Zuger Gesundheitsdirektor zur Corona-Situation

Martin Pfister: «Ich war immer gegen ein Impfobligatorium»

Der Zuger Landammann Martin Pfister verzichtet diesen Winter aufs Skifahren. (Bild: jal)

Corona hat das Jahr des Zuger Gesundheitsdirektors und Landammanns Martin Pfister geprägt. Der Mitte-Regierungsrat sagt im Interview, wieso er Verständnis hat für den Groll der Geimpften und ein Impfobligatorium nicht ausschliesst. Und was er dereinst seinen Grosskindern erzählen wird.

zentralplus: Martin Pfister, seit Anfang dieser Woche gelten die 2G- und 2G-plus-Regeln in der Schweiz. Brauchte es diese Verschärfung?

Martin Pfister: Grundsätzlich verschärft man ja nie gerne die Massnahmen, jetzt vor den Festtagen noch weniger. Aber die strengeren Massnahmen waren aufgrund der starken Belastung der Spitäler nötig, weshalb sich auch der Zuger Regierungsrat für diese Verschärfung aussprach.

zentralplus: Mit 2G-plus haben Geimpfte kaum mehr Vorteile, denn sie müssen sich wieder testen lassen.

Pfister: Geimpfte haben den grossen Vorteil, dass sie in der Regel nicht schwer erkranken. Impfen lohnt sich also sowieso. Und bei 2G hat man als Geimpfter sehr wohl Vorteile, etwa in Restaurants.

zentralplus: Ungeimpfte fühlen sich durch 2G-plus hingegen noch stärker ausgeschlossen. Bei ihnen reicht ein Test nicht mehr, bei den Geimpften wird er für 2G-plus hingegen verlangt. Ist das nicht widersprüchlich?

Pfister: Nein, denn im Grundsatz gilt ja 2G. Das «Plus» ersetzt lediglich die Maske und ist quasi ein Kompromiss, um Veranstaltungen und Freizeitangebote weiterhin zu ermöglichen. Was die Benachteiligung angeht: Die Impfung ist auch ein solidarischer Akt. Wer sich gegen diesen gesellschaftlichen Beitrag entscheidet, muss auch gesellschaftliche Nachteile in Kauf nehmen – das ist in meinen Augen eine zwingende Folge.  

«Wir haben ja bereits heute mit 2G eine abgeschwächte Form eines Impfobligatoriums.»

Martin Pfister

zentralplus: Wenn die Leute nicht mehr ins Restaurant oder in die Bar dürfen, besteht die Gefahr, dass sich diese Treffen ins Private verlagern. Wird das in Zug kontrolliert?

Pfister: Diese Treffen sind Teil der Realität. Darum ist die Obergrenze von zehn Personen bei Privatanlässen mit einem Ungeimpften eine notwendige Begleitmassnahme zu 2G. So wird verhindert, dass diese Ausweichbewegungen im grossen Rahmen stattfinden. Wir wissen, dass Kontrollen im privaten Bereich schwierig sind. Aber es wird kontrolliert.

zentralplus: Wie stehen Sie zu einem Impfobligatorium, wie es derzeit teilweise gefordert wird (zentralplus berichtete)?

Pfister: Ich war immer gegen ein Impfobligatorium und bin es im Grunde immer noch. Aber ich kann es nicht mehr grundsätzlich ausschliessen. Das heisst nicht, dass die Leute polizeilich zur Impfung gezwungen werden – das wäre undenkbar.

zentralplus: Aber dass sie etwa mit einer Busse rechnen müssen wie in Österreich, oder mit dem Verlust des Jobs wie in Italien?

Pfister: Genau. Wir haben ja bereits heute mit 2G eine abgeschwächte Form eines Impfobligatoriums. Die Frage ist also: Wie weit geht man mit weiteren Einschränkungen? Wenn sich die Situation in den Spitälern verschlimmert, wäre eine Impfpflicht zumindest zu prüfen. Und eine Impfpflicht hat den Vorteil, dass Klarheit über die Erwartungen besteht. Es gibt Personen, die brauchen diese Klarheit.

zentralplus: Der Kanton Zug hat letzten Sonntag einen Erstimpftag durchgeführt. Wie viele Personen kamen da? Oder allgemeiner gefragt: Sind wir bereits am Punkt, wo man akzeptieren muss, dass sich Ungeimpfte nicht mehr überzeugen lassen?

Pfister: Wir registrieren derzeit täglich 50 bis 100 Erstimpfungen. Es gibt noch Potenzial, aber es ist nicht mehr so gross. Wir sind am Punkt, wo wir keine grossen Kampagnen mehr für die Erstimpfung fahren – das haben wir im Sommer und Herbst monatelang getan. Wobei man nicht alle Ungeimpften in einen Topf werfen kann. Es handelt sich bei dieser Gruppe längst nicht nur um radikale Impfgegner. Manche haben einfach Angst vor Nebenwirkungen. Jetzt, ein Jahr nach der ersten Covid-Impfung im Kanton Zug, sehen sie: Die Nebenwirkungen sind in den allermeisten Fällen nur mild und die Impfung bringt einen hohen Schutz.

«Wir gehen davon aus, dass alle ihre Auffrischimpfung bis Ende Januar erhalten.»

Martin Pfister

zentralplus: Jetzt reden alle vom Booster. Wie ist die Nachfrage im Kanton Zug?

Pfister: Bisher haben sich rund 75 Prozent der zugelassenen Personen für den Booster angemeldet. Die Verkürzung der Wartefrist auf nur noch vier Monate seit der zweiten Impfung hat in Zug zusätzlich 33’000 Personen zum Boostern berechtigt – und zu einem entsprechend grossen Ansturm geführt. Konnte man zunächst noch einen Termin für den Folgetag erhalten, muss man jetzt rund zwei bis drei Wochen warten. Wir gehen aber davon aus, dass alle ihre Auffrischimpfung bis Ende Januar erhalten.

zentralplus: Etliche Leute haben sich trotz doppelter Impfung kurz vor dem Boostertermin mit Corona infiziert. Sind diese zwei bis drei Wochen Wartezeit angesichts dessen nicht zu viel?

Pfister: Natürlich wäre es wünschbar, könnte man sofort alle am gleichen Tag impfen. Aber jedes System hat seine Grenzen. Im Moment arbeiten im Impfzentrum gegen 300 Personen, verteilt auf zwei Schichten und sieben Tage die Woche. Bald kommt zudem die Impfung für Kinder. Wir machen das Maximum. Es ist auch epidemiologisch vertretbar, dass Jüngere etwas länger warten.

Besuch der Zuger Regierung im Kantonsspital
Der Zuger Regierungsrat Martin Pfister auf Besuch im Kantonsspital. (Bild: zvg)

zentralplus: In Zug ist Omikron schon nachgewiesen worden (zentralplus berichtete). Wie gefährlich ist diese neue Variante?

Pfister: Die Ampeln stehen auf Rot, wir haben grossen Respekt vor Omikron. Die Experten gehen davon aus, dass sie ansteckender und aggressiver ist als Delta. Es gibt die Befürchtung, dass eher jüngere Menschen hospitalisiert werden müssen. Das wäre natürlich schlecht. Denn wir haben nun mal nicht für jeden Einwohner ein Spitalbett. Es könnte aber auch das Gegenteil sein: Dass sich zwar viele Menschen anstecken und Impfdurchbrüche haben, aber der Verlauf eher mild ist. Das käme einer Lösung der Pandemie sehr nahe.

zentralplus: Dann wäre Corona praktisch wie eine Grippe?

Pfister: Ja, im Prinzip. Aber noch wissen wir zu wenig über die neue Variante.

zentralplus: Der Flaschenhals sind die Betten auf den Intensivstationen. Wie sieht die Situation aktuell in Zug aus?

Pfister: Wir haben seit langer Zeit eine hohe Belastung, denn Covid-Patienten sind aufwendig in der Betreuung. Aber im Moment kann das Spital die Situation noch stemmen. Man muss gleichzeitig festhalten: Als kleiner Kanton sind wir darauf angewiesen, Patienten nötigenfalls in ein grösseres Spital verlegen zu können – etwa nach einem schweren Unfall. Wenn die Kapazitäten dort knapp werden, haben auch wir ein Problem. Und die Situation ist nur zu bewältigen, weil nicht mehr alle Wahleingriffe gemacht werden – auch das hat für die betroffenen Personen sehr unangenehme Folgen.

zentralplus: Was halten Sie von der Forderung, dass Ungeimpfte auf einen IPS-Platz verzichten sollen?

Pfister: Politisch gesehen habe ich Sympathien dafür. Denn man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben. Nur entspricht das nicht unserer medizinischen Ethik. Unsere Spitäler behandeln alle Patienten und priorisieren sie nicht nach ihrem Impfstatus. Würde man daran rütteln, brächte das vieles ins Ungleichgewicht.

zentralplus: Aber Ungeimpfte sollten in ihrer Patientenverfügung festhalten, dass sie nicht beatmet oder intubiert werden wollen (zentralplus berichtete)?

Pfister: Ich persönlich fände das konsequent. Mit dem eigenverantwortlichen Entscheid gegen eine Impfung sollte man auch die Folgen tragen.

«Wir werden nicht über Jahre hinweg halbleere Spitäler erhalten, bis dann irgendwann die nächste Pandemie kommt.»

Martin Pfister

zentralplus: Vielerorts gibt es heute weniger IPS-Plätze als zu Beginn der Pandemie. Das ist für viele schwer nachvollziehbar.

Pfister: Spezialisten auszubilden, dauert lange, und der Personalmarkt im Gesundheitswesen ist ausgetrocknet. Im Kanton Zug sind wir von diesem Abbau glücklicherweise nicht betroffen, weil wir auf genügend Fachpersonal zählen können. Sicher müssen wir die Diskussion führen, ob die Vorhalteleistung für leere Betten höher sein müsste.

zentralplus: Genau das wird auch im Covid-Gesetz neu vorgegeben. Die Kantone stehen in der Pflicht, genügend Spitalbetten bereitzustellen und eben diese Vorhalteleistungen zu finanzieren. Sie begrüssen das?

Pfister: Ja, aber es sollte nicht zu viele leere Betten geben. Gerade für hochspezialisierte Fachleute wie das IPS-Personal ist die Erfahrung zentral. Sie müssen also arbeiten können, um geübt zu sein. Man darf sich nichts vormachen: Wir werden nicht über Jahre hinweg halbleere Spitäler erhalten, bis dann irgendwann die nächste Pandemie kommt – schon nur aus Kostengründen. Und die Kantone haben ja schon bisher Vorhalteleistungen erbracht.

zentralplus: Was meinen Sie?

Pfister: Alle Kantone haben Infrastrukturen wie unterirdische Notspitäler oder Bunker. Die bisherigen Reserven waren auf das Szenario Krieg ausgerichtet. Durch die Corona-Krise hat man erkannt, dass eine Pandemie eine viel grössere Bedrohung ist und bleiben wird. Wir sollten also besser in diese Vorbereitung investieren – möglicherweise in zusätzliche IPS-Plätze und Materialien wie Masken. Historisch gesehen ist diese Bedrohung übrigens der Normalfall. Früher war man viel stärker von ansteckenden Krankheiten betroffen. Nur dachten die Generationen seit den 1950er-Jahren, mit der Erfindung von Penicillin gebe es keine Pandemie mehr.

zentralplus: Die Spitalplanung war und ist stark von Effizienz und Kostenbewusstsein geprägt. Ist das ein Fehler?

Pfister: Grundsätzlich sind mit den jährlich rund 90 Milliarden Franken im Gesundheitswesen genügend Ressourcen vorhanden. Vielleicht nicht immer am richtigen Ort. Doch wir alle zahlen Krankenkassenprämien, diese können nicht unendlich steigen. Die Zeit, in der wir darauf achten müssen, dass unsere Aufgaben finanzierbar bleiben, wird wieder zurückkehren.

zentralplus: Als Sie zum Landammann gewählt wurden, betonten Sie, es sei wichtig, dass keine gesellschaftlichen Gräben entstehen. Das ist nicht gelungen.

Pfister: Die Entwicklung ist nicht erfreulich. Wir alle stellen diese Spannungen fest, in Familien, in Vereinen, in der Gesellschaft. Für den Groll der Geimpften habe ich zwar Verständnis. Aber man sollte niemanden verteufeln und kein Öl ins Feuer giessen. Gleichzeitig dürfen wir uns nicht von einer kleinen Minderheit dominieren lassen.

«Für die ganze Gesellschaft ist es extrem wichtig, ab und zu ein Fest zu feiern.»

Martin Pfister

zentralplus: Blicken wir aufs Jahr zurück: Wie oft hat Ihnen 2021 jemand Danke gesagt?

Pfister: (lacht). Recht oft, ich kann mich nicht beklagen. Besonders positiv wird das Impfzentrum erwähnt. Das freut uns alle, das gibt auch Kraft.

zentralplus: Und wie oft gab es negative Reaktionen?

Pfister: Ebenfalls oft. Wir versuchen allen Kritikern mindestens einmal zu antworten. Aber in der Regel erreichen wir sie nicht.

zentralplus: Wenn Sie in 10 oder 20 Jahren Ihren Grosskindern berichten werden, wie es damals in der Pandemie war, wovon erzählen Sie?

Pfister: Ich werde sicher von den leeren Strassen erzählen. Das ist dieses erste Bild, das bleiben wird. Ebenso vom Besuch in den Spitälern, das ging mir sehr nahe. Und von den fiebrigen, fast schon kriegsähnlichen Zuständen, in denen die Sitzungen auf Stufe Bund stattfanden. Man wusste nie, ob die Entscheide von heute auch morgen noch gültig und ausreichend sind. Das erlebt man sonst in der Politik nie.

zentralplus: In Luzern gibt es die Anekdote, der Gesundheitsdirektor wünsche sich manchmal, im nächsten Leben Sicherheitsdirektor zu sein, weil das der ruhigere Job wäre. In Zug wird dieser Posten ja bald frei …

Pfister: (lacht). Als ich Zuger Gesundheitsdirektor wurde, galt das eher als ruhiger Job. Im Ernst: Ich bin wirklich sehr zufrieden mit meiner wichtigen Aufgabe und möchte nicht tauschen.

zentralplus: Alles ist von Corona dominiert. Was bleibt liegen bei Ihnen, beruflich und privat?

Pfister: In der Gesundheitsdirektion bleibt einiges liegen, da unser gesamtes Team in die Corona-Pandemie eingespannt ist. Auch Freundschaften und Beziehungen zu pflegen, kommt zu kurz. Ich bin zudem leidenschaftlicher Skifahrer, werde aber auch diesen Winter darauf verzichten, weil ich nicht durch einen Unfall die IPS-Stationen zusätzlich belasten will. Es gibt also einiges, das unter der Pandemie leidet.

zentralplus: Auch Ihre Landammannfeier wurde diesen Dezember erneut abgesagt. Wird das mal noch was?

Pfister: (schmunzelt). Die Landammannfeier gehört im Kanton Zug zum festen Inventar der politischen Kultur. Sie trägt zur Qualität der politischen Arbeit bei. Und sie strahlt aus, dass wir nicht ein kalter Kanton sind, in dem es nur um Geld und wirtschaftlichen Erfolg geht. Für die ganze Gesellschaft ist es extrem wichtig, ab und zu ein Fest zu feiern. Insofern hoffe ich, dass wir die Feier allenfalls im Sommer 2022 nachholen können. Und sonst feiere ich gerne meine Nachfolgerin an der nächsten Landammannfeier.

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Dave G
    Dave G, 27.12.2021, 09:47 Uhr

    Statt Zeitungsinterviews zu geben, um sich einen Namen zu machen, wäre der Herr besser beraten, endlich dafür zu sorgen, dass die COVID-Massnahmen in seinem Kanton durchgesetzt werden. Ein Überblick: Maskenpflicht hält in der kantonalen Verwaltung so gut wie niemand mehr ein, Homeofficepflicht interessiert niemanden, COVID-Zertifikate von Mitarbeitenden werden nicht regelmässig überprüft, sondern Listen erstellt. Was gemäss Datenschutz verboten ist, Restaurants und Betriebe werden im ganzen Kanton nicht kontrolliert!

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  • Profilfoto von Do not panic
    Do not panic, 26.12.2021, 10:27 Uhr

    Gemäss Herr Pfisters Logik sind die Genesenen ebenfalls solidarisch. Diese Einsicht erfreut ganz besonders, da eine Ansteckung und somit Immunisierung nachweislich den besten Schutz bietet.

    Den Groll der Geimpften gibt es nicht, das ist lediglich eine kurzsichtige und schwache Aussage.

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  • Profilfoto von 1G für gesund
    1G für gesund, 26.12.2021, 07:57 Uhr

    Der Groll der Geimpften hat eher mit dem schlechten Impfschutz zu tun (euphemistisch «Impfdurchbruch» genannt) und dem daraus resultierenden Impf-Abo.
    Apropos Patientenverfügung: Ein Ungeimpfter, der auf Beatmung verzichtet, macht einen Fehler. Denn dies könnte auch im Fall einer Nicht-Covid-Hospitalisierung oder bei einem Unfall gelten. Also Vorsicht!

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