Kriegsende in der Zentralschweiz

Luzerner Volkswürste und Brennstoff-Rationierung

Die Zeitungen kommentieren das Kriegsende am 8. Mai 1945. (Bild: Collage zentral+)

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation Nazi-Deutschlands. In Zeitungen, die in Luzern erschienen, wird der Tag der Waffenruhe zwar begrüsst. Gejubelt wird aber nicht, der Ton ist eher nachdenklich. Und die kriegsbedingten Rationierungen gelten nach wie vor.

Wir nehmen uns zwei kleine Blätter vor – die sozialdemokratische «Freie Innerschweiz» (FI) und das «Zentralschweizerische Volksblatt», offizielles Organ der  Christlichsozialen, die in der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzerns auf Mikrofilm gespeichert sind. Und werfen auch noch einen Blick in den «Anzeiger für die Stadt Luzern und Umgebung»: Die Kleinanzeigen verraten viel über das Leben einer Stadt.

 

Hitler zur Hölle gefahren

Die «Freie Innerschweiz» war eine Tageszeitung. Sie hatte im Krieg oft Konflikte mit der Zensur (siehe Box am Ende des Artikels), wohl weil sie sich nicht um die so genannte Neutralität bemühte. «Hitler zur Hölle gefahren – oder nur zu den Werwölfen?», schrieb das Blatt am 6. Mai zum Tod des deutschen Diktators. Das ist zwei Tage vor Kriegsende. Am 8. Mai titelt die Zeitung mit grossen Lettern: «Die Kanonen verstummen», «Kapitulation aller deutschen Streitkräfte» und «Heute Siegestag in Europa». Trotzdem wurde wohl in Luzern oder Zug nicht gefeiert an diesem Tag, zu stark sassen die Gräuel des Krieges den Menschen noch in den Knochen.

Martialische Sprache in düsteren Zeiten

Das kommt im Kommentar der «Freien Innerschweiz» zum Tag der Waffenruhe zum Ausdruck. Die Sprache ist genauso martialisch wie die Zeit: Der «stählerne Ring um das Gefängnis Europa» sei durch Hammerschläge gesprengt worden. Die schwarzen Kerkermauern, behaftet mit dem Blut Tausender Unschuldiger, fielen in sich zusammen. «Wenn trotzdem nicht Hunderte von Armen begeistert durch die Luft fliegen, so mag das verschiedene Gründe haben, die zu tief liegen, als dass sie von der Proklamation eines Siegestages ganz überschattet werden können», schreibt die Zeitung.

Dann werden schreckliche menschliche Schicksale während des Krieges geschildert. Ein Mann zum Beispiel, der mit einem Bündel über die Schweizer Grenze läuft, darin die abgetrennte Hand seiner kleinen Tochter, seine einzige Erinnerung. «Ein Waffenstillstand ist noch gar nichts, erst ein Frieden ist alles», schreibt die Zeitung.

Rationierung noch nicht beendet

Ein weiterer Grund, warum unsere Vorfahren vielleicht weniger jubelten als andere Länder: Erstens wurde die Schweiz nicht besetzt – folglich wurde sie auch nicht befreit. Zudem war die Kriegswirtschaft noch nicht zu Ende. Gewisse Lebensmittel und auch Brennstoff waren gemäss Historikern auch nach dem 8. Mai weiter rationiert. Die Mobilmachung endete erst im August 1945.

Das «Zentralschweizerische Volksblatt» ist eine Wochenzeitung, die immer samstags erscheint. Am 8. Mai kommt deshalb keine Ausgabe heraus. Bereits am 6. Mai titelt die Zeitung aber auf ihrer Titelseite: «Deutschland geschlagen! Österreich frei!» Am 12. Mai hat die Zeitung als Leitartikel auf ihrer Titelseite einen Text mit der Überschrift «Der Papst und der kommende Frieden». Es geht um eine neue Enzyklia des Papstes zur Zukunft der Welt nach der Katastrophe. Dieser wünsche sich einen «wahren und ehrlichen Frieden», was angesichts der verworrenen Lage nicht einfach zu bewerkstelligen sei, ohne verborgene neue Konfliktkeime.

Luzerner Kinoanzeigen – auch in den gezeigten Filmen spiegelt sich der Krieg.

Luzerner Kinoanzeigen – auch in den gezeigten Filmen spiegelt sich der Krieg.

(Bild: mbe.)

Schluss mit Luftalarm und Pressezensur

Unter den Kurzmeldungen schreibt das christlichsoziale Parteiorgan, in der Schweiz seien nach dem verkündeten Kriegsende zwei Massnahmen getroffen worden, die zur «Friedensordnung» überleiten würden: die Aufhebung des Luftalarms und der Abbau der Pressezensur.

Ansonsten spiegelt sich in den Spalten der Zeitungen das Leben in der Zentralschweiz: Der Zuger Kantonsrat hat am 7. Mai 1945 getagt, den Vorsitz hatte ein «Meienberg», in Klammern «soz.». Die Wohnsiedlung Ammannsmatte in Zug lädt Interessenten auf den 9. Mai zu einer Orientierungsversammlung im Hotel Hirschen in Zug ein.

Unter der Rubrik Kanton Luzern wird eine öffentliche Versammlung des «Landesverbandes freier Schweizer Arbeiter» im Hotel Adler in Gerliswil beschrieben. Ein Herr Dr. Egli aus Zürich habe ein Referat gehalten, das dem Autor des Berichts ganz und gar nicht gefiel – er wisse nicht, in welche Richtung er seinen Verband nach dem Krieg führen solle, und das dürfe man doch erwarten.

Zeitungen quellen von Inseraten über

Ansonsten enthalten die Zeitungen unzählige kleine bis kleinste Inserate. Die Gebrüder Oerli in Luzern empfehlen zum Muttertag eine «gediegene Kleiderschürze». Das Geschäft Knopf Luzern preist Strümpfe für die lieben Mütter. Die Günstigsten aus Kunstseide, linksmaschig, Strapazierstrumpf, kosten 2.50 Franken, die edelsten «Envers Luxe», reine Seide, sind für 5.90 Franken zu haben. Die Metzgerei Möckli an der Hertensteinstrasse 4 preist ihre Fleischwaren an: Ihre «Volkswurst» kostet damals 50 Rappen je 100 Gramm.

Die Stadtverwaltung Luzern teilt in einem Inserat mit, wie die Brennstoff-Rationierung abläuft. Für die Raumheizungen, aber auch für den Waschküchenbedarf, müssen die Bürger Bezugsbewilligungen für Brennholz und Ersatzbrennstoffe beziehen. Es gibt Verbrauchergruppen und Ausweiskarten mit Nummern, an einem bestimmten Tag müssen die Leute ihre Bezugsscheine abholen. Ansonsten bleibt es kalt in der Wohnung.

Herrenschuhe kosten um die 30 Franken, damals viel Geld.

Herrenschuhe kosten um die 30 Franken, damals viel Geld.

(Bild: mbe.)

Die sieben Luzerner Kinos, damals noch «Cinemas», präsentieren in einem Inserat ihre neusten Filme: Im Palace läuft «Schwarzes Gold» – ein «wuchtiger Abenteuerfilm». Das Kino Blau-Weiss zeigt «Eine Frau sucht ihr Schicksal» mit Bette Davis – «4. Woche prolongiert! Das grösste filmische Ereignis der Saison!». Der Krieg spiegelt sich auch in einigen Filmen wider. Unter dem Titel «Soldaten-Witz, Soldaten-Humor» wird der Film «7 Tage Urlaub» mit dem Foto einer hübschen Brünette und einem Soldaten angekündigt. Es sei ein Film aus dem Soldatenleben der Amerikaner, «voll der verrücktesten Einfälle und tollsten Überraschungen, die nur ein Yankeehirn sich ausdenken kann».

Der Film verspreche fröhliche Unbekümmertheit, Humor, Romantik. Alles Dinge, welche die damaligen Einwohner der Zentralschweiz in dieser schweren Zeit sicherlich brauchen konnten.

Luzerner Presse im Zweiten Weltkrieg

1945 war die Presse- und Meinungsvielfalt, im Gegensatz zu heute, gross in Luzern: Drei Tageszeitungen – Luzerner Tagblatt, Vaterland, Luzerner Neuste Nachrichten sowie die kleine SP-Zeitung Freie Innerschweiz (bis 1935 Arbeiterblatt) – buhlten um die Leserschaft. Dazu kamen ein Dutzend Wochenzeitungen sowie einige zweimal wöchentlich erscheinende Blätter. Das Informationsbedürfnis ist gross in Kriegszeiten, trotzdem litt die Presse unter wirtschaftlichen Problemen. Durch die Mobilmachung herrschte Personalnot in den Druckereien, schreibt Max Huber in der Luzerner Kantonsgeschichte*. Dazu kamen der Papiermangel (es gab Rationierungen) sowie die seit 1939 herrschende Zensur. Verletzungen der aussenpolitischen Neutralität und der militärischen Geheimhaltung und «Disziplin» wurden geahndet.

Die Zensur war eine Art Selbstzensur, denn in den Zensurgremien wirkten «Tagblatt»- und «Vaterland»-Journalisten mit, nicht vertreten waren sozialdemokratisch eingestellte Redaktoren. Das so genannte Pressebüro in Luzern konnte als Zensurgremium verschiedene Massnahmen verhängen: Von der Beanstandung über die persönliche Verwarnung des Journalisten oder Verlegers bis zur Beschlagnahmung einer Zeitung. Während die Zeitungen der beiden führenden Parteien, Katholisch-Konservative und Liberale, keine Beschlagnahmungen erlebten, wurde die sozialdemokratische «Freie Innerschweiz» häufig bestraft.

Auch die unorthodoxen Chroniken eines damaligen Redaktors des «Seethaler Boten» hätten – durch ihren «Biertischton» – öfters das Missfallen der Zensoren erweckt. Gegen Ende des Krieges machte sich der Überdruss gegen die lästigen Zensoren auch in bürgerlichen Medien bemerkbar, schreibt der Historiker. Manche Medien druckten Verwarnungsbriefe auch als «Trophäen» ab, um den Lesern zu zeigen, wie der Staat Einfluss nahm auf die Presse.

* Quelle: Der Kanton Luzern im 20. Jahrhundert/Band 2/Kapitel «Öffentliche Kommunikation – Die Luzerner Medienlandschaft» von Max Huber

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