Anton Affentranger blickt im Buch «Baustellen» zurück

Luzerner Topmanager: «Es war toll auf dem Highway to Hell»

Früher nur an der Arbeit, heute Marathonläufer und Autor: Anton Affentranger. (Bild: hae)

UBS, Roche, Implenia – Anton Affentranger arbeitete ein Leben lang als Topmanager. Der Käsersohn aus dem Luzerner Hinterland ist in der grossen Welt zu Hause. Jetzt hat er ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Darin sinniert er über Banker und Boni, Vielfliegerei und Nachhaltigkeit. Der Mann sieht viele Baustellen.

Seine erste Stelle fand Anton Affentranger bei der Bankgesellschaft (heute UBS), wo er während 15 Jahren in New York, Hongkong, Genf und Zürich alle Karrierestufen bis zum Generaldirektor und Schweizer Kreditchef durchlief. Er machte einen kurzen Abstecher zum Rohstoffhändler Marc Rich nach Zug. Ende der 1990er-Jahre war er Partner und CEO der Genfer Privatbank Lombard Odier. Sein Wissen gab er als Finanzchef der Roche weiter, zum Schluss führte er fast sieben Jahre die grösste Schweizer Baufirma Implenia; im Herbst 2018 trat er nach internen Querelen zurück.

Seither arbeitet der Gründer der Affentranger Associates vorwiegend in Zürich. Die Investmentfirma betrieb er schon vor seinem Implenia-Abgang, der Hauptsitz war damals in Genf. In beiden Städten lebt er mit seiner Frau, der ehemaligen Balletttänzerin Melinda Spitzer. Sie haben zwei erwachsene Söhne.

Schneider-Ammann war beeindruckt

Anton Affentranger denkt schnell und kompromisslos, er wurde nicht nur bei den Banken «Triple A» genannt – was in der internen Qualitätssprache soviel bedeutet wie «total verlässlich». Sogar Bundesräte lobten ihn; Johann Schneider-Ammann war beeindruckt: «Toni ist ein solider und visionärer Denker.»

Seine Visionen und Erfahrungen schrieb er im Buch «Baustellen» nieder, mit dem er an der Frankfurter Buchmesse war. Affentranger erzählt am Bürotisch seiner Firma in Zürich mit Leidenschaft, gestikuliert viel und lacht herzlich. Immer wieder dringen beim Interview englische Spontansätze beim Weltenbürger durch. 

zentralplus: Anton Affentranger, Sie haben Millionen verdient und die Welt gesehen. Heuer werden sie 64 Jahre alt. Wann geht es in den Ruhestand?

Anton Affentranger: Den Ruhestand wird es für mich so nicht geben, denn ich habe immer noch viele Ideen und Projekte, die ich realisieren möchte. Was ich heute geniesse, ist, dass ich meine Zeit besser einteilen kann. Ich kann mich den Dingen widmen, die ich selber für wichtig halte. Ich bin nicht mehr ferngesteuert.

zentralplus: Wie gehen Sie mit Ihrer Zeit um?

Affentranger: Diese Frage stelle ich mir gar nicht, ob und wann mein Tag zu Ende ist. Ob ich jetzt frei habe, fragte mich neulich abends meine Coiffeuse. Mein Job macht Spass und geht rund um die Uhr – manchmal bis in die Träume. Was mich beschäftigt, sind der Klimawechsel und die Nachhaltigkeit. Wir fahren unseren Planeten an die Wand – verdammt. Was kann ich machen? Ich bin überzeugt: Nachhaltigkeit muss – ohne Wenn und Aber – in jeder zukunftsorientierten Unternehmenskultur verankert sein. Da will ich mich einbringen.

zentralplus: Was tun Sie zum Beispiel?

Affentranger: Wir haben die Firma Selfrag aufgestellt, die – dank unserer einzigartigen Fragmentierungstechnologie – Schlacke aus der Abfallverbrennung recycelt. Diese Schlacke ist hochtoxisch, macht rund 20 Prozent des angelieferten Kehrichts aus und wird heute auf Deponien endgelagert. Aber die Deponien sind langsam voll. Wir sind mit Selfrag in der Lage, wertvolle Metalle zu recyclen, 50 Prozent des Schlacke-Volumens zu reduzieren und sehr viel CO2 zu reduzieren. 

«Jetzt ist es befreiend für mich loszulassen.»

zentralplus: Von den Grossfirmen zum eigenen Chef: Wie erleben Sie das rückblickend?

Affentranger: Wahrscheinlich hätte ich das schon ein paar Jahre früher machen sollen. Aber das ist «What if …?», sehr spekulativ. Ich war zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche an einem Thema dran: ob bei UBS, Roche oder Implenia. Jetzt ist es befreiend für mich loszulassen. Man kann ja nur Neues entdecken, wenn man loslässt. Da half mir eine längere Reise und dann kam während meines Sabbatical die Lust zu schreiben. 

zentralplus: Das Sabbatical dauerte 150 Tage. In Ihrem Buch «Baustellen» reflektieren Sie 15 Begriffe aus Ihrem unternehmerischen Berufsleben. Wie machten Sie sich an diese neue Aufgabe?

Affentranger: Das Buch zu schreiben war eine tolle Erfahrung, das hätte früher nicht Platz in meinem Arbeitsleben gehabt. Und ich werde wohl noch ein weiteres Buch schreiben. Es wäre auch etwas Fiktives denkbar, vielleicht ein Krimi. Ich finde packend geschriebene Geschichten faszinierend. Derzeit entdecke ich gerade den Deutschen Ferdinand von Schirach. Geniale Bücher wie «Die Strafe» beispielsweise, das sind Kurzgeschichten, die auf wahren juristischen Fällen beruhen. Jetzt lese ich von Schirachs neues Werk «Kaffee und Zigaretten». – Aber mein Buch war nicht als Medizin für meinen harten Abgang gedacht. Es war vorher einfach nicht möglich, ich hatte die Ruhe dafür nicht. 

zentralplus: Wie gingen Sie beim Schreiben vor?

Affentranger: Ich musste mal in Frankfurt aufgrund eines verpassten Fluges übernachten. So entstand die erste halbe Seite. Von da an habe ich an fast jedem Tag geschrieben, auf Flughäfen, in der Antarktis, am Titicacasee in Peru und an vielen anderen exponierten Orten Südamerikas. Die physische Distanz war psychologisch wichtig: Der Kopf war frei. Aber es gab auch Momente, in denen nichts ging. Meine Frau hatte stets Mitleid, wenn ich zwei Stunden am PC sass und dann die Löschtaste betätigte … 

Der Manager und seine Frau Melinda Spitzer, eine ehemalige Balletttänzerin. (Bild: zvg)

zentralplus: Ihre Literaturliste führt neben Samuel Beckett und Nassim Nicholas Taleb auch Frauen wie Naomi Klein und Hannah Arendt auf. Welche Frauen prägten sonst ihr Leben, der Sie sich doch vorwiegend in einer Männerwelt bewegten?

Affentranger: Meine Mutter war Spanierin, sie gab mir Temperament und Lebensfreude mit auf den Weg, aber auch die kämpferische Seite. Ihre Familie war während des spanischen Bürgerkriegs auf der Verliererseite, alle Männer kamen um. Meine Grossmutter wanderte danach mit lauter Frauen nach Argentinien aus. Auch meine Grossmutter aus dem Luzerner Hinterland hat mir starke Bilder hinterlassen und mich geprägt: eine verantwortungsvolle, kämpferische und immer fröhliche Frau, die aus eigener Kraft den Bauernhof mit der grossen Familie in Eppenwil gesteuert hat. Und dann ist da meine Frau Melinda Spitzer, sie stammt aus Ennetbürgen NW, wurde aber in Venezuela geboren. Sie war Balletttänzerin. Wir haben uns in New York kennengelernt und sie öffnete mir die Kulturwelt. Und vor allem lehrte sie mich Gelassenheit im Leben.

zentralplus: Da prallten zwei Welten aufeinander?

Affentranger: Genau, da bekam ich einiges Neues mit. Ich hatte keine Ahnung vom Ballett, dieser harten Arbeit. Meine Frau brachte mir diese Kunst nahe. Das machte mich bescheiden und demütig: Melinda krampfte täglich mit ihrem Körper, vielleicht noch mehr als ich als gut bezahlter Banker, und sie verdiente fast nichts. Sie tat mir gut, tut es heute noch!

zentralplus: In «Baustellen» wird vieles kritisch reflektiert, auch schwierige Chefs. Welches sind Ihre drei wichtigsten Tipps an künftige Leader?

Affentranger: Erstens: Man muss sich selber bleiben. Denn wenn ein Chef das nicht tut, merken alle schnell, dass er nicht echt ist und er nur eine Maske trägt. Zweitens ist es bei CEOs fatal, wenn sie die Bodenhaftung verlieren. Sie verlieren so den Kontakt zur Realität. Drittens und vielleicht am wichtigsten: die Fähigkeit, Nein zu sagen. Etwa: Nein, Strategien für kurzfristige Gewinne sind falsch. Oder: Nein, lasst uns lieber in nachhaltige Projekte investieren, auch wenn wir vielleicht weniger schnell Rendite erwirtschaften. 

zentralplus: Das klingt sehr modern. Sind Sie heute ein kritischer Zeitgenosse der Weltwirtschaft?

Affentranger: Ich bin eher ein Beobachter. Wir haben eine Technologie, die unser Leben komplett beherrscht – nehmen Sie nur das Handy, das wir mit Persönlichem füttern. Wir sind der künstlichen Intelligenz, Computern und Maschinen bis zur Ohnmacht ausgeliefert. Was, wenn das alles mal zusammenbricht?

zentralplus: Ich mache mir da eher Sorgen um die aggressive Weltpolitik. Wie stehen Sie zu Trump, Putin und Merkel?

Affentranger: Die Welt ist klein geworden. «The world is flat» heisst ein starkes Buch. Undifferenziert, verflacht, alles schaut in den grossen Städten gleich aus: In Buenos Aires gibt es McDonalds und Starbucks – wie überall. Beängstigend finde ich auch, dass es Typen wie Trump und Johnson gibt. Die sind aber gewählt worden. Es gibt tatsächlich viele Menschen, welche die gut finden und auch noch wählen. 

«Der Rechtsdrall ist eine Horrorvorstellung.»

zentralplus: Wieso wohl?

Affentranger: Weil sie einfache, undifferenzierte Antworten geben. Sie malen schwarzweiss, es gibt die Guten und die Bösen. Die Leute suchen heute solche einfachen Antworten. Merkel ist eine Ausnahme. Sie hat mich immer beeindruckt: Sie hat Schlauheit und Autorität mit grosser Gelassenheit ausgestrahlt. Leider ist aber ihre Zeit bereits vorbei. Ich habe Angst, was in Deutschland nach ihr kommen könnte. Der Rechtsdrall ist eine Horrorvorstellung.

zentralplus: Sie sind ein Käsersohn aus Eppenwil, einem Weiler der Gemeinde Grossdietwil bei Willisau (LU): Die Bauern haben einen immer schwereren Stand. Es geht vielen wie Firmen: Immer mehr zählt die Grösse. Haben Schweizer Bauern eine Zukunft?

Affentranger: Wieso nicht? Es ist nicht so sehr die Grösse, sondern die Differenzierbarkeit, die über Gedeih und Verderb entscheidet. Qualität und Nähe, Bioproduktion – das zählt heute. Wer will noch Fleisch aus Argentinien kaufen – da stimmt die CO2-Bilanz einfach gar nicht. 

Anton Affentranger ist auch Sportsmann und Autor. (Bild: zvg)

zentralplus: Ihr Vater arbeitete für die weltweit tätige Nestlé. Wäre das ein Betrieb, in dem Sie heute auch gerne tätig wären?

Affentranger: Nestlé gehörte zu unserer Familie, die Firma war täglich Gespräch – ob wir jetzt in Argentinien, Peru oder Chile lebten. Das Schlimmste, was ich am Familientisch machen konnte: mich kritisch über Nestlé äussern. Das ging gar nicht. Immerhin hat Nestlé mir mein Studium über den Lohn meines Vaters finanziert. Er hätte mich gerne dort arbeiten sehen. Auch wenn ich ein Nestlé-Bub war, weil mein Papa ein Nestlé-Mann war: Das wäre für mich nicht infrage gekommen, weil ich beruflich andere Welten, Unternehmungen und Kulturen entdecken wollte. Wenn ich heute reise, sehe ich überall immer Nestlé – es ist ein Teil Heimat für mich geworden. Das sage ich nicht wertend. 

zentralplus: Sie stammen aus der Manager-Topetage, in der Boni auch heute noch eine grosse Rolle spielen. Wie viel Bonus ist gut? 

Affentranger: Ich glaube, im Moment, in dem der Bonus das Ziel des Managers ist, ist er nicht gut. Die «Kiste», also Million, am Ende des Jahres ist dann zu viel. Und, zweitens, wenn der Manager die Bodenhaftung verliert und abhebt, dann ist der Bonus ebenfalls klar zu viel. Ich habe selber immer wieder Boni kassiert. Ich habe bei Implenia aber auch freiwillig einige Jahre darauf verzichtet. Mein Verwaltungsrat hat das nicht goutiert, das führte schlussendlich zum Bruch mit mir. Jeder Manager muss die Kraft und Freiheit haben, Nein zu sagen. Ich habe Nein gesagt, weil ich fand, meine Kompensation reiche; ich war sehr gut bezahlt. 

«Seit ich nachrechnen kann, wie viel CO2 ich verbrenne, wird mir unwohl.»

zentralplus: Ist das bei der nachrückenden Generation immer noch so?

Affentranger: Ich glaube, die lassen sich nicht mehr so schnell vom Bonus treiben. Die suchen eher den Sinn im Job. Ich sehe Anzeichen davon. Ich hoffe, ich täusche mich da nicht. Mit dem Bonus wird man vollkommen gefangen. 

zentralplus: Zurück zur Nachhaltigkeit: Was halten Sie von der Vielfliegerei, wie gehen Sie persönlich damit um?

Affentranger: Ich bin enorm viel geflogen. Seit ich nachrechnen kann, wie viel CO2 ich verbrenne, wird mir unwohl. Aber man muss auch relativieren: Ich habe unlängst in einem Interview mit Stefan Schmidheiny gelesen, dass der Umweltschaden durch die Fliegerei geringer ist als etwa derjenige der weltweiten Fleischproduktion. Die Zukunft der Welt fängt bei jedem Einzelnen an: Also weniger Fleisch essen. Und weniger fliegen. Ich versuche beides zu tun. Nicht einfach!  

Im zweiten Teil des Interviews spricht Anton Affentranger über Che Guevara, Gölä und Marc Rich.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von André Dörflinger
    André Dörflinger, 09.02.2020, 03:00 Uhr

    Der Satz betreffend in »nachhaltige Produkte investieren mit weniger Rendite» ist unklar. Wieso fragt da der Interviewer nicht vermehrt nach. Was meint da Affentranger genau? Ich kenne ihn vom Hörensagen aus meiner UBS Zeit vor 1998. Ist ein zackiger, zupac-kender Typus, der keine Hindernisse kennt, genau wie sie die Top-Boni-Verdiener-Zunft der globalisierten Geschäfts-Welt verlangt. Er hatte ja recht, die Fusion in der UBS/BV mit Gabiavaletta/Ospel nicht miterleben zu wollen…., aber, danach : Wieso diese kurzen Gastspiele be M.R. & Roche > Wieso? War er da nicht allzu Branchen fremd ? Wieso vernehmen wir da nicht mehr?
    Auch die Bonigeschichte bei Implenia ist seltsam! Was warf die Direktion ihm genau vor? Wieso der vorzeitige Abgang dort? Alle weniger vorteilhaften Begebenheiten werden ausgeblendet, wie im Neuen Testament.
    Affentranger, der mit spanischem Blut natürlich auch Spanisch spricht mit seiner Frau. Man staunt nicht mehr beim Feststellen, dass sooo viele Top-Schweizer (wie Tennis-Ass Federer) ein geistiges Bein im Ausland haben, daher auch Ausländerin heiraten, um Ausländisch reden & denken & fühlen zu können. Fazit: Die Schweiz ist zur Hälfte geistig verausländert, besonders deren Spitzen-Chefen. // Fazit: auch er kann nicht aufhören zu arbeiten, weil er sonst »weg vom Fenster» wäre. Gut, er ist erst 64, aber, wetten, dass er auch in 10 Jahren noch »dabei sein will» wie die BR Maurer mit 70 und andere Trümpel, Biden mit 74-78.

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