Zuger Pornodarstellerin: «Nackt fühle ich mich am wohlsten»
«Meine Arbeit bereitet mir unglaublich viel Freude», sagt die in Zug wohnhafte Pornodarstellerin Mia May. (Bild: zvg)
Die 22-jährige Mia May lebt ein Leben ohne Tabus: Als Pornodarstellerin und Sexarbeiterin spricht sie offen über ihre Arbeit. Sie zeigt eine Seite der Erotikbranche, die nur wenige kennen.
Wenn die junge Frau mit grellrotem Haar in ihrem Jeep Wrangler durch die Strassen Zugs kurvt, so muss wohl manch einer ein zweites Mal hinsehen: Feurig rote Flammen prangen darauf. Und ein Foto der Rothaarigen. Sie trägt schwarze High Heels, Netzstrümpfe – oben nichts. Mit einem Pfeilbogen spannt sie in Richtung des Blickenden. «Mia May» steht in gelbem Schriftzug darauf, inklusive Onlyfans-Link und QR-Code.
Seit gut drei Jahren ist die 22-Jährige in der Erotikbranche tätig. Sie macht Escort – das 1:1-Tagesgeschäft, wie es Mia May nennt. Auf der Plattform Onlyfans stellt sie freizügige Bilder und Videos online, und sie chattet mit ihren Abonnenten. Und sie dreht Pornofilme.
Mia May liebt Sex
Kein alltäglicher Beruf. Und dennoch scheint an diesem Donnerstagmorgen beim Besuch von zentralplus in Mias Stadtzuger Wohnung alles ganz normal zu sein. Sie sitzt vor dem gedeckten Frühstückstisch und isst Cherrytomaten. Frank, ihr persönlicher Assistent, sitzt neben ihr.
Mia May wuchs in Deutschland auf. Im Alter von 15 Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Lanzarote, wo sie das Abitur im Fernstudium abschloss. Dass sie sich für die Erotikbranche entschied, hat sicherlich mit einem zu tun: «Ich liebe Sex», sagt Mia May und lacht. Sie wirkt ruhig und selbstbewusst. Zur Begrüssung hat man sich umarmt, die Deutsche lächelt viel. Sie spricht offen und unaufgeregt aus ihrem Leben, ohne Tabu. Diese Offenheit zieht sich durch all ihre Tätigkeiten.
Opfer vs. Berufstätige
Ihre ersten sexuellen Erfahrungen machte sie mit etwa 14 Jahren. Schon als Teenager habe sie sich in die Erotikbranche eingelesen, sagt sie. Das älteste Gewerbe der Welt faszinierte das junge Mädchen. Zwar zeichneten die Zeitungen ein düsteres Bild von den Prostituierten. Sexarbeiterinnen waren stets Opfer von Zwangsprostitution, über ihnen standen böse Zuhälter, und auch Freier wurden als aggressiv dargestellt. Mia May wollte hinter die Kulisse blicken.
Mit «18 Jahren und einem Tag» stellte sie ein Inserat auf eine Website, auf der es eine Erotikrubrik gab. Sie mietete sich für ein Wochenende in ein Apartment ein. Ihr erster Kunde: ein älterer Herr. Beide seien nervös gewesen, doch sie hätten eine schöne Stunde miteinander verbracht, erzählt sie.
Damals war es Neugierde, die Mia May antrieb. Der Drang zu experimentieren, sich auszuleben. «Nackt fühle ich mich am wohlsten», sagt sie und lacht. Die Bühne, das Studio, der direkte Kontakt mit der Kamera – all das half ihr, ihre einstige Schüchternheit abzulegen und sich frei auszuleben. Und natürlich wird sie auch gerne bewundert – wenn sie etwa an der diesjährigen Extasia, die Anfang Dezember in Zürich stattfindet, wieder auf der Bühne steht.
«Ich habe mich freiwillig für den Beruf der Prostituierten entschieden. Ich liebe meinen Beruf und fühle mich sehr wohl.» Den Opfern möchte sie ihr Leid nicht absprechen. «Natürlich gibt es Menschen, die diesen Beruf unfreiwillig ausüben – aber das sind keine Prostituierten, sondern Opfer von Menschenhandel, Zuhältern oder Drogenkriminellen. Eine Prostituierte wählt ihren Beruf freiwillig.»
Sexarbeiterinnen: stigmatisiert und alleingelassen
Ihr öffentliches Image – das Bild, das die Gesellschaft von Sexarbeiterinnen hat – nimmt Mia May auch im Jahr 2024 als sehr negativ wahr. Noch immer würden Sexarbeiterinnen kriminalisiert und stigmatisiert. Mia May erzählt davon, wie Banken sie innert Tagen informiert hätten, dass ihr Konto aufgelöst werde oder dass sie als Kundin erst gar nicht akzeptiert worden sei.
Es gebe in der Schweiz fehlende oder falsche Gesetze. Arbeitsbewilligungen würden ohne persönliche Vorsprachen erteilt. Im Kanton Zug fehle es an einer Anlaufstelle für Prostituierte, wo sie sich bei Problemen mit Behörden oder einer niederschwelligen medizinischen Beratung wenden könnten. Es sind die Rahmenbedingungen des Staates, die Mia May anprangert. Dem will sie entgegenwirken. Sie schrieb das Gesundheitsamt an oder brachte während des Prostitutionsverbots während der Pandemie Sexarbeiterinnen an der Zürcher Langstrasse Essen.
«Es muss dringend mehr gemacht werden», sagt Mia May. Für sie ist klar: «Alles beginnt damit, den Beruf der Prostituierten zu respektieren und sie nicht mit Kriminellen gleichzusetzen.»
Sie macht nichts, was sie nicht will
Auch als Pornodarstellerin sei sie frei. Sie erlebt grossen Konsens – alle involvierten Sexualpartner seien mit dem, was passiert, einverstanden. «Schliesslich drehe ich die Pornofilme selbst.» Selbstbestimmtheit schreibt sie gross. «Ich mache nur das, wozu ich Lust habe. Ich trete auch nicht als die Unterwürfige auf, wenn dann eher als die Soft-Dominante.»
Damit zieht sie eine Grenze zur gängigen Pornoindustrie. Denn diese vermittelt oft ein anderes Bild: der Mann, stets potent – und die Frau, stets gefügig und zu allem bereit. Frauen werden erniedrigt, Gewalt wird verherrlicht. Mia Mays Assistent betont, dass sie in ihren Pornos strikt auf solche Gewaltszenen verzichten. «Blümchensex» sei es zwar nicht, was sie da tue, ergänzt Mia May, «aber partnerschaftlicher Sex trifft es ganz gut».
Nun erzählt sie von ihrem allerersten eigenen Pornofilm, der «Das Date» heisst. Dieser liege ihr immer noch am Herzen, auch wenn er damals «amateurhaft» gefilmt worden sei. «Er ist süss, wirklich knuffig. Weil er so unschuldig ist – für einen Pornofilm jedenfalls.»
Heute hat sie das Handy gegen eine professionelle Filmkamera getauscht, sie dreht Pornos auf dem Billardtisch («Geiler Blowjob im Billardzimmer»), an den Klippen («Geiler Fick zwischen den Felsen»), in Gruppen («Viele Schwänze zum Lutschen») oder auf der Alp («Das perversgeile Alpenmeitli»). Sex nach Drehbuch gebe es bei ihr aber nicht.
Fake-Sperma
Für die Pornofilme suchen Mia May und ihr fünfköpfiges Team immer wieder männliche Pornodarsteller. Bewerben kann sich dafür jeder und jede. Die Penislänge und -dicke wird zwar erfragt, genauso wie die sexuellen Vorlieben. Sie würden aber auf Vielfalt setzen – auch bei den Penissen. «Der kleinste Penis war in erigiertem Zustand sieben Zentimeter lang», so Assistent Frank. Am Set selbst herrscht gemäss den beiden eine freundschaftliche Stimmung. Sie lachen, wenn eine Panne passiert.
Die Authentik ist Mia sehr wichtig. In vielen Pornoproduktionen werde hingegen oftmals mit Kunstsperma in Massen gearbeitet, was sie als störend empfinde, wenn es auch bei ihr manchmal nicht ganz ohne gehe. Frank steht auf, kommt zurück in die Küche und stellt eine Tube mit diesem Fake-Sperma auf den Tisch. Dies würden sie teilweise beim Filmen sogenannter «Insides» gebrauchen müssen.
Damit meint Frank den Samenerguss in der Vagina der Frau und das anschliessende Auslaufen davon. Das eigentliche Sperma werde häufig von der Vagina zu schnell absorbiert. «Der Zuschauer möchte aber eben den Spermafluss sehen. So muss man manchmal einen Kompromiss finden.» Ein seltener Blick hinter die Kulissen, welcher hier gewährt wurde.
Das süsse Mädchen von nebenan
Mia May empfängt natürlich auch Freier. Im Badezimmer liegen frische Tücher und Zahnbürsten bereit sowie Visitenkarten. Auf einem Salontisch steht ein Glasdildo, neben dem Bett eine Papierrolle, rundherum sind Plüschtiere. Mit diesen lichtet sich die 22-Jährige gerne ab. Auch auf ihrem Profilbild auf Onlyfans hält sie in ihren Armen einen rosaroten Teddybären. Das süsse Mädchen von nebenan – ein Klischee, mit dem Mia May gerne spielt.
Findet sie das selbst nicht problematisch, weil sie damit das Bild einer Minderjährigen widerspiegelt? Mia May antwortet prompt: «Nein! Ich spiele keine Minderjährige. Es gibt Männer, die wünschen sich junge Frauen. Natürlich. Aber das bin ich. Ich bin süss – ich spiele das nicht.»
Vorgeprägte Meinungen, wer was in welchem Alter machen darf, sind in ihren Augen Klischees, welche die Lebensfreude ersticken. Als 12-Jährige habe man ihr häufig vorgeworfen, dass sie ein völlig unpassendes Vokabular nutzen würde, weil sie belesen war. «Jetzt, mit 22, sind es meine Niedlichkeiten, die nicht ins Bild einer Erwachsenen passen? Ich bin, wie ich bin», so Mia Mai. «Und so werde ich auch wahrgenommen. Authentisch.»
Allerdings, fügt sie ernst an, verstehe sie, worauf die Frage anspiele. Wenn einige wenige ihrer Gäste solch Fantasien hätten, sei es aber gut, wenn sie ihre Bedürfnisse bei ihr befriedigen könnten – «legal und gewaltfrei». Aber sie sei noch nie darauf angesprochen worden.
Einsam – und nicht nur schnellen Sex
Für Mia May ist es der Kontakt mit den verschiedenen Menschen, der sie an der Erotikbranche fasziniert. Klar, etwa die Hälfte aller Freier seien Männer, die an schnellem Sex interessiert seien. «Jeder Zweite jedoch sehnt sich schlicht nach Zweisamkeit, weil er sich einsam oder nicht gesehen fühlt.» Es sind Witwer, Autisten, Krebskranke, die den Weg zu Mia May finden. Begegnungen wie diese berühren sie.
«Alle Menschen haben sexuelle Bedürfnisse, nur haben nicht alle Zugang dazu. Sei es, weil sie den sozialen Kontakt nicht finden oder sie nicht dazu in der Lage sind. Als Sexarbeiterin bin ich für sie da.»
Bald 14’000 Kontakte auf dem Handy
Das Kontaktbuch von ihrem Arbeitshandy ist voll – bald sind es 14’000 Namen. Rund drei bis vier Stunden verbringt Mia May täglich damit, um allen Interessenten, Abonnenten und Fans zurückzuschreiben.
Über die Website können Interessierte ein Treffen zum Stundentarif mit Mia May buchen. Täglich stellt sie neue Fotos und Video von sich in die sozialen Medien, regelmässig dreht sie Pornofilme und macht Livestreams. Ferien gibt es kaum.
Von der Familie akzeptiert
Angst vor Stigmatisierung, wenn Mia May womöglich der Erotikbranche einst den Rücken kehren möchte, hat sie nicht. «Meine Arbeit bereitet mir unglaublich viel Freude.» Auch schon habe sie gesagt, dass sie vielleicht mal Medizin studiere, wenn sie dann Lust habe auf «etwas Einfacheres». Sie lacht.
Auch ihre Familie hält zu ihr. «Als ich es meiner Mutter erzählte, dass ich definitiv in der Erotikbranche arbeiten möchte, griff sie nach meinen Händen und fragte: ‹Bist du glücklich? Dann bin ich es auch.›.» Und einer ihrer älteren Brüder leihe gerne mal den folierten Jeep aus.
Für Mia May ist ihr Beruf nicht nur eine Einnahmequelle, sondern ein bewusst gewählter Weg zur Selbstverwirklichung. Sie möchte zeigen, dass es Sexarbeit abseits der Klischees von Zwang und Kriminalität gibt. «Es ist Zeit, dass man uns als das sieht, was wir sind: selbstbestimmte Berufstätige.»
Isabelle Dahinden schreibt über Menschen, Beziehungen und das Leben. Nach ihrem Studium in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften schreibt sie seit Dezember 2017 als Gesellschaftsredaktorin für zentralplus. 2021 hat sie die MAZ-Diplomausbildung absolviert, seit August 2023 ist sie stellvertretende Redaktionsleiterin.