Vom Schwulentreffpunkt zum Technoclub

Luzern wird bald uferlos – wir blicken nochmals zurück

Die Schwulendemo vom 11. Oktober 1997 auf dem Luzerner Rathausplatz. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Nach 25 Jahren neigt sich die Geschichte des Luzerner «Uferlos» dem Ende zu – es muss im Sommer einer Wohnüberbauung weichen. Einst Treffpunkt der homosexuellen Szene mauserte sich das Lokal zu einem beliebten Technoclub. Ob es einen rauschenden Schlusspunkt gibt, ist unklar.

«Andersrum ist nicht verkehrt.» Noch immer zeugen die blau gesprayten Grossbuchstaben an der Fassade von den vergangenen Zeiten des Luzerner Uferlos. Wir blicken zurück auf die Geschichte des Hauses am Geissensteinring 14.

1995: Uferlos feiert Eröffnung – und will Schranken brechen

9’178 Tage ist es her, dass das «Uferlos» in Luzern eröffnete und Schwule sowie Lesben damit endlich wieder ihr eigenes, festes Lokal hatten. Reden und feiern unter Gleichgesinnten, in einem geschützten Rahmen war das Ziel der Betreiber. «Wir Schwulen wollten aus dem schummrigen Bereich ausbrechen, sichtbar werden und die Gemeinschaft zelebrieren», sagt Peter Leimgruber, Gründungsmitglied der Homosexuellen Arbeitsgruppe Luzern (Halu), 25 Jahre später gegenüber zentralplus.

Der Name war Programm: «Uferlos bedeutet grenzüberschreitend, denn wir wünschen uns den Abbau von Grenzen und Einschränkungen», sagte Leimgruber damals gegenüber den «Luzerner Neusten Nachrichten». Getanzt wurde aber nicht nur unter Homosexuellen. Im «Uferlos» wollte man Begegnungen «für Menschen jeglicher Couleur» schaffen.

So sah damals der Flyer aus:

(Bild: Stadtarchiv Luzern)

Zuvor hatte die Halu im «Rägeboge»-Gebäude ihren Platz, wo damals unter anderem auch die Gassenküche untergebracht war. Das Haus musste 1993 abgerissen werden, die Halu war auf der Suche nach einem neuen Lokal. Provisorisch fanden sie im Wärchhof Unterschlupf.

Kampf gegen Homo-Register

Die Geschichte des «Uferlos» geht aber noch viel weiter zurück. Rund 16 Jahre vorher, am 12. Mai 1979 gründeten Peter Leimgruber, Paul Marquard, Ernst Blättler und Moël Volken die Halu.

Damals war es noch üblich, dass die Polizei Schwulenregister führte. So auch in Luzern. Die Polizei kontrollierte «Schwulenzonen», etwa die «Cruising Zone» am Luzerner Inseli – schon damals ein beliebter Treffpunkt der Homosexuellen.

Gegen diese Schwulenregister erhob sich Widerstand. Die Berner kämpften 1979 für die Vernichtung – an vorderster Front die homosexuelle Arbeitsgruppe Bern (HAB). Der Littauer Moël Volken hörte in den 70er-Jahren davon im Radio und liess sich zur Gründung einer solchen Arbeitsgruppe in Luzern inspirieren.

Homosexuelle Arbeitsgruppe Luzern gegründet

Am 9. Mai 1979 war es im Elternhaus von Volken so weit, drei Tage später folgte die offizielle Gründung, wie es auf der Website «Schwulengeschichte» heisst. Ziel war es, mit der Halu einen Ort der Begegnung zu schaffen. Dass Homosexuelle, die Schwierigkeiten mit ihrem Coming-out haben, einen Ansprechpartner haben, wie Leimgruber heute sagt. «Dass ein Austausch stattfindet, denn das war in der neuen Schwulenbewegung ein zentrales Anliegen.»

Die Stadt verhielt sich gegenüber Schwulen immer wieder «seltsam»

Die Halu wollte an einem Stand in der Innenstadt Flyer, Bücher und Zeitschriften vorlegen, auf die Probleme von Homosexuellen hinweisen. Bei den Luzerner Behörden wollte man dazu eine Bewilligung einholen. Eine solche wurde ihnen aber verweigert. Begründungslos, heisst es auf «Schwulengeschichte.ch».

«Die Kaltschnäuzigkeit, mit der wir von der Stadt behandelt wurden, ist zutiefst erschreckend.»

Moël Volken im Jahr 1980

Die Homosexuellen-Arbeitsgruppen Schweiz forderten die Stadt in einem Schreiben auf, das Verbot aufzuheben. Der Stadtrat hielt jedoch an seinem Entscheid fest. Begründet wurde dies mit einem Urteil des Bundesgerichts. Im Fall der Homosexuellen Arbeitsgruppe St. Gallen stufte das Bundesgericht das Magazin «anderschume Obelix», das die Diskriminierung von Homosexuellen thematisierte, als «anstössig» ein. Bereits die St. Galler Regierung hat sich diesen Entscheid zunutze gemacht, um solche Schriften am öffentlichen Stand zu verbieten.

Das gab auch ein Jahr später, 1980, noch zu reden. «Die Kaltschnäuzigkeit, mit der wir von der Stadt und insbesondere von Stadtrat Bruno Heutschy behandelt wurden, ist zutiefst erschreckend», sagte damals Moël Volken gegenüber der «LNN». Es sei «die einzige grosse Enttäuschung» gewesen, die man 1979 erlebt habe.

Wie Leimgruber heute sagt, habe sich die Stadt «immer wieder gegenüber Schwulen komisch» verhalten. Zu beliebten Treffpunkten der Schwulenszene gehörten schon damals das Inseli sowie der Carl-Spitteler-Quai. Nicht selten sei es da «zur Sache gekommen», wie er erzählt. Das hat sich herumgesprochen, Anwohner beschwerten sich. Damit sich keine Männer mehr hinter den Gebüschen verstecken und auf öffentlichem Grund Sex haben konnten, sei es zu einer grossen «Abholzaktion» gekommen. So wurden beispielsweise am Carl-Spitteler-Quai Büsche verbannt.

… und dann kam es zu einem Gesinnungswandel

Erst später habe die Stadt einen «Gesinnungswandel» durchgemacht. So griffen Stadt und Kanton der Halu bei der Eröffnung des «Uferlos» 1995 finanziell unter die Arme und unterstützten sie grosszügig, wie Leimgruber weiss.

Peter Leimgruber, hier im Stattkino, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Halu. (Archivbild: pbu) (Bild: pbu)

«Uferlos» bereits 1998 «in ernster Gefahr»

Das «Uferlos» mauserte sich in den Jahren danach zu einem beliebten Lokal für Schwule, Lesben und Bisexuelle. Wöchentlich fanden Treffen statt, die Tanzschuhe wurden poliert, das Lokal konnte auch gemietet werden.

Im «Uferlos» konnten Schwule und Lesben so sein, wie sie sind. «Wir haben das ‹Uferlos› nicht für uns selbst geführt», so Leimgruber. «Sondern für alle. Im ‹Uferlos› konnten Homosexuelle ihr Selbstbewusstsein stärken und dies nach aussen tragen», erzählt Leimgruber.

«Als Einzelkämpfer war es länger einfach nicht möglich, das ‹Uferlos› und die Halu am Leben zu halten.»

Peter Leimgruber

Doch einfach war es nicht immer, die Existenz stand schon lange vor dem jetzt definitiven Aus auf der Kippe. Bereits Ende der 90er-Jahre verkündete die Halu, dass man «in ernster Gefahr sei». Falls sich keine neuen Leute finden, die bereit sind, Verantwortung und Arbeit zu übernehmen, sei die Zukunft des «Uferlos» bedroht. Zwar war das Lokal gut besucht, doch konsumieren ist einfacher als produzieren, sagte Martin Häfliger, Vorstandsmitglied der Schwulen-Jugendgruppe «Why Not» 1998 gegenüber der «Neuen Luzerner Zeitung».

2014: Halu ist Geschichte – im «Uferlos» läuft nun Techno

Das «Uferlos» konnte sich noch einige Jahre halten – 2014 fasste die Halu aber den Entscheid, das Lokal nicht mehr weiter zu betreiben. Monate später wurde auch die Halu aufgelöst. «Klar waren wir etwas wehmütig», sagt Leimgruber heute. «Aber als Einzelkämpfer war es länger einfach nicht möglich, das ‹Uferlos› und die Halu am Leben zu halten.»

Heute gibt es zwar diverse Angebote für die LGBT-Szene in Luzern wie das «Queerbad» im Neubad oder die «Milchbar» im Treibhaus. Einen festen Ort hat die Szene jedoch nicht, was Leimgruber bedauert.

Die Geschichte des «Uferlos» war 2014 aber nicht fertig – denn Lukas Meyer übernahm damals das Lokal und führt es bis heute gemeinsam mit Milo Grüter. Kleine Konzerte fanden statt, aber auch rauschende Technopartys.

Nach 25 Jahren geht die Geschichte des «Uferlos» zu Ende

Nun neigt sich auch dieses Kapitel nach sechs Jahren dem Ende zu. Noch in diesem Sommer soll das ganze Gebäude am Geissensteinring 14 einer Wohnüberbauung Platz machen (zentralplus berichtete).

Die Betreiber des «Uferlos» kündigten an, sich Ende Mai «mit einigen Boings, fulminant und gebührend» aus dem Luzerner Nachtleben zu verabschieden. Wäre nicht Corona gewesen. Ob es nochmals zu einem letzten Tanz und einer rauschenden Party kommen wird, ist derzeit offen.

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