fokussieren anstatt auf ihre eigenen Themen, sprich Macht.

«Man duzt sich in der Zentralschweiz viel schneller. Das hilft für eine gute Führungskultur.»

zentralplus: Das passt ja in unsere bescheidene katholische Region: Sie sind ein Macher statt ein Blender.

Meyer: Als ich vor sechs Jahren in die Region nach Küssnacht zügelte, fiel mir auf, wie man sich hier überall grüsst. Es herrscht eine andere Vertrauenskultur in der Zentralschweiz: Man duzt sich viel schneller. Das hilft für eine gute Führungskultur. Es gibt bei uns weniger Stäbe, die Arbeit wird auf viele Köpfe verteilt. Erfolgsgaranten sind das Anpacken und die Zusammenarbeit.

zentralplus: Welches sind denn Ihre konkreten Aufgaben als Chef?

Meyer: Ich bin Impulsgeber. Dabei schöpfe ich aus meiner langen Managementerfahrung. Aber meine Hauptaufgabe ist vor allem das Erreichen der gemeinsam beschlossenen Ziele. Ergebniswirksame Führung nennen wir das: Anständig miteinander umgehen, aber mit Fokus auf Leistung, das streben wir an.

zentralplus: Und Leistung, was meinen Sie da?

Meyer: Nicht, dass wir arbeiten und am Abend müde sind. Sondern dass wir am Abend etwas erreicht haben, dass etwas besser geworden ist. 

zentralplus: Was beschäftigt die Migros momentan? 

Meyer: Der Online-Markt hat uns die letzten Jahre stark beschäftigt. Und wird das weiterhin tun. Als Migros-Gruppe haben wir da seit Jahren zweistellige Zuwachsraten. Denken Sie an Digitec/Galaxus, das kürzlich den GFM Marketingpreis gewonnen hat. Nicht von ungefähr, weil die einen fantastischen Job machten. Erfolg bedeutet auch, dass man die kompetenten Partner findet – und das ist der Migros mit Digitec/Galaxus geglückt. Das gab auch Impulse in unsere eigenen Fachmärkte wie Melectronics oder SportXX, aber auch bei LeShop. 

zentralplus: Und weiter?

Meyer: Auch Cross-Channel ist wichtig. Dem Kunden sind alle Möglichkeiten zu bieten zwischen sich online oder in der Filiale zu informieren, zu bestellen, die Ware in der Filiale abzuholen oder eine Heimlieferung zu erhalten. Dabei ist auch ganz zentral, welche Auswirkungen die Digitalisierung nach innen hat.

zentralplus: Und: Wie reif sind Sie?

Meyer: Tatsächlich, wichtige Frage, die wir uns immer stellen. Wo haben wir Potenzial? Was heisst das für die Arbeitsplätze, für unsere Mitarbeitenden, sind wir noch gut aufgestellt mit der Ausbildung, mit unserer IT? Seit der Erfindung des Fahrzeugs ist die Digitalisierung sicherlich etwas vom Spannendsten, das man miterleben kann. Was für eine unfassbare Geschwindigkeit …

zentralplus: Haben Sie Angst vor der Digitalisierung, Industrie 4.0?

Meyer: Die Robotisierung wird tatsächlich vor allem in der Industrie spürbar sein. In der Migros Luzern wage ich deshalb zu behaupten: Nein. Aber wir sind noch nicht fit genug. Es gibt viel zu tun.

zentralplus: Und die Kassiererinnen bibbern um ihre Jobs!

Meyer: Dazu gibt es keinen Grund. Aber das Berufsbild der Kassiererin wird sich verändern. Eine Kassiererin wird nicht mehr hauptsächlich Ware durch den Scanner ziehen. Dafür bieten wir mehr Arbeitsplätze in den Dienstleistungen: in den Bestellsystemen, im Warenmanagement auf der Fläche. 

Meyer ist stolz auf sein Personal: Teamfoto der Waldstätter Migros-Filiale.

Meyer ist stolz auf sein Personal: Teamfoto der Waldstätter-Migros-Filiale.

(Bild: zvg)

zentralplus: Eine Erfolgsgeschichte ist die Migros in der Luzerner Innenstadt. 

Meyer: Ja, da haben wir zweistelliges Wachstum. Unsere Umbauten haben sich bewährt: Migros Daily im Bahnhof und die Migros Schweizerhof in der Altstadt, aber auch die umgebaute Migros Waldstätter in der Neustadt. Die Innenstadt Luzern hat eine Topentwicklung als Einkaufszentrum. Leider wird das politisch nicht unterstützt. Das funktioniert irgendwann nicht mehr, wenn man alle Parkplätze entfernt und die Touristencars nicht mehr in die Stadt lässt. Deshalb ist es für mich unverständlich, wenn man nicht mal bereit ist, die Machbarkeit eines Musegg-Parkings zu prüfen.

zentralplus: Was machen Sie dafür?

Meyer: Wir grossen Retailer sind mit der City-Vereinigung und der Stadtregierung am runden Tisch zusammengesessen und haben beispielsweise einen Kompromiss bei den Ladenöffnungszeiten gesucht. Es würde grossen Sinn machen, wenn man am Samstag eine Stunde oder sogar zwei länger offen haben könnte. Auch gerne auf Kosten eines Abendverkaufs am Donnerstag oder Freitag. Leider scheint das nicht möglich, schade.

zentralplus: Schade auch, dass Sie nicht als Bolliger-Ersatz zum neuen Chef des ganzen Konzerns gewählt wurden.

Meyer: Ich sagte von Anfang an, dass ich nur zur Not zur Verfügung stehe. Trotzdem wurde ich als Mitfavorit gehandelt. Aber: Ich bin mit 58 schlicht zu alt. Die Besetzung mit Fabrice Zumbrunnen ist fantastisch: Er ist zwölf Jahre jünger, hoch kompetent, das passt. Die Migros in der Zentralschweiz zu führen, das ist mein Traumjob.

zentralplus: Welches sind Ihre Migros-Lieblingsprodukte?

Meyer: Je nach Marketingbedürfnissen antworte ich da gerne: Etwas aus der Migros-Séléction-Linie, oder auch ein M-Budget-Produkt. Immer in meinem Einkaufswagen landet das Passionsfrucht-Mango-Joghurt.

Segelfan und Mann der Kultur: Felix Meyer vor dem Kunstwerk seiner Göttitochter (links) und dem «Tal»-Gemälde von Martin Wenger.

Segelfan und Mann der Kultur: Felix Meyer vor dem Kunstwerk seiner Göttitochter (links) und dem «Tal»-Gemälde von Martin Wenger.

(Bild: hae)

zentralplus: Welches sind Ihre liebsten Hobbys?

Meyer: Meine Leidenschaft ist das Segeln, vor allem das Regattieren mit meinem zehnköpfigen Team. Wir haben eine 40-Fuss-Yacht, die wir an einem Dutzend Regatten auf den Juraseen von Biel und Neuenburg fahren.

zentralplus: Immer so sportlich?

Meyer: In Küssnacht hab ich zudem ein Motorböötli. Im Winter mag ich Skating und im Sommer bin ich gerne in den Bergen, sei es beim Biken oder Wandern. Ich laufe gerne aufs Känzeli der Rigi: von Küssnacht via Seebodenalp, und dann auf die Rüedisalp, dann auf Staffel, dann via Felsenweg retour. Diese Vierstundentour ist das Ideale für den Kampf gegen das Übergewicht.

zentralplus: So gehen Sie den asiatischen Touristen auf der Rigi aus dem Weg, von denen viele Zentralschweizer das Gefühl haben, dass sie auch da zu viel werden für unsere Region.

Meyer: Deshalb bin ich als Migros-Mann auch im Tourismusforum TFL30 dabei: Ich bin der Meinung, dass wir sehr Sorge tragen müssen zum Tourismus. Denn er ist der Wirtschaftsmotor in der Region. Nebst ein paar innovativen und grossen Firmen natürlich.

zentralplus: Deshalb verkaufen Sie Schoggi ohne Ende in der Filiale Schweizerhof, nahe dem Schwanenplatz?

Meyer: Ja, das stimmt. Aber auch in all unseren anderen 50 Filialen profitieren wir indirekt. Denn die Kaufkraft der Innerschweizer wird dank dem Tourismus massgeblich gestärkt. Deshalb engagiere ich mich auch. 

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