Russische Musik in Luzern

Mehr als Schwanensee

Das Schlusskonzert «Danses suisses - chansons russes» im Zeugheersaal vom Hotel Schweizerhof Luzern. (Bild: Ingo Hoehn)

Fulminanter Abschluss eines aufstrebenden Festivals: Gestern endeten die Tage russischer Musik Luzern, das Festival Zaubersee, mit einem packenden Kammermusikkonzert, das Lust auf mehr macht.

Wer kann sie ignorieren, die Schönheit der Schweizer Landschaften, der Berge und der Seen? Nicht nur die Touristen, die jeden Sommer die Ufer des Vierwaldstättersees bevölkern, wissen darum. Auch im Kunstschaffen hat diese Majestät bleibende Spuren hinterlassen. Um Richard Wagner, den Revolutionär der Oper, weiss so mancher – ihm ist immerhin das nach ihm benannte Museum in Luzern gewidmet.

Aber auch viele russische Komponisten haben die hiesige Kultur geprägt und sich selbst prägen lassen. Das vielleicht jüngste Kind dieser Beziehungen ist das junge Festival Zaubersee, welches die Interaktion zwischen russischem Musikleben und der Schweiz in den Mittelpunkt stellt. Gestern endete die fünfte Ausgabe des Festivals mit einem begeisternden Kammermusikkonzert im Hotel Schweizerhof Luzern.

Danses Suisses – Chanson Russe

Wie klingen schweizerische Tänze durch russische Ohren? Der zweite Satz des Divertimento für Geige und Klavier von Igor Strawinsky mit dem Titel «Danses Suisses» überraschte den Hörer: rhythmisch, melodisch, süss, einen so kunterbunten Blick auf das kleine Land deckt sich so gar nicht mit den gängigen Klischees.
Der gebürtige St. Petersburger Geiger Philippe Quint gemeinsam mit dem frankokanadischen Pianisten Marc-André Hamelin verliehen auch dem volkstümlichen Element dieses russischen Blicks auf die Schweiz gebührend Ausdruck: den lyrischen Melodien die gehörige Süsse, den peitschenden Rhythmen, für die Strawinsky in seinem bekannten «Le sacre du printemps» berühmt geworden ist, eine kompromisslose Portion Derbheit.

«Die Interpretationen der vier Musiker waren kompromisslos und risikofreudig.»

Mit «Chanson Russe», ebenfalls von Strawinsky, trat allerspätestens die wehmütige Seele Russlands auf die Bühne. Schwer stapfte das Klavier im Hintergrund, unendlich melancholisch die zurückhaltende Geige in ihrem Gesang. Ein plötzlicher hoher Ton von Geige und Klavier sticht wie ein Messer aus Licht mitten ins Herz. Doch die Aufregung währt kurz: Die Instrumentalisten fallen zurück in ihren vorigen Trott, als gäbe es keinen Ausweg aus dieser sich ewig drehenden, ewig fortlaufenden Welt, die immer gleich und immer traurig an den Menschen vorübergeht.

Ohne Netz und doppelten Boden

Quint und Hamelin bestritten den Mittelteil des Konzerts als Duo. Dieses begann und schloss mit der Aufführung je eines Klavierquartetts, wofür Lily Francis an der Bratsche und der Zürcher Cellist Christian Poltéra die Formation komplettierten.

Was für das Duo Quint–Hamelin galt, zeigte sich auch hier: Die Interpretationen der vier Musiker waren kompromisslos und risikofreudig. Da ging es nicht um perfektes Spiel ohne Ecken und Kanten, da wurde vieles gewagt und fast alles gewonnen. Die Musik wurde auf der Bühne gelebt, die Energie und Spiellust der Instrumentalisten war auch im Publikum deutlich zu spüren. Eine solche Dynamik wünscht man sich an jedem Konzert.

Beispielhaft dafür kann das Eröffnungsstück stehen, das Klavierquartett Nr. 3 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Nach dem gesanglichen zweiten Satz schloss mit dem Allegro molto ein dritter Satz an, der ausserordentlich lebendig, fast quirlig realisiert war. Mitreissend, der dramatische Schlusssatz. Die Musiker harmonierten hier besonders gut und brachten einen fast schon an russische Musik gemahnenden Gestus des deutschen Meisters zum Vorschein.

«Ein komplexes Werk voller Leidenschaft, aber auch mit Momenten der Grabesstille.»

Fremde Klänge

Als Schlussstück spielte die Formation das Klavierquartett in a-Moll von Georgi Catoire. Dieses Stück eines weitgehend unbekannten russischen Komponisten mit französischen Wurzeln ans Ende des gesamten Festivals zu setzen, war vor allem auch ein Statement der künstlerischen Leitung.

Dem Festival geht es nicht nur darum, die bereits bekannten russischen Werke zu pflegen, sondern auch halb vergessene, bei uns kaum beachtete Künstler wiederzuentdecken. Nicht nur Schwanensee eben. Das Unbekannte, Vergessene ist auch das Verzauberte. Zaubersee ist hier Programm.

Und mit Georgi Catoire ist sicherlich ein Komponist vorgestellt worden, den wiederzuentdecken sich lohnt. Das Klavierquartett ist ein komplexes Werk voller Leidenschaft, aber auch mit Momenten der Grabesstille im zweiten Satz. Es ist allerdings nicht gerade leichte Kost, weder für den Hörer noch für die Ausführenden.

Dass die Musiker nicht regelmässig zusammen spielen, hat man hier gehört – die verworrenen Rhythmen führten zu einigen Kompromissen bei der Präzision. Dennoch wurde auch hier mit Hingabe musiziert, dem vergessenen Komponisten eine würdige Bühne gegeben.

Ein Traum in den Schweizer Alpen

Vielleicht liegt es an der Jugendlichkeit des Festivals oder der Schönheit der Räumlichkeiten, des Horizonts gerade vor der Tür. Oder es ist ein Rest der ganz besonderen Stimmung, die damals das Festival aus der Taufe hob und noch heute weiterwirkt. Dazu schreibt Numa Bischof Ullmann, künstlerischer Leiter des Luzerner Sinfonieorchesters und Initiator des Festivals Zaubersee:

«Can you imagine the energy in Lucerne?»

«Today, I belief the birth of Zaubersee in a way was a natural result of the summit encounter I had in 2010, high up in a hideout in the Swiss Alps with some of the greatest of today’s artists […]. We all sat a table in a chalet. The moment was the magic, so when I asked, how they felt about a new concerto for piano, cello and orchestra by Rodion Shchedrin, everyone simply said Yes to it. […] The day of the world premiere corresponded with the announcement of the new festival Zaubersee. Can you imagine the energy in Lucerne? Rodion Shechdrin, the grand master, and his wife Maya Plisetskaja being there – joined by the dedicatees Martha Argerich, Mischa Maisky and conductor Neeme Jaervi?» (Numa Bischof Ullmann)

Was auch immer die Gründe für die Energie des gestrigen Abends waren, dem Festival und seinen Besuchern sind noch viele solche Konzerte zu wünschen. 

Das Schlusskonzert «Danses suisses - chansons russes» im Zeugheersaal vom Hotel Schweizerhof Luzern.

Das Schlusskonzert «Danses suisses – chansons russes» im Zeugheersaal vom Hotel Schweizerhof Luzern.

(Bild: Ingo Hoehn)

 

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