Andere Verteilung der Sitze im Nationalrat

Luzern verliert im Bundeshaus wohl schon bald an Einfluss

Das Bundeshaus in Bern.

(Bild: les)

Luzern schickt zehn Nationalräte nach Bern – 2019 dürfte es einer weniger sein. Die Verteilung wird bald den aktuellen Bevölkerungszahlen angepasst. Und eine provisorische Berechnung zeigt, dass Luzern wahrscheinlich einen Sitz einbüsst. Das könnte die CVP zu spüren bekommen – auch für eine andere Partei wäre es ungemütlich.

Da waren es nur noch neun: Der Kanton Luzern könnte für die nächsten Wahlen einen seiner zehn Sitze im Nationalrat verlieren. Denn die 200 Mandate der grossen Kammer werden demnächst an die aktuelle Bevölkerungszahl der einzelnen Kantone angepasst. Claudio Kuster, politischer Sekretär und Mitarbeiter des parteilosen Schaffhauser Ständerates Thomas Minder, hat die Verteilung aufgrund der provisorischen Zahlen ausgerechnet und am Mittwoch auf seinem Blog publiziert. Er kommt zum Schluss: Die Kantone Bern und Luzern müssen wohl einen Sitz abgeben, Genf und die Waadt erhalten einen zusätzlichen (siehe Linkbox).

Es wäre das erste Mal in der Geschichte, dass der Kanton Luzern einen Sitz abgeben müsste. Von ursprünglich sechs konnte Luzern sein Kontingent seit 1848 kontinuierlich und bedächtig steigern – seit 1991 ziehen jeweils zehn Luzerner in den Nationalrat.

Die Bundeskanzlei kann die Berechnungen zurzeit nicht bestätigen, da die definitiven Zahlen noch nicht vorliegen. Das Bundesamt für Statistik hat diese für übernächste Woche angekündigt. Es ist davon auszugehen, dass die Sitzverteilung bis Ende August bekannt wird.

«Es ist klar, dass eine Reduktion für uns Konsequenzen haben kann.»

Christian Ineichen, Präsident CVP Kanton Luzern

Klar ist: Wird der Luzerner Kuchen kleiner, steigert sich das Gerangel um die verbleibenden Sitze zusätzlich. Wäre Luzern bereits 2015 ein Sitz weniger zugestanden, hätte CVP-Nationalrätin Andrea Gmür über die Klinge springen müssen, wie Kuster im Blog aufzeigt.

CVP, die Wackelkandidatin

Auch der Luzerner Politologe Olivier Dolder von Interface Politikstudien geht davon aus, dass die CVP am meisten zittern müsste, wenn Luzern ein Mandat verlöre. Bis zu den Wahlen vergehe zwar noch eine lange Zeit. «Aber die CVP ist sicher der Wackelkandidat. Einerseits hat sie zuletzt mehr oder weniger alle kantonalen Wahlen verloren, ihr Abwärtstrend dauert also an.» Andererseits konnte die Partei 2015 ihren dritten Sitz nur dank einer Listenverbindung mit der FDP holen.

Der neue Präsident der kantonalen CVP, Christian Ineichen, wartet zurzeit auf die offizielle Bestätigung aus Bern. «Ich habe schon davon munkeln hören. Wenn sich die Zahl der Sitze tatsächlich ändert, ist das ein Fait Accompli, nach dem wir uns zu richten haben.» Ineichen äussert gleichwohl Kritik am System der Sitzverteilung. Ginge es nach ihm, wären nur die Stimmberechtigten Grundlage für die Berechnung der Sitze. Aktuell wird auch ein Teil der ausländischen Bevölkerung mitgezählt (siehe Box).

«Dass Luzern einen Sitz abgeben muss, ist ein durchaus realistisches Szenario.»

Roland Fischer, Präsident GLP Kanton Luzern

Mit dem heutigen System würden städtische Regionen kontinuierlich mehr Gewicht erhalten als das Land, kritisiert der Marbacher. «Das ist ein gravierender Schönheitsfehler des Systems.» Zurzeit sehe er aber keine Möglichkeit, dies zu ändern.

Welche Parteien die zehn Luzerner Nationalratssitze innehaben und ihr jeweiliger Wähleranteil von 2015:

 

 

 

Für den CVP-Wahlkampf würde sich durch einen wegfallenden Luzerner Sitz nichts ändern, sagt Ineichen. «Aber es ist natürlich klar, dass eine Reduktion für uns Konsequenzen haben kann, weil unser dritter Sitz derjenige war, der 2015 am knappsten vergeben wurde, also das Restmandat.» Dabei ist laut Ineichen bereits heute klar, dass nebst Konrad Graber für den Ständerat auch alle drei CVP-Vertreter im Nationalrat 2019 erneut antreten: Ida Glanzmann, Leo Müller und Andrea Gmür.

Wer erhält wie viele Sitze?

Welcher Kanton im Nationalrat wie stark vertreten ist, entscheidet sich aufgrund der Bevölkerungszahl und eines speziellen Berechnungsverfahrens. Regelmässig wird Kritik laut am System – beziehungsweise an der Definition von «Bevölkerungszahl». Diese wird festgelegt über die ständige Wohnbevölkerung – dazu zählen Schweizer mit Hauptwohnsitz im Land (also keine Auslandschweizer) sowie Ausländer mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung für mindestens zwölf Monate sowie Asylbewerber, die länger als zwölf Monate hier leben. 

Der Luzerner SVP-Nationalrat Felix Müri verlangte 2013 in einer Motion eine Änderung. Er wollte nur noch Schweizer sowie Ausländer mit B- und C-Bewilligung zählen lassen. Das Anliegen scheiterte genauso wie ein erneuter Versuch aus SVP-Reihen im März 2017. An der Sitzzahl von Luzern hätte das sowieso nichts geändert, führte der Bundesrat in einer Anfrage im Frühling 2016 aus.

«Wir werden alles daran setzen, die drei Sitze zu verteidigen – dass wir keinen kampflos abgeben, ist ja klar.» Entscheidend werde sicher sein, ob die politische Grosswetterlage 2019 der CVP zugute komme oder nicht. Über die Wahlkampfstrategie und allfällige Wunschkandidaten in Sachen Listenverbindungen hält sich Ineichen noch bedeckt.

Verteidigung statt Angriff

Ein verlorener Sitz dürfte auch die GLP schmerzen – man weiss um das Risiko. «Das ist ein durchaus realistisches Szenario», sagt Präsident Roland Fischer, angesprochen auf den drohenden Verlust eines der zehn Luzerner Mandate. Bereits bei den letzten Wahlen 2015, als Bern, Solothurn und Neuenburg einen Sitz abgeben mussten, sei Luzern als möglicher Verlierer gehandelt worden. «Nun muss man die definitiven Zahlen abwarten, aber es besteht eine grosse Wahrscheinlichkeit, dass Luzern ein Mandat einbüsst.»

Vor zwei Jahren ist Roland Fischer knapp abgewählt worden. «Wir streben natürlich an, diesen verlorenen Sitz zurückzuerobern», sagt er. 2015 hat der Partei, die mit den Linken eine Listenverbindung einging, laut Fischer rund ein Prozentpunkt Wähleranteil gefehlt, um die Abwahl zu verhindern. «Wenn es nun nur noch neun Sitze wären, müssten wir entsprechend stärker zulegen.»

Keine einfache Ausgangslage, sagt auch Politologe Olivier Dolder: «Diesen Sitz zurückzuholen, dürfte extrem schwierig werden.» Genauso in die Ferne rücke ein vierter Sitz für die SVP und ein zweiter Sitz für die SP. Ausser Letztere hole ihn auf Kosten der Grünen. Besitzstandwahrung laute daher das Stichwort, so Dolder. «Ganz grundsätzlich würden die Wahlen in diesem Fall wohl bei allen, ausser der GLP, auf eine Verteidigung ihrer bisherigen Sitze hinauslaufen.»

GLP-Präsident Roland Fischer, CVP-Präsident Christian Ineichen und Politologe Olivier Dolder.

GLP-Präsident Roland Fischer, CVP-Präsident Christian Ineichen und Politologe Olivier Dolder.

(Bild: zvg)

 

Wie Ineichen, hält auch Fischer fest: Um das Wählerpotenzial auszuschöpfen, spielt die Zahl der Luzerner Sitze keine Rolle. Ganz anders sieht es bei den Listenverbindungen aus. «Die Ausgangslage verändert sich: Man ist noch mehr auf einen starken Partner angewiesen.» Fischer übt im gleichen Atemzug grundsätzliche Kritik am heutigen Wahlsystem. «In kleinen und mittleren Kantonen ist es für kleine Parteien extrem schwierig, überhaupt einen Sitz zu ergattern.» Das ist aus seiner Sicht demokratiepolitisch problematisch.

Auch Fischer glaubt angesichts der Wahlen 2015, dass die CVP am stärksten zittern muss. Welche taktischen Schlüsse die Grünliberalen daraus ziehen könnten, lässt er aber offen. Die GLP wolle sich nun zuerst auf die Wahl der Themenschwerpunkte konzentrieren.

Folgen für den Tiefbahnhof?

Was würde das für den Kanton Luzern bedeuten, und für regional wichtige Grossprojekte wie beispielsweise den Durchgangsbahnhof, wenn ein Vertreter weniger in Bern abstimmen könnte? Zum jetzigen Zeitpunkt sei eine Reduktion der Anzahl Luzerner Sitze im Nationalrat Spekulation, sagt Andreas Töns, Informationschef des Kantons.

«Noch viel spekulativer wären Mutmassungen über mögliche Auswirkungen: Dafür hängen die politischen Geschicke konkreter Projekte von zu vielen Faktoren ab.» Nur so viel könne er sagen: Auch wenn der Kanton Luzern seine Interessen in Bern auf verschiedenen Wegen verfolge, «so hätte der Regierungsrat an einer relativen Schwächung der Luzerner Vertretung im Nationalrat selbstverständlich keine Freude».

«Ein Sitz weniger wird die Politik in Bern nicht verändern.»

Olivier Dolder, Politologe

In dieselbe Richtung zielt die Einschätzung von Politologe Olivier Dolder. «Natürlich ist es für den Kanton gut, möglichst viele Sitze zu haben, weil er so seine Positionen in Bern besser einbringen kann.» Doch er relativiert zugleich: «Ein Sitz weniger wird die Politik in Bern nicht verändern.» Regionalpolitische Anliegen würden im Bundeshaus nur einen kleinen Teil der Geschäfte ausmachen. Zudem stimmen die Vertreter aus Luzern selten bis nie einheitlich. «Für die meisten Beschlüsse ist die Partei entscheidend und nicht die Herkunft.» 

Und nicht zuletzt weist Dolder daraufhin, dass nicht alle Luzerner Nationalräte gleichermassen Einfluss haben. «Wenn ein Hinterbänkler nicht mehr in Bern ist, fällt der Effekt sicher kleiner aus, als wenn es eine der zentralen Figuren trifft», sagt Dolder, ohne entsprechende Personen zu nennen. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Roman Haeberli
    Roman Haeberli, 10.08.2017, 22:55 Uhr

    Christian Ineichen möchte am Liebsten auch in den Nationalrat. Aber damit er gewählt würde, bräuchte Luzern 69 Sitze.

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