Regierung tappt im Dunkeln

Sexualaufklärung an Luzerner Schulen: Note ungenügend

Gummi auf Banane: Das haben wir wohl alle in der Sexualaufkärung in der Schule geübt. (Bild: Symbolbild: Dainis Graveris/Unsplash)

Immer wieder gerät in den Fokus von Politikerinnen, wie Lehrerinnen ihre Schüler über Liebe und Sex aufklären. Nun bezieht die Luzerner Regierung dazu Stellung. Sie tappt dabei aber im Dunkeln. Denn wie Lehrer ihre Schüler aufklären, das ist deren Sache.

Aktuell wird schweizweit hitzig darüber diskutiert, wie Lehrer an Schulen über Sex aufklären. Und was sie dabei zu tun und zu lassen haben.

Auch eine Aufklärungsbroschüre der sexuellen Gesundheit Schweiz wurde jüngst zum Politikum: Die Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog geht diese zu weit. Es sei «völlig übertrieben», Teenies über Lecktuch und Analplug aufzuklären. Zudem würden LGBTQ-Themen «zu viel Platz» einnehmen.

Wir erinnern uns: Bereits vor gut zehn Jahren sorgte die Sexualaufklärung an Schulen für rote Köpfe. Da stand der sogenannte «Sex-Koffer» im Fokus, der an Basler Schulen zum Einsatz kam. Inhalt des Koffers: Holzpenis und Plüschvagina. Schweizweit haben Politiker deswegen Vorstösse eingereicht, auch auf kantonaler Ebene.

Bericht zeigt: Missstände im Bereich der Sexualaufklärung in der Deutschschweiz

Auch in Luzern hat sich jüngst die Politik wieder mit dem Thema befasst. SP-Kantonsrätin Anja Meier hat Ende März eine Anfrage zum Thema eingereicht. Sie sorgt sich aber nicht darüber, dass Schulen zu viel aufklären, sondern zu wenig.

Schulen käme eine wichtige Rolle bei der Sexualaufklärung zu, begründete Meier. Und sie verwies auf einen wissenschaftlichen Expertenbericht zum Thema, der 2018 erschienen ist. Dieser verortet in der Deutschschweiz Missstände und Defizite. «Vor allem im organisatorischen Bereich und bei der Vermittlung der Inhalte der ganzheitlichen, auf Wissen und Kompetenzen abgestützten Sexualaufklärung», wie es im Bericht heisst.

Insbesondere besteht laut Expertinnen «hoher Handlungsbedarf» bei der Standardisierung und Qualitätssicherung. «Die Qualität der erhaltenen Sexualaufklärung in der Schule bleibt, vor allem in der Deutschschweiz, bis zu einem gewissen Grad zufällig», heisst es im Bericht. Ob, wann und in welcher Qualität Schülerinnen aufgeklärt werden, hängt laut Lehrerverband stark von den Lehrpersonen ab. Also von deren Engagement, Weiterbildung und den verwendeten Lehrmitteln.

Wie Schulen über Sex aufklären, dafür sind die Schulen verantwortlich

Anja Meier wollte deswegen von der Regierung wissen: Gibt es qualitätsgesicherte Vorgaben, um die Art und Weise, wie verschiedene Sexualaufklärungsthemen von Lehrerinnen im Kanton Luzern behandelt werden, zu harmonisieren? Und wie wird überprüft, ob sich Lehrer an die Lehrplanziele halten?

«Die Qualität und die Art der Vermittlung der Sexualaufklärung beziehungsweise der Sexualkunde liegt in der Kompetenz und Verantwortung der jeweiligen Schule.»

Die Luzerner Regierung

Nun liegt die Antwort der Regierung vor. Diese hält zuerst einmal fest: «Die Qualität und die Art der Vermittlung der Sexualaufklärung beziehungsweise der Sexualkunde liegt in der Kompetenz und Verantwortung der jeweiligen Schule.» Damit bestätigt die Regierung eigentlich nur, was im Expertenbericht steht. Doch sie schreibt weiter: Es könne «davon ausgegangen werden», dass die Schulen im Kanton Luzern ihren Bildungsauftrag erfüllen.

Wie sie zu diesem Schluss kommt, bleibt unklar. Auf Kontrollorgane geht die Regierung nicht ein. Sie verweist lediglich auf den Lehrplan, der auch zum Ziel hat, den Schülerinnen soziale Kompetenzen mitzugeben. Die Regierung verweist weiter auf die Lehrmittel, die auf dem Lehrplan basieren. Das kantonale Lehrmittelverzeichnis gebe für das Thema Sexualaufklärung «fakultative beziehungsweise alternativ-obligatorische Lehrmittel» vor. Doch auch hier: «Die tatsächliche Verwendung der Lehrmittel und die Umsetzung des Lehrplans liegen in der Verantwortung der Schulleitung.»

Kantonsrätin Anja Meier ist beunruhigt

SP-Kantonsrätin Anja Meier ist mit den Antworten teilweise zufrieden. Dass die Regierung die Wichtigkeit der Sexualaufklärung im Sinne der Chancengerechtigkeit anerkennt, sei positiv. Aber etwas irritiert sie auch: «Es beunruhigt mich sehr, dass die Verantwortung für die Ausgestaltung der Sexualaufklärung an die jeweiligen Schulen beziehungsweise an die Lehrpersonen delegiert wird.»

Insbesondere, da es anscheinend keine Supervision oder anderweitige Qualitätskontrolle durch den Kanton gebe. Meier sagt: «In der Praxis führt das zu bedenklich grossen Qualitätsunterschieden bei der Sexualaufklärung, wie sie Kinder und Jugendliche an Luzerner Schulen erfahren.»

Meier verweist erneut an den Bericht: Die Antworten der Regierung würden die Kritik für den Kanton Luzern nur bestätigen.

SP-Kantonsrätin Anja Meier.
SP-Kantonsrätin Anja Meier.

Schulklassen holen mehr Expertinnen zu sich, wenns um Sex geht

Die Regierung führt in ihrer Antwort weiter auf, dass die Pädagogische Hochschule Luzern (PH) angehende Lehrer genügend zum Thema ausbilden würde. Das Angebot der PH sei «vielfältig und ausreichend».

Schulen können zudem externe Expertinnen in die Klassen einladen, welche einen Teil der Sexualaufklärung übernehmen. In Luzern ist das die Fachstelle S&X Sexuelle Gesundheit Zentralschweiz. Aufgrund der hohen Nachfrage müssten Schulen solche Unterrichtsmodule teils aber bis zu einem Jahr im Voraus buchen, wie Anja Meier schreibt.

«Die Sexualaufklärung muss mit der Zeit gehen und weitaus mehr Themen behandeln.»

Anja Meier

Und dabei holen immer mehr Schulen Experten der Fachstelle in die Klassen. 2016 wurden 117 Veranstaltungen gebucht, 2021 bereits 147. Der Kanton hat mit der Fachstelle eine Leistungsvereinbarung. Jährlich kriegt die Fachstelle gemäss Antwort der Regierung einen Beitrag von 215’000 Franken, nächstes Jahr erhöht der Kanton diesen auf 225’000 Franken.

Auch hier müsste der Kanton vermehrt ansetzen, sagt Meier. «Ich fände es wichtig, dass an der Volksschule mehr externe Fachpersonen beigezogen werden. Doch die Wartezeiten sind derzeit lang, und je nachdem fallen hohe Kosten an.» Das macht das Buchen solcher Angebote «unnötig unattraktiv». Deswegen ist Meier der Ansicht, dass der Kanton seine finanzielle Unterstützung dieser Fachstellen allenfalls weiter ausbauen müsste.

Nicht nur über Anatomie und Verhütung, sondern auch LGBTQ+ und Sexismus reden

Wenn die 24-Jährige zurückblickt, wie sie selbst in der Schule aufgeklärt wurde, beschränkte sich dies vor allem auf Infos über Anatomie, Fortpflanzung und Verhinderung von Geschlechtskrankheiten. «Sprich: Beziehungs- und Sozialkompetenzen im Bereich der Sexualität fehlten völlig.»

Für Anja Meier ist klar: «Die Sexualaufklärung muss mit der Zeit gehen und weitaus mehr Themen behandeln, etwa Gleichstellung, LGBTQ+-Themen, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Konsens, stereotype Rollenbilder und viel mehr. Es soll nicht verängstigt oder stigmatisiert, sondern empowert werden.»

Auch Tim Meier, der im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit eine pfannenfertige Unterrichtseinheit vorgelegt hat, sagt: Wenn Lehrer früh genug mit Schülerinnen über LGBTQ-Themen sprechen, so sind die Themen für die Kinder nicht mehr fremd. Und dass Schulen so Toleranz schaffen und Mobbing verhindern können (zentralplus berichtete).

Eher früher als später würden Kinder und Jugendliche ohnehin durch Smartphones und Pornos mit bedenklichen Rollenbildern konfrontiert werden, so Anja Meier. «Hier muss eine ganzheitliche und fortschrittliche Sexualaufklärung Gegensteuer geben – auch im Kanton Luzern.»

Verwendete Quellen
  • Expertenbericht zum Thema Sexualaufklärung in der Schweiz
  • Anfrage von Anja Meier
  • Antwort der Regierung
  • Schriftlicher Austausch mit Anja Meier
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