Hier spricht Luzern über Peitschen, Fesseln und Latex
Regelmässig treffen sich in Luzern junge Menschen aus der BDSM-Welt auf einen gemeinsamen Stammtisch. Wir durften uns beim Gespräch über Peitschen, Unterwerfung und Feminismus rund um BDSM dazusetzen.
Ich bin der Vanilla unter ihnen. Habe also Sex jenseits von Peitschen und Schlagstöcken. Wobei ja auch ein bisschen Würgen oder ein sanfter Klaps schon BDSM sei, wie mich ein Mann, nennen wir ihn Ben*, aufklärt. Zwischen 24 BDSMlern sitze ich da, am langen Tisch im Treibhaus in Luzern. Einmal im Monat lädt hier der BDSM Jugendstamm Luzern zum Stammtischtreffen für junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren – und für einmal durften wir uns dazusetzen.
BDSM heisst Bondage und Disziplin, Dominanz und Unterwerfung, Sadismus und Masochismus (zentralplus berichtete). Das heisst: Wir sprechen auch über Sex mit Fesseln und Peitsche, in Lack und Leder – über Rollenfantasien mit Doktorspielen. In der BDSM-Welt übernimmt der Dom oder die Femdom den dominanten Part, der Sub ist der oder die Unterwürfige.
BDSM: Keine Vorliebe ist hier schräg
«Dark Otti», so nennt sich der Dom selbst, organisiert zusammen mit seiner Freundin und Sub «Flyingirl» und Lucy* den Stammtisch. Er erklärt, dass sie damit einen Safe Space schaffen wollen. Für all jene, die kinky sind. Also Menschen mit sexuellen Vorlieben und Fetischen, welche die meisten von uns als unkonventiell betrachten. Oder eben «pervers», wie Dark Otti sagt. Er lacht dabei. Bereits am Morgen vor dem Stammtisch fragte er bei mir nach, ob ich mental schon bereit sei für die «Perversen». Er meint das mit einem Zwinkern. Pervers – im Sinn von abartig oder schräg – ist hier niemand.
«Die BDSM-Szene ist die erste Szene, in der ich mich zuhause fühle.»
Das sagt auch Fynn*. «Kein Kink, keine Vorliebe ist hier schräg», ergänzt er. Schnell wird klar: Die meisten sind hier, um verstanden zu werden. So sagt Ben: «Die BDSM-Szene ist die erste Szene, in der ich mich zuhause fühle.» So geht’s vielen, wie sich zeigt. Es sei wie in einer Familie, sagt Mia*. «Die Menschen hier am Stammtisch wissen mehr über mich als die meisten Menschen in meinem sonstigen Umfeld», sagt sie. «Ich kann hier so sein, wie ich bin. Ich muss keinen Teil von mir zurückhalten.»
Die Stimmung am Tisch ist familiär. Man umarmt sich zur Begrüssung, legt auch während des Gesprächs mal einen Arm um die Schulter der Person nebenan. Gerade planen sie den nächsten Ausgang – eine Playparty, an der auch Spielzimmer für BDSM-Praktiken bereitstehen. Dark Otti erzählt, wie er dann jeweils seinen «Spielzeugkoffer», wie er es nennt, packt.
Das Spiel mit den Fesseln beim BDSM
Ich setze mich ans andere Ende des Tisches. Lucy erzählt, wie es ihre Freunde – die nicht Teil der BDSM-Szene sind –oftmals irritiere, wenn die Spuren des Spielens sichtbar wären. Also blaue Flecken beispielsweise. «Freundinnen in meinem privaten Umfeld sagen mir dann: Aber Lucy, pass auf … Umso schöner ist es hier, von anderen verstanden zu werden. Wie sie es nachvollziehen und nachfühlen können, wie gut man sich nach einer Session fühlt. Oder nachdem man gefesselt wurde.»
«Danach lagen wir einfach nebeneinander auf dem Boden und schauten uns an. Das war unglaublich schön, diese Verbindung zwischen uns zu spüren.»
Das in Worte zu fassen, fällt den meisten schwer. Fynn erzählt, wie er an einer Party zum ersten Mal gefesselt wurde. «Danach, bei der sogenannten Aftercare, lagen wir einfach nebeneinander auf dem Boden und schauten uns an. Das war unglaublich schön, diese Verbindung zwischen uns zu spüren. Auch Minuten danach hab ich wie durch einen Nebel alles wahrgenommen.» Vielleicht sei das Gefühl während einer Session vergleichbar mit einem Drogenrausch. «Schliesslich wird auch unglaublich viel Dopamin ausgeschüttet.»
Diese Aftercare, von der Fynn gesprochen hat, ist beim BDSM zentral. Dabei geht es darum, den Partner, die Partnerin nach einer Session aufzufangen und gemeinsam wieder in das Hier und Jetzt zurückzukehren. Das könne verschiedene Formen annehmen. Kuscheln, Sex, eine einfache Umarmung, über das Geschehene sprechen, etwas gemeinsam trinken. Kurz: was einem gerade gut tut.
Ein BDSM-Lexikon wäre nicht schlecht
Zu sagen, was einem im Bett gefällt, ist ein Riesending. So nehm ich es zumindest wahr. Hier am Tisch im Treibhaus wird offen darüber gesprochen – und natürlich tun sie das auch zuhause, wo sie BDSM praktizieren. Eine Frau zeigt mir auf ihrem Handy Display einen BDSM-Test, den sie gemacht hat. «Let's test the kink out of you!», steht da.
Und Prozentangaben dazu, wie sehr Vanilla man ist – oder eben wie sehr Rigger oder Rope Bunny. Während ein Rope Bunny es mag, mit Seilen gefesselt oder festgehalten zu werden, dem Gegenüber gerne ausgeliefert ist, ist der Rigger derjenige, der andere gerne fesselt. Andere zeigen mir auf ihrem Handy Bilder von Fesselspielen. Nicht selten höre ich hier, dass eine solche Session – das Fesseln und Fixiertwerden mit Seilen – etwas Meditatives habe.
Mia zeigt mir Latex-Outfits, die sie an Fetisch- und Playpartys anzieht. Und natürlich wollen wir auch wissen, was Männer in solchen Nächten anziehen. Tim zeigt uns ein paar Bilder. In Latex gekleidet, manchmal mit schwarzer Maske, oder mit einem Ledergeschirr über dem Brustkorb, posiert er vor einem Spiegel.
Was willst du, was will ich? Das ist beim BDSM zentral
Menschen, die gemeinsam BDSM praktizieren, haben manchmal einen Vertrag miteinander. An erster Stelle steht ein Gespräch, bei dem Vorlieben und Limits, also Grenzen, besprochen werden. Das kann eine Liste sein bei der aufgeschrieben wird was ein Limit ist, was man mag und was gar nicht, was einen neugierig macht und was man mag, neugierig, vielleicht, ich liebe es) oder ein kurzes Gespräch vor der Session/dem Spiel. Oder sie gehen zu Beginn der Beziehung eine Liste mit Praktiken durch und gehen Punkt für Punkt durch, was ihnen gefällt, was sie vielleicht ausprobieren wollen – und was absolutes Tabu ist, wie man mir hier erzählt.
«Das ist das, was mich so in die Welt des BDSM hineingezogen hat: Es geht nicht nur um seine, sondern auch um meine Lust.»
Dark Otti erzählt, dass er durchs BDSM viel gelernt hat in Sachen Kommunikation. «Gerade in der Datingphase habe ich realisiert, dass es besser ist, früh darüber zu kommunizieren. Ich sage dann, wie ich bin, auf was ich stehe – und wenn das Gegenüber das nicht geil findet, dann haben wir keine Zukunft.»
Die weibliche Lust
Lucy erzählt, dass sie durch BDSM gelernt hat, ihre eigene Lust ins Zentrum zu rücken. Sie erinnert sich, wie sie den ersten Porno schaute, in dem eine Frau gefesselt wurde. «Das war ein mega spezieller Moment, der sich bei mir eingebrannt hat.» Denn nicht wie in Mainstream-Pornos, in denen es nur um die Lust und den Höhepunkt des Mannes geht, stand da die Frau im Fokus. «Es ging um sie und um ihre Lust.»
Auch Lucy ackerte mit ihrem Partner zu Beginn eine Liste durch. «Ich habe mich noch nie so sehr damit auseinandergesetzt, auf was ich stehe, was ich will. Und das ist das, was mich so in die Welt des BDSM hineingezogen hat: Es geht nicht nur um seine, sondern auch um meine Lust.»
In normalen Vanilla-Beziehungen spreche man beim ersten Date über viel – nur nicht über Sex. «Und dann ist man enttäuscht, wenn’s im Bett nicht harmoniert. Bei BDSM diskutiert man alles aus – oft vor dem ersten gemeinsamen Sex. Da ist die Chance viel grösser, dass der Sex auch richtig toll wird.» Auch wenn für Aussenstehende die Art, wie man über jenste sexuelle Praktiken spricht, noch bevor man sich nackt gesehen habe, vielleicht ein wenig krass erscheint.
Fynn erklärt es anschaulich. «Bei BDSM bauen wir einen Spielplatz, dessen Grenzen wir vorher gemeinsam abstecken.» Bei jedem Spielzeug, der Schaukel oder dem Kletterturm, fragt man sich, ob man es benutzen will – oder nicht. «Und auf dem zusammen erbauten Spielplatz kann man sich gemeinsam austoben, sodass beide Spass haben und sich wohl dabei fühlen.»
Feministin, aber gerne unterwürfig
Am Tisch sitzen auch Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen. Wie geht das auf? Für mehr Gleichstellung zwischen den Geschlechtern auf die Strasse ziehen – und sich handkehrum dem Mann zuhause im Bett unterwerfen? «Ich hatte zu Beginn Mühe, dies mit mir selbst zu vereinbaren», sagt Lucy.
Andere trennen dies nicht so stark, wie beispielsweise Mia. «Ich konnte es zuerst wirklich nicht begreifen, wie ich beide Seiten habe: Im Alltag bin ich eher dominant und frech, beim Spielen die Submissive, die Unterwürfige. Ich habe aber realisiert, dass auch die dominante Seite an mir beim Spielen immer noch da ist, wenn auch in einer anderen Art. Und für mich ist es entspannend, auch mal die Kontrolle abzugeben.»
Konsens: Die Grundregel im BDSM
Auch als Vanilla nimmt man in dieser Gesprächsrunde viel mit. Beispielsweise über Konsens.
Denn Konsens – das ist die Grundregel des BDSM. Konsens gilt für alles, was passiert, und von jedem, der involviert ist. «Das habe ich über BDSM überhaupt erst gelernt», sagt Lucy. Man setze sich mit dem Gegenüber viel mehr auseinander, lernt, das Gegenüber zu lesen.
Mein Kopf brummt, als ich das Treibhaus verlasse. Von all den Begriffen, Vorlieben und Fetischen. Was ich daraus mitnehme: Vielleicht einfach mal mehr darüber reden, was einen eigentlich selbst im Bett anturnt – und was eben nicht.
Hinweis: Alle Namen wurden geändert. Dies, um die Privatsphäre aller zu wahren.
- Besuch vor Ort am BDSM-Jugendstamm Luzern
- Website des BDSM-Jugendstamm Luzern