Noch wenig Kritik an Zuger Rohstoffbranche

«Mein Papi arbeitet bei Glencore, muss er jetzt ins Gefängnis?»

Eine Öl-Bohrinsel ist bei der Katastrophe im Golf von Mexiko explodiert. (Bild: Emanuel Ammon)

Die Kritik gegenüber den undurchsichtigen Geschäften der Rohstoffhändler nimmt zu, das Interesse in der Bevölkerung wächst. Dennoch herrscht in Zug eine gespenstige Ruhe, wenn es um die Rohstoffbranche geht. Was tut sich in der Rohstoff-Boom-Stadt eigentlich? zentral+ ging auf Tuchfühlung und fand Aktivisten und Ignoranten.

BP, GlencoreXstrata, Shell, Transocean und bald auch Mercuria? In Zug sind über 100 Rohstoff-Firmen operativ tätig, die Rohstoff-Boom-Stadt wächst stetig weiter. Nun soll bald auch die in Genf ansässige Ölfirma «Mercuria Energy Group» einen Standort in der Zentralschweizer Rohstoff-Hochburg aufbauen. Gründe gibt es genug, sich Fragen zu Ethik, Transparenz und Verantwortung im Rohstoff-Geschäft zu stellen – auch in Zug. Die Rohstoffe sind aber weit weg, die Konflikte sind nicht sichtbar und so scheint die Problematik denn auch nicht selten an den Zuger Hochglanz-Bürogebäuden abzuprallen.

«Ich hätte eine Million fordern sollen»

Anfang Januar erlitt Jolanda Spiess-Hegglin einen Rückschlag. Die Kantonalpräsidentin der «Alternative-Die Grüne» engagiert sich in Zug an vorderster Front für mehr Transparenz im Rohstoffhandel und dafür, dass die Zuger Politik das Thema nicht ignoriert. Ihre Einzelinitiative «Zug handelt solidarisch» wurde im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug abgelehnt. In Anlehnung an einige Gemeinden im Säuliamt, forderte Spiess eine Spende an Abbauländer in der Höhe von 100’000 Franken. Die Spende sollte aus Steuergeldern bezahlt werden. Die Initiative wurde jedoch als ungültig erklärt, weil der Initiativgegenstand unzulässig war. Spiess erklärt: «Ich habe ‹nur› 100’000 Franken gefordert, weil alles andere illusorisch gewesen wäre. Das hatte zur Folge, dass meine Initiative gar nicht gültig war. Dafür hätte ich eine Million fordern sollen.»

Illusorisch war es, weil für Spiess eindeutig ist, dass der Rohstoffhandel in Zug «die heiligste Kuh» ist. «Und diese wird verteidigt, ohne Wenn und Aber», sagt sie und erklärt: «Der Grund liegt darin, dass für die Mehrheit des Zuger Bürgertums der Rohstoffhandelsplatz bereits in den 70er Jahren die Armee als unantastbares Heiligtum abgelöst hat.» Die bedingungslose Verteidigung des Rohstoffhandelsplatzes und des Steuerparadieses sei zu einem Identitätsmerkmal geworden.

Die CVP interessiert es nicht

Im Grossen Gemeinderat stimmten die Fraktionen FDP, CVP, SVP und die glp geschlossen gegen die Initiative. Nicht nur weil sie ungültig war. Spiess «irritierte» vor allem die glp: Sobald es um ein linkes Anliegen gehe, lege die Partei ihr grünes Mäntelchen ab. Für die glp handle es sich beim Vorstoss der linken Kantonsrätin um «Wirtschaftsbashing». Die glp liess über die Medien verlauten, dass die Alternative die Zuger Milchkuh verkaufen wolle. «Die krasse Umweltverschmutzung in den Abbauländern spielt für die Grünliberalen keine Rolle mehr», sagt Spiess enttäuscht. Aber auch die SP in Zug engagiere sich zu dem Thema so gut wie nicht, meint Spiess.

10 Mal Symbiose

In Zug lebe und arbeite ein Teil der Bevölkerung eng mit dem Rohstoffhandel in einer Symbiose, sagt Autor Thomas Brändle aus Ägeri. Er nennt zehn einfache Gründe für die «Ruhe» in Zug, wenn es um Rohstoffkritik geht.

1. Zuger arbeiten in den Rohstoff-Firmen

2. Stellenvermittlungsbüros verdienen an den Rohstoff-Firmen

3. Die Zugerland Verkehrsbetriebe verdienen an den Rohstoff-Firmen

4. Immobilienfirmen und Hausverwaltungen verdienen an den Rohstoff-Firmen

5. Das regionale Gewerbe verdient an den Rohstoff-Firmen

6. Sport- und Freizeitvereine werden von Rohstoff-Firmen finanziell unterstützt

7. Angestellte der Firmen sind in Vereinen aktiv (Turnverein, Fussballverein, Tennisclub, Musik)

8. Sprachlehrer und Sprachschulen verdienen an den ausländischen Angestellten (zum Teil gehen Sprachlehrer in die Firmen, um zu unterrichten)

9. Sport- und Gesundheits-Aktivitäten (Migros Fitness Abo, Yogakurse, etc.) werden von den Firmen gebucht und mit lokalen Anbietern abgedeckt

10. Restaurants sind im Zentrum von Zug ständig gut gebucht und Take-Aways leben von den schnellen Mittagessen, die sich die Händler einverleiben

Bei der CVP wird das Thema schlicht und einfach ignoriert. Die Partei sieht keinen Handlungsbedarf und zieht auch nicht in Betracht, das Thema zukünftig in die Diskussionen aufzunehmen. Geni Meienberg, Geschäftsstellenleiter der CVP Kanton Zug, sagt gegenüber zentral+: «Ich kann mich nicht erinnern, dass die CVP jemals einen Vorstoss zu dieser Thematik gemacht hätte. Das Thema wird von den linken Parteien bewirtschaftet.» Kritisch fügt er hinzu: «Schlussendlich wollen die Kritiker ja auch nicht auf die Vorteile verzichten, die Zug durch diese Unternehmen bekommt.»

Auf die Frage, ob denn eine Christliche Volkspartei Themen wie Menschenrechte beim Rohstoffabbau einfach ignorieren könne, sagt Meienberg nur: «Diese Verbindung zum ‹C› in unserem Parteinamen finde ich unpassend.» Die CVP sehe das nicht so kritisch, sagt er, und ergänzt: «Bisher konnte noch nie jemand konkret einen Missstand beweisen. Man hört immer wieder Allgemeinaussagen.» Gleichzeitig muss er aber doch zugeben, dass beim Rohstoff-Geschäft vielleicht nicht immer alles hundert Prozent «sauber» ablaufe. Persönlich meint Geni Meienberg: «Wenn in solchen Ländern der Abbau und die Vermarktung nur in den Händen von lokalen Unternehmern wäre, gäbe es keine Garantie, dass es dort besser aussehen würde.»

Die Pauschalisierung ist stossend

Da geben sich sogar die Branchenvertreter der Rohstoffindustrie kritischer. In Zug vertritt der Verein «Zug Commodity Association» (ZCA) die Interessen der Handelsfirmen. Der Leiter Martin Fasser sagt: «Die ZCA negiert die Probleme nicht, stösst sich aber an der Pauschalisierung.» Für ihn töne es immer so, als ob alle in der Schweiz ansässigen Rohstoff-Unternehmen aktiv und bewusst Menschenrechte verletzten und Umweltschäden begehen würden. Für ihn ist klar: «Wer in dem Business bestehen will, muss alle Gesetze und Richtlinien einhalten.» Der ZCA sind 43 Unternehmen angeschlossen, die grösste unter den Zuger Rohstoff-Firmen, GlencoreXstrata, gehört nicht dazu.

Thomas Brändle ist Schriftsteller aus Ägeri und gab 2013 das Buch «Mark Pieth – der Korruptionsjäger» heraus. Für zentral+ macht er sich Gedanken über die Kritik an der Rohstoffbranche. Er ist der Meinung, dass es nicht «nur ruhig ist» in Zug. «Die ‹Neue Zuger Zeitung› hat in letzter Zeit häufiger als auch schon kritisch über den Rohstoffhandel berichtet», sagt er. Ausserdem gebe es eine «Stadtbesichtigung», die vor allem die Hotspots des Rohstoffhandelsplatzes Zug kritisch beleuchte.

Zur Frage, ob denn in Zug die Politiker nicht endlich tätig werden sollten, antwortet Brändle: «Politiker engagieren sich in einem Thema dann, wenn es auch die Menschen beschäftigt, die sie wählen.» Er ist der Meinung, dass sich die Schweiz nicht wie ein «Piratenhafen» gebärden sollte, dem es egal ist, was auf seinem Territorium getrieben wird. «Aber die Schweiz und Zug stehen in einem internationalen Wettbewerb, wo das Moralisieren einerseits und das Heucheln andererseits zum Geschäft gehört», sagt Brändle. Um Verhältnisse wirklich zu verändern, müssten die konkreten Spielregeln ändern, sagt Brändle.

Kritische Fragen mit Gottes Hilfe

Auf gesellschaftlicher Ebene ist in Zug die Kirche aktiv. Das «Forum Kirche und Wirtschaft» unter der Leitung von Christoph Balmer organisierte letztes Jahr eine öffentliche Veranstaltung über Ethik und Verantwortung im Rohstoffhandel. Das Interesse sei gross gewesen, sagt Balmer. Rund 200 Personen seien gekommen. Allerdings zeigt er sich enttäuscht über die Abwesenheit jener Politiker, die gegen die Rohstoffbranche kämpfen – also die Alternativen. «Sie sagten, sie hätten keine Zeit», so Balmer.

Balmer ist es ein Anliegen, dass im Dialog mit den Rohstoffunternehmen auch kritische Fragen gestellt werden. Er selbst konzentriert sich aber vermehrt auf lokale Fragen. «Die GlencoreXstrata beispielsweise hat rund 650 Mitarbeiter im Kanton Zug», sagt Balmer. Diese Leute seien in der Zuger Bevölkerung nicht unbedeutend. Er weiss denn auch, dass Mitarbeiter der Glencore immer mehr im Kreuzfeuer der Kritik stehen – und darunter leiden.

Glencore-Mitarbeiter schweigen lieber

Von der Seelsorge her ist ihm bekannt, dass Mitarbeiter sich davor hüten, zu sagen, dass sie bei GlencoreXstrata arbeiten. Es habe auch schon Schulkinder gegeben, die im Religionsunterricht fragten, ob ihre Väter nun ins Gefängnis müssten, weil sie bei GlencoreXstrata arbeiteten.

Dieser Problematik sei sich auch die Geschäftsleitung bewusst. Balmer ist der Meinung, dass die Firma GlencoreXstrata in Zukunft mehr an die Öffentlichkeit treten werde. «Einerseits müssen sie das seit dem Börsengang sowieso, andererseits haben sie selbst gemerkt, dass der Dialog wichtig ist.» Im Februar wird Jolanda Spiess-Hegglin mit Ivan Glasenberg, dem Chef von Glencore, ein Gespräch führen. Es ist das erste Mal, dass die Rohstoff-Firma eine kritische, linke Politikerin zu einer Diskussion eingeladen hat.

Muss es der Bund richten?

Ende letzten Jahres äusserte sich schliesslich doch ein Politiker aus dem bürgerlichen Lager zum Thema. Es war der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel (FDP). Seine Aussage gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung» sorgte für Aufsehen. Mit Bezug auf den «Grundlagenbericht Rohstoffe» des Bundes sagte Michel, dass Rohstoffe häufig in Ländern abgebaut würden, die Defizite hätten bei der Rechtsstaatlichkeit und der Durchsetzung von Standards bei den Arbeitsbedingungen und beim Umweltschutz.

Auf Anfrage von zentral+, ob die Regierung in Zug die Rohstoff-Firmen nicht zu mehr Transparenz auffordern sollte, sagt Matthias Michel: «Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie die Rechtsordnung – einschliesslich Menschen- und Umweltrechte – einhalten, und mit der Bevölkerung in einem konstruktiven, friedlichen Dialog stehen.» Der Regierungsrat habe immer betont, dass neue oder geänderte Regeln in diesem globalen Markt auch auf internationaler Ebene gefunden werden müssen.

«Wir begrüssen die Tendenz zu erhöhter Transparenz, welche wir bei grossen Rohstoffunternehmen feststellen, unter anderem deren Mitwirkung bei der ‹Extractive Industries Transparency Initiative (EITI)›», so Michel. Auch die von Seiten der Zuger Verwaltung angestossene Gründung der Branchenorganisation «Zug Commodity Association» trage dazu bei, dass die Branche «ein Gesicht» erhalte und sich vermehrt der Öffentlichkeit stelle.

Gerade der im März 2013 veröffentlichte «Rohstoffbericht» des Bundes habe aufgezeigt, dass die Handlungsebene nicht der Kanton sei, sondern der Bund in Koordination mit der internationalen Staatengemeinschaft. «Weder kantonale noch nationale, sondern internationale Standards sind gefragt», betont Michel.

Auf die Frage, ob sich auch bürgerliche Politiker zum Thema engagieren, antwortet er: «Ich weiss von zwei Initiativen aus eher bürgerlichen Kreisen, welche sich im Sommer dem Thema «Rohstoffe» widmen wollen.» Jetzt also doch. Vielleicht.

Zug als Eldorado der Rohstoffbranche

Die Rohstoff-Stadt Zug ist schon alt, sie ist seit Jahrzenten herangewachsen zu einem sogenannten «Cluster» (engl. Schwarm, Nest). Als erster kam 1974 der Rohstoff-Mogul Marc Rich nach Zug. Aus seinem Rohstoffunternehmen, der «Marc Rich & Co AG», wurde 1993 «Glencore», und 2012 «GlencoreXstrata» mit Hauptsitz in Baar. GlencoreXstrata ist weltweit das grösste Unternehmen im Rohstoffbereich und handelt nicht nur mit Ressourcen, sondern besitzt auch eigene Minen.

Heute bietet Zug den Firmen beste Infrastruktur, eine gute Verkehrslage in der Nähe von Zürich und dem Flughafen sowie eine Menge hochqualifizierter Arbeitskräfte, die für das Rohstoff-Business rekrutiert werden können. Ausserdem finden sich Dienstleistungen wie Umzugsdienste und Business-Apartments, welche die Bedürfnisse der international tätigen Business-Leute abdecken. Zudem gibt es internationale Schulen für die Kinder von «Expats» und sogar die «Neue Zuger Zeitung» wird auf Englisch übersetzt und online gratis zur Verfügung gestellt «The Zug Post. English daily local news

Seit einigen Jahren läuten aber beim Thema Rohstoffhandel bei vielen auch die Alarmglocken. Ein Auslöser war im Jahr 2010. Im Golf von Mexiko explodierte die Ölplattform «Deepwater Horizon» und verursachte eine der grössten Umweltkatastrophen in dieser Art. Die Plattform gehörte BP – mit Sitz in Zug. Die Ölfirma soll Sicherheitswarnungen vor der Katastrophe aus Kostengründen ignoriert haben. In Kolumbien müssen laut NGO-Berichten ganze Dörfer den Kohle-Minen von GlencoreXstrata weichen. Die Berichte über Umweltverschmutzungen durch giftiges Abwasser, Landkonflikte und Korruption sind zahlreich.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Markus Mathis
    Markus Mathis, 05.02.2014, 16:13 Uhr

    Früher arbeitete sich der Alternative Josef Lang an der Rohstoffbranche ab, jetzt hat seine Parteifreundin Jolanda Spiess-Hegglin den Part übernommen. Praktisch, gibts die Branche noch, möchte man ihr zurufen, verliert doch Zug im Commodity-Trading schon länger an Genf. Der Handelsplatz Zug ist heute von Pharma geprägt, aber damit lässt sich halt weniger gut Empörungsbewirtschaftung betreiben.

    Wobei ich die Kritik am Rohstoffhandel grundsätzlich teile. Auf der anderen Seite sorgen internationale Firmen in den Abbauländern auch für einigermassen korrekte Bedingungen, was sich bei nationalen Firmen und privaten Schürfern wohl nicht im gleichen Masse feststellen liesse. Darüber wird jedoch nie gesprochen und das stört mich.

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