Ein Besuch in der vernebelten Baarer Ur-Chnelle

Mietstreit ums «Baarbürgli» ist nur vordergründig gelöst

Mike Schwarz und Janette Luginbühl wirten seit fünfeinhalb Jahren im Baarbürgli. (Bild: wia)

Ums Restaurant Baarburg entbrannte diesen Sommer ein derart heftiger Mietstreit, dass das Wirtepaar beinahe hatte forfait geben müssen. Nun konnte die Situation teils entschärft werden. Die Wirte dürfen bleiben. Nur zu welchem Preis? Ein Besuch zwischen Rauchschwaden und Schnäpsen.

Ein garstiger Abend. Nieselregen vernebelt die Baarer Hauptstrasse, wer nicht raus muss, der bleibt zuhause. Dass das Baarbürgli, eine der letzten richtigen «Chnellen» im Kanton, rappelvoll ist, erstaunt deshalb.

Vier der fünf Tische sind besetzt. Im kleinen Raum, in dem noch geraucht werden darf, ist es stickig und heiss. Das Wirtepaar Mike Schwarz und Janette Luginbühl hat gut zu tun. Das ist keine Ausnahme, die Beiz läuft gut und rentiert. Trotzdem stand bis vor Kurzem zur Debatte, dass die Wirte das Handtuch schmeissen müssen. Dies aufgrund eines verfahrenen Mietstreits (zentralplus berichtete).

Stihlkalender an der Wand, T-Shirts mit Brüsten an der Decke. Dieses Lokal bedient Männerfantasien.

Doch dazu später mehr. Erst einmal mischen wir uns unters Volk. Offenbar wurden die Stammgäste vorgewarnt, dass eine Journalistin vorbeikommt. Sie sind zuvorkommend, machen rasch Platz am dicht besetzten runden Tisch. Trotzdem sagt die Wirtin im Vorbeigehen bestimmt: «Gäll, sinder aschtändig!» Wir bestellen, und sitzen denn auch bald gut integriert vor einer Flasche Most.

Ein älterer Herr, er dürfte gegen 80 sein und scheint schon einige Biere intus zu haben, erzählt davon, dass seine Lebenspartnerin so gerne Kalbskopf isst, und dass man das eben nur hier bekomme. Tatsächlich wird das währschafte Menü jeweils Dienstags gekocht, wie eines der Dutzenden Schilder in Comic Sans-Schrift verrät, das über den Köpfen der Gäste prangt. Der Mann ergänzt nicht ohne stolz: «Janette hat mir aber gesagt, dass ich es nur sagen müsse. Dann bereitet sie mir auch an anderen Tagen einen Kalbskopf zu.» Dass die Beizer weiterhin auf diesem Restaurant wirten, freue ihn nicht zuletzt deshalb sehr. Denn so klar war das bis vor kurzem nicht.

Die Vermieter des Baarbürgli nämlich wollten dem Wirtepaar den Mietvertrag kündigen. «Durch ein Treffen mit der Schlichtungsbehörde konnten wir vor kurzem erreichen, dass wir bis Ablauf der 10-jährigen Mietfrist auf dem Lokal bleiben dürfen», sagt Schwarz. Weitere viereinhalb Jahre also, die sich das Paar dank dem Mieterschutz sicherte.

Der Konflikt ist bei weitem nicht gelöst

Trotzdem, der Konflikt sei dadurch bei weitem nicht gelöst, so der Wirt. «Denn nach wie vor unterscheiden sich die Ansichten, insbesondere bezüglich der Öffnungszeiten.»

Die Vermieter nämlich fordern, dass die Beiz bereits um 8 Uhr morgens öffnet, wie das bis vor rund einem Jahr der Fall war. «Dann jedoch wurde Janette krank und musste während eines Monats im Spital bleiben.» Schwarz habe die Öffnungszeiten damals temporär angepasst. Denn ausser bei grösseren Anlässen hat das Wirtepaar keine Unterstützung von aussen. So öffnete das Baarbürgli in dieser Zeit erst um 16 Uhr. Im Sommer bei schönem Wetter um 11 Uhr.

Wenn eine Beiz zwei Kafi Zwätschgen am morgen verkauft, ist das schon viel.

Mike Schwarz, Wirt im Baarbürgli

«Und wir mussten merken, dass wir quasi gleich viel Umsatz hatten wie davor. Von den 15 Gästen, die einst am morgen aufs Kafi kamen, leben heute nur noch drei.» Ausserdem gebe es im Umkreis genügend Beizen, die gute Znüniangebote hätten. «Und auch diese machen nicht mehr das grosse Geld mit den Znünigästen. Wenn eine Beiz zwei Kafi Zwätschgen am morgen verkauft, ist das schon viel. Die Zeiten haben sich stark geändert», sagt Schwarz.

So habe man die Öffnungszeiten dauerhaft angepasst. «Wir haben ja nach wie vor bis 2 Uhr früh offen.» Nur: Das passte den Besitzern des Hauses so gar nicht. «Oder sie sagen jedenfalls, dass dies der Grund sei. Doch bin ich überzeugt: Die wollen uns einfach draussen haben und werden auch weiterhin alles tun, damit das gelingt», sagt Schwarz resigniert.

Der Krach kostet Nerven, Zeit und Geld

Es habe sich bereits ein Interessent gemeldet, der das Haus, in dem das Baarbürgli beherbergt ist, kaufen wollte. «Doch war diesem wichtig, dass wir weiterhin hier wirten dürfen. Die jetzigen Besitzer haben wohl deshalb abgelehnt.»

Beirren lasse man sich durch die Querelen nicht. «Doch sollten die Vermieter die Sache vors Gericht ziehen, wird es uns viel Nerven, Zeit und Geld kosten.»

Nachvollziehbar sei das alles nicht, findet das Wirtepaar. «Wir haben eine Fixmiete, die nicht abhängig vom Umsatz ist. Darum dürfte es den Besitzern eigentlich egal sein, wie lange wir offen haben.»

Kalbskopf, nicht nur am Dienstag!

Während sich Schwarz wieder um seine durstige Kundschaft kümmert, setzen wir uns an einen der beiden Stammtische. Denn auch die Gäste haben den Knatsch mitbekommen. «Ich bin gottenfroh, dass das Wirtepaar bleiben kann», sagt einer von ihnen. Wenn sich zwei Parteien nicht einigen können, bekommen das auch alle rundum zu spüren. Ein anderer findet: «Das Wirtepaar hat einige Neuerungen gebracht, die toll sind. Im Sommer wird draussen grilliert, doch setzt man auch auf Währschaftes wie Kalbskopf und Kutteln.»

Es wird viel geraucht und getrunken, durcheinander diskutiert. Immer wieder gelangt der Tabak auch mittels Nase ins System. – Die Schnupfsprüche sind weit jenseits aller Political Correctness.

Weibliche Gäste sucht man vergeblich

Zeit für einen Besuch des zweiten Stammtischs. Dort findet gerade der Mittwochs-Stamm statt. Die Herren, die hier gemeinsam Fondue essen, kennen sich teilweise schon seit 50 Jahren. Einen weiblichen Gast sucht man auch hier vergebens. Und das findet man ganz gut.

Rege Diskussionen bis in die Nacht hinein werden im Baarbürgli geführt. (Bild: wia)

«Hier wird Politik gemacht», sagt einer der Herren, denn hier erfährt man alles. «Aber auch Männerthemen besprechen wir.» Seit Jahrzehnten treffen sie sich ein- bis zweimal wöchentlich in einer Kneipe. «Bis zu dessen Schliessung war der Lindenhof in Uerzlikon unser Stammlokal, später das Rössli in Baar. Seit auch dieses zu hat, kommen wir hierher.» Die urchige, gedrungene Beiz behagt den Männern. Auch wenn sie die Mieter als «speziell» bezeichnen. Man merkt: Auch zwischen Gästen und Wirt ist nicht immer eitel Sonnenschein.

«Ich bin heute mit den öV hier. Du kannst mir also auch Greta sagen.»

Ein Stammgast

Als Wähler der Grünen sei man hier am falschen Ort, sagt man uns präventiv. «Wobei, ich bin heute mit den öV hier. Du kannst mir also auch Greta sagen», sagt ein grauhaariger Mann mittleren Alters und lacht.

Auch sie haben den Mieterkrach mitbekommen. «Solche Reibungen sind normal», findet einer der Gäste. Bei der Frage, ob’s denn schlimm wäre, wenn es einen Wirtewechsel gäbe, zuckt man die Schultern. Ein Gast, der gerade seine meterlange Teleskop-Fonduegabel in den Käse tunkt, sagt gelassen: «Das Brutale ist ja, dass man als Gast Optionen hat. Es gibt immer noch andere Spunten, wo man hin könnte.» Doch merke man schon, dass das Wirtepaar sehr viel Herzblut in ihr Baarbürgli investiere, und das sei schön.

Gute Geschichten werden nicht ausgeplaudert

Fragt man nach den besten Anekdoten aus dem Baarbürgli, wird es auffällig still. Die könne man nicht preisgeben, sagen die Männer. Spätabends erzählt uns Mike Schwarz dennoch eine. «Als Frau hatte man es bis vor einigen Jahren schwer hier drin. Wir haben dann auf den Tisch geklopft. Fanden, das gehe so nicht. Seither behandelt man auch weibliche Gäste gut.»

Mit Ausländern sei das etwas schwieriger. «Letzthin ist ein Schwarzer hereingekommen. Kaum betrat er das Lokal, wurde es totenstill. Er setzte sich in eine Ecke, fragte, ob er hier ein Bier trinken dürfe. Natürlich dürfe er, sagte ich. Währenddessen begann man an den anderen Tischen bereits, fremdenfeindliche Sprüche zu klopfen.»

Der Afrikaner sei sehr höflich gewesen, habe gefragt, ob er denn das Bier direkt aus der Flasche trinken dürfe, weil er das so gerne mache. «Natürlich dürfe er das, sagte ich. Das machen ja die meisten hier so. Ich nahm mir dann selber ein Bier, setzte mich zu ihm hin und begann mit ihm zu reden.

Ausländer haben es hier schwer

Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Expat handelte, der hier in Zug in einem Grosskonzern arbeitet und eine ziemlich wichtige Position inne hat», erzählt Schwarz. Und weiter: «Während wir redeten, wurden die Sprüche am Stammtisch immer derber. Irgendwann bin ich rübergegangen. Jetzt ist aber fertig! Das geht so nicht! Erst, als ich ihnen klarmachte, dass dieser Mann monatlich mehr verdiene als alle zusammen, kriegten sie sich langsam wieder ein.»

Wer sich nicht benehmen könne, der habe hier nichts zu suchen, habe Schwarz seinen Stammleuten gedroht. «Ob ich sie als Gäste denn nicht nötig hätte, fragten einige. Und ich sagte nein. Nein, wenn ihr euch so verhaltet, nicht.»

Dennoch seien es nur wenige Gäste, die nicht mehr kämen. «Die meisten Stammgäste kommen nach wie vor.» Darauf gibt's einen Schnaps aufs Haus.

Im Lokal, wo Bier und Most fliesst. (Bild: wia)

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