Abtretende Mobility-Chefin zieht Bilanz

Luzerner Firma beflügelt Carsharing-Boom

Vor dem Hauptsitz an der Gütschstrasse: Mobility-Chefin Viviana Buchmann. (Bild: mbe.)

Viviana Buchmann hat die Luzerner Mobility zum grössten Carsharing-Unternehmen Europas gemacht. Nach acht Jahren an der Spitze hört die 62-Jährige im Frühsommer auf. Im Interview mit zentral+ spricht sie über die grossen Herausforderungen der nächsten Jahre, Probleme mit Elektroautos und darüber, dass schon bald selbstfahrende Autos auf den Markt kommen könnten.

zentral+: Frau Buchmann, ein aktuelles Thema zum Einstieg, sind Sie für oder gegen die zweite Gotthardröhre?

Viviana Buchmann: Als Mobility-Chefin äussere ich mich nicht zu politischen Themen. Nur so viel: Mobility steht für kombinierte Mobilität. Ich kann mit dem Zug stress- und staufrei ins Tessin fahren und in Locarno oder Lugano bequem auf ein Mobility-Auto umsteigen.

zentral+: Als Sie 2006 die Geschäftsführung von Mobility übernahmen, hatte das Unternehmen halb so viele Kunden. Heute nutzen 120’300 Personen in der Schweiz Carsharing, eine stolze Zahl. Wie schafft man das?

Buchmann: Als Hauptgrund für den Erfolg von Mobility sehe ich die einfache, kostengünstige Handhabung: Wie mit dem Privatauto ist man jederzeit bequem und spontan unterwegs, ohne sich jedoch um Parkplatz oder Versicherungen kümmern zu müssen. Die Schweiz ist dank ihrer Kleinräumigkeit und dem bestens erschlossenen öffentlichen Verkehrsnetz prädestiniert für Carsharing. Wer in einer Stadt wohnt, kann sein Privatauto mit der kombinierten Mobilität – also öffentlichem Verkehr und Mobility – problemlos ersetzen. Heute sind wir in fast 90 Prozent aller Ortschaften mit mehr als 5000 Einwohnern präsent. Handkehrum sind Parkplätze rarer und teuer geworden.

Zur Person

Viviana Buchmann (62) ist seit 2008 Geschäftsführerin der Mobility-Genossenschaft in Luzern. Vorher leitete die Luzernerin zwei Jahre lang den Bereich Angebot und Kundenservice und war Mitglied der Geschäftsleitung. Buchmann kommt ursprünglich aus der Immobilien- und der Reisebranche. Vor Mobility war sie Leiterin Marketing und Business Development des Ferienwohnungs-Anbieters Hapimag. Buchmann hat den Executive MBA der Hochschule Luzern absolviert und ist diplomierte Kauffrau. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Udligenswil. Im November 2015 bekam Buchmann den zehnten schweizerischen «Women’s Business Award» verliehen.

zentral+: Wer sind die typischen Privatkunden von Mobility?

Buchmann: Es sind urbane und eher gut situierte Personen, welche die Convenience schätzen. Sie buchen ihr Mobility-Auto online, holen es an einem Standort ab und stellen es wieder hin, ohne sich um Unterhalt, Service oder Parkplatz kümmern zu müssen.

zentral+: Ein Auto zu teilen war früher etwas Exotisches und «Linkes». Hat sich diese Einstellung geändert?

Buchmann: Mobility liegt voll im Trend: Heute teilen sich die Leute alles, von Autos bis hin zu Wohnungen. Zudem beobachten wir die gesellschaftliche Entwicklung, dass das Auto für junge Menschen weniger Statussymbol ist als früher. Sie sind eher bereit für Carsharing.

zentral+: Sie haben neben Privatkunden auch Firmenkunden. Wie entwickelt sich dieses Feld?

Buchmann: Wir zählen momentan über 4000 Firmenkunden. Mobilitätsmanagement wird für Unternehmen immer wichtiger, entsprechend wächst die Nachfrage. Diese bedienen wir, indem die Firmen auf Mobility-Autos zugreifen – oder indem wir unsere Technologie in ihre firmeneigenen Wagen einbauen.

zentral+: Sind die Luzerner die grössten Mobility-Fans, weil sich hier der Hauptsitz befindet?

Buchmann: Per Ende 2014 hatten wir 4400 Kunden in Luzern. Luzern gehört damit zu den fünf Städten mit der grössten Durchdringung. Doch nur weil sich hier der Firmensitz befindet, sind die Zahlen nicht überproportional.

«In Luzern braucht es dank Mobility rund 1000 Parkplätze weniger.»

zentral+: Gemäss Luzern Statistik besitzen 46,8 Prozent der Stadt-Haushalte ein Auto und 11,4 Prozent sogar mehrere. Ist das der Grund, warum es nicht mehr Mobility-Nutzer gibt?

Buchmann: Nein, denn Mobility ersetzt oft auch das Zweitauto. Wir sind zufrieden mit unserer Entwicklung in Luzern. Man muss bedenken, dass jedes geteilte Fahrzeug neun Privatautos ersetzt. In Luzern braucht es dank Mobility deshalb rund 1000 Parkplätze weniger. Das sind doppelt so viele wie im Parkhaus Altstadt.

zentral+: Welche neuen Angebote dürfen Mobility-Kunden erwarten?

Buchmann: Das neuste Projekt von Mobility heisst Catch a Car. Es ist das erste stationsungebundene Carsharing-Angebot der Schweiz. Catch-Cars lassen sich in Echtzeit orten und von A nach B fahren, ohne sie an den Ursprungsort zurückbringen zu müssen. Seit August 2014 testen wir es im Rahmen eines Pilotversuchs mit 120 Autos in Basel. Die ETH begleitet das Projekt, um die Auswirkungen auf Verkehr und Umwelt festzuhalten.

zentral+: Warum findet dieser Versuch in Basel statt – und nicht in Luzern?

Buchmann: Wir haben verschiedene Städten angefragt, ob sie Interesse hätten, auch Luzern. Die Stadt steht Carsharing grundsätzlich positiv gegenüber. Basel wollte dieses Projekt unbedingt und ist von der Fläche und Siedlungsstruktur prädestiniert für diese Art von Carsharing. Zudem konnte die Stadt innert kurzer Zeit alle nötigen Bewilligungen garantieren. Es braucht Parkkarten für die blauen Zonen, damit man die Fahrzeuge im Geschäftsgebiet frei abstellen kann.

zentral+: Wie lange dauert der Versuch, und wird Catch a Car auch in Luzern eingeführt?

Buchmann: Der Versuch in Basel dauert bis Sommer 2016. Bis dahin kennen wir die Resultate der ETH-Studie und können definitiv über die weitere Einführung entscheiden. Bereits jetzt lässt sich sagen, dass die Basler das Angebot gut annehmen.

«Aktuell haben wir 30 Elektroautos in der Flotte, zwei davon in Luzern.»

zentral+: Elektroautos fristen immer noch ein Schattendasein. Wie viele hat Mobility in Luzern?

Buchmann: Aktuell haben wir national 30 Elektroautos in der Flotte. Im Luzerner Frohburg-Parking sind es zwei hellblaue Renault Zoes. Wir stellen aber fest, dass die Nachfrage eher klein ist.

zentral+: Warum?

Buchmann: Die Reichweite und die fehlende Infrastruktur sind eine grosse Hürde. Wir rechnen aber damit, dass die Industrie die Probleme in den nächsten Jahren lösen wird. Bis 2020 wollen wir zirka 100 Elektrofahrzeuge in der ganzen Schweiz anbieten.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache über das Wachstum von Mobility.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache über das Wachstum von Mobility.

(Bild: Eigenmann, Patrick)

zentral+: Wohin geht die Entwicklung von Mobility in den nächsten Jahren?

Buchmann: Die Rahmenbedingungen sind positiv für Mobility Carsharing. In Zeiten, in denen das Verkehrsaufkommen steigt und der Raum im urbanen Gebiet immer knapper wird, zeichnet sich ein Bewusstseinswandel ab. Immer mehr Leute setzen auf eine bedürfnisorientierte unkomplizierte Art von Mobilität. Wir streben an, unsere Position als Marktführerin des Schweizer Carsharing-Markts zu festigen und auszubauen.

zentral+: Gibt es auch Hindernisse bei diesem Ausbau?

Buchmann: In ländlicheren Gebieten ist die Verkehrsüberlastung weniger stark und die Taktfrequenz des öffentlichen Verkehrs weniger hoch, deshalb setzen die Leute noch immer primär auf das Privatauto. In den Städten sind wir gefordert, weiterhin zentrale Parkplätze zu finden und unseren Kunden anbieten zu können.

«Bis 2030 könnten selbstfahrende Autos als Sammeltaxis eingesetzt werden.»

zentral+: Wagen wir einen Blick in die ferne Zukunft. Es gibt bereits Tests mit selbstfahrenden Autos. Werden in den Städten dereinst wie in Science-Fiction-Filmen Autos ohne Fahrer herumfahren, bei denen der Bordcomputer einen mit dem Namen begrüsst?

Buchmann: Das ist gar keine Utopie: Schon heute werden selbstfahrende Autos getestet. Ich denke, bis 2030 sind sie verkehrstauglich und können dann auch als «Sammeltaxi» eingesetzt werden. Laut einer Studie zum Stadtverkehr in Lissabon würden nur zehn Prozent der heutigen Autos genügen, wenn man Carsharing und selbstfahrende Autos einsetzen würde. All dies bedeutet für einen Carsharing-Anbieter wie Mobility natürlich eine grosse Chance.

zentral+: Was werden Sie nach Ihrem Rücktritt im Frühsommer 2016 machen?

Buchmann: Ich lasse die Dinge auf mich zukommen und stehe für alles offen.

zentral+: Engagieren Sie sich noch politisch oder ehrenamtlich an Ihrem Wohnort?

Buchmann: Aktuell nicht. Ich habe mich in meiner Rolle als Geschäftsführerin darauf fokussiert, Familie und Beruf vereinen zu können.

Zahlen und Fakten zu Mobility

Ursprünglich gab es in der Schweiz zwei Carsharing-Anbieter: die «ShareCom» in Zürich und die Auto-Teilet-Genossenschaft (ATG) in Stans, beide wurden im Jahr 1987 gegründet. Eine der Gründer der ATG war der grüne Nidwaldner Politiker Conrad Wagner. Zuerst arbeiteten die zwei Unternehmen ausschliesslich regional, bis sie sich 1997 zur Fusion entschlossen. Aus dem Zusammenschluss ist die Genossenschaft Mobility hervorgegangen. Sie ist heute das grösste Carsharing-Unternehmen der Schweiz. Aktuell zählt sie über 120’000 Kunden (davon sind 46,2 Prozent Genossenschafter). Mobility hat 2700 Fahrzeuge an 1400 Standorten in der Schweiz. 2014 erzielte Mobility einen Umsatz von 71,4 Millionen Franken.

Die Genossenschaft hat ihren Hauptsitz an der Gütschstrasse 2 in Luzern. 100-prozentige Tochtergesellschaften sind die Mobility International AG und die Catch a Car AG. Mobility bietet 186 Vollzeitstellen an, davon rund 120 am Hauptsitz. Von Luzern aus wird auch das 24-Stunden-Dienstleistungscenter betrieben. Wer unterwegs ist mit einem Fahrzeug, erhält so bei Bedarf jederzeit technische und sonstige Unterstützung.

Laut einer Studie des Bundesamts für Energie ist Mobility das grösste Carsharing-Unternehmen Europas. 2013 wurde Mobility mit dem GfM-Preis von der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing ausgezeichnet.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon