Sie wollen keine Seelsorge – sie wollen Cash. Und dafür möglichst nichts unternehmen. Vor den Türen der Klöster und Pfarrhäuser geht es hart zu und her.
Es ist Tradition, dass Hilfesuchenden an der Klosterpforte gegeben wird. Allerdings steht die Kirche vor einem Dilemma. Für die aktuelle Ausgabe des kantonalen Pfarrbeiblattes begab sich Dominik Thali, Sprecher der römisch-katholischen Kirche des Kantons Luzern, für eine Bestandsaufnahme an die Türen der Klöster und Pfarrhäuser in und um den Kanton Luzern.
Dort bitten regelmässig Männer und Frauen um Hilfe − meist um Geld. «Das ist keine neue Erscheinung», sagt Thali. Wie ihm Gemeindeleiter und Pfarrer erzählten, sei das Betteln um Geld vor kirchlichen Einrichtungen in den letzten Jahren jedoch aggressiver geworden.
«Es ist schwierig, den Mittelweg zwischen Barmherzigkeit und Härte zu finden.»
Pater Lorenz Moser, Kloster Einsiedeln
«Früher waren es Einzelpersonen, heute sind es teilweise ganze Banden.» Werde Geld an Hilfesuchende abgegeben, so würde sich dies schnell herumsprechen. Die Folge: Immer mehr Leute klopfen an die Klosterpforten, um Geld zu erhalten. Dass Passanten im Pfarrhaus übernachten, kommt hingegen kaum mehr vor, wie Thali sagt.
«Essen wird kaum mehr gewünscht»
Diesen Sommer feiert die Zentralschweiz mit dem Gästival 200 Jahre Gastfreundschaft. Die römisch-katholische Kirche nimmt dies zum Anlass, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Die Kirche macht sich Gastfreundschaft schon seit 2'000 Jahren zur Verpflichtung», sagt Dominik Thali. Diese hat sich jedoch im Laufe der Zeit verändert. «Mittlerweile gibt es viele staatliche und private Einrichtungen, die Hilfesuchende unterstützen», erklärt er. Daher brauche es die Hilfe an der Pfarrhaustür oder Klosterpforte nicht mehr im selben Ausmass wie früher. Da die Kirche keinen gesetzlichen Auftrag habe, könne sie unbürokratisch handeln und Menschen stützen, die sonst durch das soziale Netz fallen würden. Heute sei es besonders wichtig, die Leute an die richtigen Stellen zu verweisen, so Thali.
Es sei schwierig, den Mittelweg zwischen Barmherzigkeit und Härte zu finden, fasst Pater Lorenz Moser vom Kloster Einsiedeln zusammen. Von einer religiösen Einrichtung werde «natürlich erwartet, dass wir für Notleidende ein besonderes Herz haben». Gastpater Pascal Meyerhans sagt, es würden zum Teil «ganz kleine Anliegen» vorgebracht, bei denen man gern helfe. Es gebe aber auch «arrogant grosse», die sofort abgewiesen würden.
Die meisten Geschichten sind erfunden
So berichtet Romeo Zanini, Pastoralraumleiter in Horw, dass er einst an einem Sonntagmittag von einer Frau telefonisch gebeten wurde, 300 Franken in einem Kuvert in den Milchkasten des Pfarrhauses zu legen. Sie hole dieses dann ab. «Ich sagte ihr, dass ich gerne mit ihr sprechen möchte. Da meinte sie, dies sei ihr zu viel Aufwand.» Die Bittsteller würden immer mehr. «Vor allem durch die zahlreichen Strassenmusikanten aus den östlichen Ländern», sagt Zanini.
Er sei zudem schon zweimal angegriffen worden, weil er eine Unterstützung abgelehnt habe. Die Kirche sei im Allgemeinen zurückhaltender geworden. Denn: Die meisten Geschichten der Passanten seien erfunden, und die punktuelle Hilfe nütze schliesslich gar nichts.
«Wir geben Gutscheine von der Migros ab, weil es dort keinen Alkohol und Tabak gibt.»
Ruth Chappuis Kühne, Pfarreisekretärin in Willisau
Eigentlich gibt es eine Regel, die besagt, dass kein Bargeld abgegeben werden darf. «Wir geben Gutscheine von der Migros ab. Und zwar, weil es dort keinen Alkohol und Tabak gibt», sagt Ruth Chappuis Kühne, Pfarreisekretärin in Willisau. In Schüpfheim schickt man hungrige Passanten allenfalls in ein Restaurant, wo die Pfarrei Kostengutsprache hat. Gemäss den Richtlinien, wie sie viele Pfarreien kennen, wird immer notiert, wer welche Unterstützung erhält. Dazu gehört auch eine Kopie des Ausweises.
Offenes Ohr statt Geld
In Notsituationen kommen Pfarreien für Ausgaben auf – zum Beispiel für das Ferienlager eines Kindes oder ein Mietzinsdepot. Doch auf die Schnelle gäbe es bei der Kirche kein Geld zu holen. Denn wenn jemand in echter Not ist, braucht es ein ausführliches Gespräch, bevor Geldbeträge zugesprochen werden.
Nicht immer geht es jedoch um Geld. Stephan Schmid, langjähriger Gemeindeleiter und heute in der Pfarrei Ettiswil tätig, sagt, seine «Praxis des offenen Ohrs» – Zeit statt Geld – habe sich bewährt. Manche Hilfesuchenden schätzten es, überhaupt jemanden als Gesprächspartner vor sich zu haben.
In der Stadt Luzern wurden im vergangenen Jahr rund 70 solcher Anfragen erfasst. Die Anzahl steigt. Das Gesprächsangebot und die Information stehen auch hier an erster Stelle. «Nicht helfen können wir, wenn sich eine Person ausserhalb des sozialen Netzwerks bewegt, weil sie beispielsweise mit den Behörden nicht klar kommt», sagt Christian Vogt, Bereichsleiter Sozialdiakonie der Kirchgemeinde. Manchmal gelinge es in einem solchen Fall jedoch, einen Kontakt herzustellen oder Wogen zu glätten.
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