Rückerstattung von 27 Millionen Franken

Luzerner bezahlten zu viel für ihren Güsel

Real-Gebührensäcke: Der eidgenössische Preisüberwacher steht für die Weitergabe von Kostensenkungen an die Konsumenten ein.

(Bild: ben)

Die letzten Jahre erzielte Luzerns Kehricht-Zweckverband Real Überschüsse. Dennoch werden bisher weder Gebühren gesenkt noch zuviel bezahlte Einnahmen den Konsumenten erstattet. Stattdessen gingen 27 Millionen Franken an die Gemeinden. Diese tun sich mit dem zweckgebundenen Geldsegen schwer. Immerhin werden nun in ersten Gemeinden die Grundgebühren reduziert.

Die Preise der Kehrichtverbrennung befinden sich seit Jahren im Sinkflug. Gleichzeitig steigen die Einnahmen aus dem Separat-Sammelgut. Dennoch wurden die Sackgebühren bisher nicht gesenkt. Die «Verursacher» profitieren also nicht von der Kostensenkung, obwohl die Gebühren eigentlich nach dem Verursacherprinzip angesetzt werden müssen.

Tiefe Sackgebühren, aber dennoch Gewinn

Einmal festgesetzt, sind Gebühren offenbar in Stein gemeisselt. Als der schweizerische Preisüberwacher Stefan Meierhans die neu eingeführten Sack- und die Grundgebühren im Kanton Waadt untersuchte, kamen seiner Empfehlung zur Preissenkung an 24 Gemeinden nur gerade drei Kommunen teilweise nach. «Gebühren sind offenbar nicht einfach zu korrigieren», sagt Meierhans. Er tritt aber bei Kostensenkungen für die Weitergabe an die Konsumenten ein.

Nicht untersucht hat Meierhans die Zentralschweiz. «Luzern gehört zu den günstigeren Gemeinden», erklärt er gegenüber zentral+.

Bestimmt wird die Höhe der Sackgebühren durch den Kehrichtzweckverband, im Fall der Stadt Luzern und ihrer Nachbargemeinden vom Zweckverband Recyling Entsorgung Abwasser Luzern (Real). «Die 22 Verbandsgemeinden von Real haben mit 1.70 Franken pro 35-Liter-Sack eine der tiefsten Sackgebühren der Schweiz», sagt der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Martin Zumstein. Nicht erwähnt wird dabei, dass die Luzerner Gemeinden zusätzlich zur verursachergerechten Sackgebühr auch eine Grundgebühr in unterschiedlicher Höhe erheben.

2012 schloss die Real-Jahresrechnung bei einem Aufwand von 41 Millionen Franken und einem Ertrag von 43 Millionen (davon 7,7 Millionen aus Sackgebühren) mit einem Gewinn von zwei Millionen ab. Dazu kamen weitere fünf Millionen aus der «Vermögensverwaltung» sowie 20 Millionen aus der Auflösung der Wiederbeschaffungsreserve für die neue Verbrennungsanlage Ibach.

Sackgebühren im Vergleich

Im Kanton Luzern bestehen drei Kehricht-Zweckverbände mit unterschiedlichen Gebühren. In den 22 REAL-Verbandsgemeinden zahlt man für den 35-Liter-Sack eine Gebühr von 1.70 Franken. Im Gemeindeverband für Abfallentsorgung Luzern Landschaft (GALL), zu dem 53 Landgemeinden gehören, sind es 1.85 Franken (Gebührenmarken).

Der Kehrichtverband Region Entlebuch (KVRE) mit seinen neun Gemeinden verlangt 2.40 Franken (zwei Gebührenmarken). In Schwyz kostet der Güselsack 2.17 Franken, in Obwalden 2.30 Franken und in Uri 2.40 Franken. Nidwalden, wo die Sackgebühr erst 2014 eingeführt wird, wird 2.20 Franken verlangen. Preislich nach oben schlägt der Kanton Zug aus mit 2.90 Franken (jedoch keine Grundgebühren).

Summa summarum resultierte ein Überschuss von satten 27 Millionen Franken. Zumstein betont zwar, dass diese Ergebnisse nicht der Norm entsprächen. In der Höhe hat er Recht. Doch bereits 2011 schloss Real mit einem Plus ab, wenn auch «nur» in Höhe von drei Millionen Franken.

Kein Gewinn vorgesehen

«Wir sind grundsätzlich kein gewinnorientiertes Unternehmen», sagt der Real-Chef dazu.

Der Gewinn sowie die aufgelösten Reserven, welche die Real zehn Jahre lang für den inzwischen wegen «Renergia» hinfällig gewordenen Ersatzbau der Kehrverbrennungsanlage (KVA) im Ibach gebildet hatte, wurden deshalb an die Verbandsgemeinden ausbezahlt.

Luzern erhielt zum Beispiel 12,5 Millionen, Emmen drei Millionen, Kriens 2,9 Millionen, Ebikon 1,3 Millionen und Horw noch 1,3 Millionen Franken.

Trotz Überschuss will man aber an der Höhe der Sackgebühr nicht rütteln. Martin Zumstein: «Die Sackgebühr soll eine Lenkungswirkung haben. Wir befürchten, dass die Lenkung verloren geht, wenn wir sie zu stark reduzieren.» Konkret: Die Leute könnten Wertstoffe wie Papier, Glas, Metall einfach wieder im Sack entsorgen statt sie zu trennen. «2018 beurteilen wir die Lage neu und entscheiden dann, ob eine Rückzahlung möglich ist.»

Man traut den Bürgern also offenbar nicht zu, dass sie sich auch bei einer niedrigeren Sackgebühr ökologisch verhalten. Dies, obwohl die Luzerner Weltmeister im Trennen sind: Über 50 Prozent des Hauskehrichts wird recycliert.

Keine Rückzahlung an Haushalte

Eine Herausforderung ist die ungewöhnliche Rückzahlung offenbar auch für einzelne Gemeinden. Man betrete damit juristisches Neuland, weil eine Rechtspraxis oder ein Gerichtsentscheid in dieser Sache fehlten, sagte der Real-Präsident und Luzerner Stadtrat Adrian Borgula im Frühling in den Medien.

Der Zweckverband liess deshalb ein Rechtsgutachten von der Zürcher Umweltjuristin Regula Brunner erstellen, auf welches sich die Real-Gemeinden jetzt alle berufen.

Brunner kam zum Schluss, dass die Gemeinden das zweckgebundene Geld nur für Abfallzwecke verwenden dürfen.  Eine Rückzahlung der Sackgebühren kommt für die Umweltjuristin jedoch ebenfalls nicht in Frage. «Die vorhandenen Reserven wurden korrekt aus den Einnahmen des Verbands gebildet. Es besteht kein Anspruch auf Rückvergütung für die Gebührenzahler», sagt sie. Das Geld darf aber nicht in die ordentliche laufende Rechnung überführt werden, sondern muss in ein Spezialfinanzierungskonto.

Geld für andere Zwecke nutzen?

Wohin also damit? In Zeiten knapper Mittel weckt das brach liegende Geld Begehrlichkeiten, die dann und wann auch «verwandte Zwecke» umfassen könnten. Entsprechend einfallsreich zeigen sich die Gemeinden. Malters zum Beispiel will seine Überschussgelder von 780’000 Franken dazu verwenden, einen «Umwelt- und Energiefonds» einzurichten. Daraus soll die Erneuerung von Entsorgungsanlagen oder Altlastensanierungen bezahlt werden. Aber auch Projekte in den Bereichen Energieoptimierungen und Photovoltaikanlagen.

Reduktionen in mehreren Luzerner Gemeinden

Weniger einfallsreich, dafür auf der sicheren Seite ist Rothenburg. Hier hat der Gemeinderat die Grundgebühr für die nächsten drei Jahre halbiert. Und Ebikon erlässt die Grundgebühr dieses Jahr den Eigentümern ganz – wovon die Mieter via Nebenkostenabrechnung profitieren. Auch Weggis, Meggen und Buchrain haben die Grundgebühren für dieses Jahr gesenkt. Der Gemeinderat Horw hat dem Einwohnerrat einen ähnlich lautenden Antrag gestellt. Und Kriens reduziert den Betrag von 60 auf 50 Franken, voraussichtlich über 10 Jahre.

In der Stadt Luzern sind zwei Vorstösse hängig. Die FDP-Parlamentarierinnen Rieska Dommann und Sandra Felder-Estermann fordern, dass das Geld für die Beseitigung von Altlasten in Familiengärten verwendet wird.
Einen stringenteren Weg schlägt die SVP vor. Sie folgt dem Rothenburger Beispiel und fordert eine Halbierung der Abfallgrundgebühr. Und zwar so lange, bis die Rückzahlung aufgebraucht ist. Eine Antwort des Luzerner Stadtrats auf die Vorstösse steht noch aus.

«Rückstellungen erlaubt»

Andere Gemeinden wiederum möchten das zuviel bezahlte Geld nicht den Verursachern zukommen lassen, sondern als Rückstellungen verbuchen. Wie Greppen zum Beispiel  seine 71’795 Franken für einen allfälligen Werkhof.
Preisüberwacher Stefan Meierhans: «Das Preisüberwachungsgesetz erlaubt die Amortisation der Anlagen über deren gesamte Lebensdauer und einen angemesssen Gewinn. Kann daraus eine Rückstellung gebildet werden, ist dies aus meiner Sicht sogar positiv.» Er wirft aber ein «Aber» ein: «Das ist nur erlaubt, solange der Preis, den der Kunde bezahlt, die Gesamtkosten nicht übersteigt.»
Zu einer allfälligen Rückzahlung von Überschüssen weist Meierhans auf die praktischen Probleme hin. «Wie sollen Sie das machen? Manche der Berechtigten sind umgezogen und vielleicht schon gestorben. Eine Rückzahlung von Sackgebühren ist unpraktikabel.» Die Grundgebühren kann man aber durchaus senken oder erlassen, wie die aufgezählten Beispiele zeigen.

Seit 2003 gilt in der Schweiz für die Abfallentsorgung das Verursacherprinzip. Die Müllverursacher müssen für die Kosten der Entsorgung selber aufkommen. Die meisten Gemeinden verlangen zwei Gebühren: Sie belasten den Haushalten eine jährliche Grundgebühr nach der Grösse des Haushalts oder der Wohnung, die je nach Gemeinde unterschiedlich hoch ist. Die Grundgebühr wird von jeder Gemeinde individuell festgelegt. Dazu kommt meistens eine Gebühr pro Abfallsack, die der jeweilige Zweckverband festlegt; die Verbandsgemeinden können die Höhe der Sackgebühr aber durchaus über ihre Vertreter in den Gremien des Zweckverbands beeinflussen.

Die Situation in Zug

Im Kanton Zug organisiert der Zweckverband Zeba die Abfallbewirtschaftung für die elf Gemeinden. Zeba-Geschäftsführer Hans Schwarzenbach sagt: «Unser Verband erzielt keine Überschüsse und bildet keine Reserven für Projekte». Die Jahresrechnung 2012 schloss mit einem Aufwand von 18 Millionen Franken und einem Ertrag von 11 Millionen Franken ab, damit verblieb ein von den Zuger Gemeinden zu deckendes Defizit von 7 Millionen Franken.

Jede Zuger Gemeinde zahlt einen Beitrag an dieses Defizit, der in der Gemeinderechnung ausgewiesen wird. Die Kommunen wiederum nehmen das Geld mit der Sackgebühr ein. Diese beträgt im Kanton Zug 2.90 pro 35-Liter-Sack, im Vergleich zu Luzern ist sie also 1.20 Franken höher. Dafür erhebt Zug aber keine Grundgebühren.

Abfallbewirtschaftung kein Geschäft

«Abfallbewirtschaft ist immer ein Verlustgeschäft», sagt Schwarzenbach. Und er erläutert die spezielle Situation von Zug: «Wir brauchen keine Reserven, da wir nie eine eigene Kehrichtverbrennungsanlage hatten oder bauen wollten.» Der Kanton Zug lässt seinen Abfall seit Jahren im Kanton Zürich verbrennen. Ab 2016 will Zug seine Abfälle in die neue Kehrichtverbrennungsanlage «Renergia» in Perlen liefern. Diese betreiben die Zuger zusammen mit den anderen Zentralschweizer Kantonen. Der Anteil Zugs am Aktienkapital von rund 10 Millionen Franken wurde über einen Kredit aufgenommen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Boris Macek
    Boris Macek, 22.10.2013, 17:28 Uhr

    Mich als Stadtluzerner ärgert vor allem auch, dass trotz massivem Leistungsabbau die Gebühren nicht gesenkt worden sind. So sammelt die Stadt in den meisten Quartieren den Abfall nur noch einmal pro Woche statt wie früher zweimal. An den Gebühren hat sich meines Wissens allerdings nichts geändert.

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