Maria Rast in Holland als Student Talent nominiert

Liebe machte Luzernerin zum Flüchtling

Will anpacken statt nur im Elfenbeinturm denken: Maria Charlotte Rast, hier im Café Luz in Luzern.

(Bild: hae)

23’000 Studierende gibt es an der Freien Universität Amsterdam. Und just die junge Maria Charlotte Rast aus dem luzernischen Hitzkirch wurde als «Student Talent» nominiert. Ihr Forschungsthema ist die Integration Geflüchteter. Sie kennt das aus eigener Anschauung, ist sie selber doch ein Flüchtling. Aus Liebe.

Sie ist eine Perfektionistin – dreimal sagt Maria Charlotte Rast das über sich während des eineinhalbstündigen Gesprächs. Und man staunt nicht mehr, dass dieser jungen Frau so ziemlich alles zu gelingen scheint: Ausbildung, Engagement, Karriere, Integration. Obendrein auch noch die Liebe. Einzig beim Spitzensport, da machte ihr eine bevorstehende Hüftarthrose mit 17 Jahren einen Strich durch die Ballett-Rechnung. «Na ja», sagt sie kurz. Und ihr Lächeln ist breit.

Dass sie nicht zur Berufsballetteuse wurde, ist im Rückblick vielleicht gar nicht so schlecht, denn durch ihre beiden Studien hat die 28 Jahre junge Luzernerin ihre Leidenschaft für Rechtssoziologie entdeckt. Passion, weil sie die fade Theorie in lebendige Praxis umsetzt.

Die Verbindung zu ihrer vorherigen Welt erhält sie aufrecht, indem sie zwei Tanzfreunden aus Zürich, die an den grossen Häusern Hollands Leadrollen erobern konnten, aus dem Zuschauerraum heraus zujubelt.

Eroberung der universitären Bühnen

Applaus erhält Maria Charlotte Rast auch so zur Genüge, nämlich auf den universitären Bühnen in den Niederlanden. Als Unitalent der Sozialwissenschaftlichen Fakultät und Nominierte für den «Studenten-Talent-Preis» der gesamten Universität durfte sie vor 1’000 Zuhörenden ihre Faszination für den ‹engaged scholarship› präsentieren. Sie sagt: «Ich will nicht aus dem Elfenbeinturm heraus Forschung betreiben und der Gesellschaft lediglich Daten entziehen. Ich möchte eng zusammenarbeiten mit gesellschaftlichen Partnern, etwas bewirken und der Gesellschaft somit etwas zurückgeben.»

Studium im hohen Norden: Maria Charlotte Rast am Meer ausserhalb Amsterdams.

Studium im hohen Norden: Maria Charlotte Rast am Meer ausserhalb Amsterdams.

(Bild: zvg)

Inzwischen wird Maria Charlotte Rast auch regelmässig angefragt, um auf wissenschaftlichen Kongressen, Symposien sowie literarischen Abenden eine Rede über ihre Erkenntnisse aus der Flüchtlingsforschung zu halten. Dank ihrem grossen Engagement wurde sie schliesslich eingeladen, um kommenden April zusammen mit dem Rektor ihrer Universität einem Symposium im königlichen Palast unter Anwesenheit von Königin Maxima beizuwohnen.

«Ich bin in Amsterdam selber auch eine Migrantin, die mit vielen unangenehmen Hürden zu kämpfen hat.»

Maria Charlotte Rast, Studentin aus Gelfingen

Doch wie kommt Maria Charlotte Rast zu dieser schweren Thematik, der Flüchtlingseingliederung? Sie erklärt bei einem Cappuccino: «Ich bin in Amsterdam doch selber auch eine Migrantin, die mit vielen unangenehmen Hürden zu kämpfen hat.» Das fängt an beim holländischen Frühstück und Mittagessen, welche beide nur aus trockenem Brot und einer Scheibe Käse oder Schinken bestehen. Und hört auf bei extra viel bürokratischem Papierkrieg, ob es um die Anmeldung an der Uni, um den Abschluss eines Telefonabonnements oder um die Eheschliessung geht.

«All dies gibt dir das Gefühl, dass du nicht wirklich dazugehörst. Und auf dem Arbeitsmarkt wartet schon grad gar niemand auf Ausländer wie mich. Als bescheidene Schweizerin, Ausländerin und Frau im kompetitiven Amsterdam habe ich gelernt, dass ich besser, lauter und beständiger sein muss als alle anderen, um hier ein Leben aufbauen zu können, in dem ich meine Talente nutzen kann.»

Aus ihren eigenen Erfahrungen des Auswanderns stammt auch ihre Motivation für die Flüchtlingsthematik. «Inzwischen habe ich die Aufmerksamkeit der Holländer, und diese will ich dazu nutzen, um mich für Menschen einzusetzen, deren Stimmen noch nicht gehört werden und deren Talente unentdeckt bleiben.» 

Dieses Ziel möchte sie erreichen als rechte Hand der angesehenen Dozentin Halleh Ghorashi, die von feministischen Magazinen zu einer der mächtigsten Frauen der Niederlande erkoren wurde. Halleh Ghorashi kam als Flüchtling aus dem Iran, biss sich als Aktivistin durch und ist heute anerkannte Professorin.

Vom lauschigen Gelfingen nach Amsterdam

Aufgewachsen ist Maria Charlotte Rast im lauschigen Gelfingen in der Gemeinde Hitzkirch am Baldeggersee, sie absolvierte die Kanti Seetal in Hochdorf, studierte Jura in Bern und schloss ihren Master in Law mit summa cum laude ab. Während ihres Jusstudiums lernte sie den Holländer Sjoerd (29) kennen. Nach einer drei Jahre dauernden Fernbeziehung konnte sie das letzte Jahr ihres Studiums als Erasmus-Austauschstudentin in Utrecht, Holland, verbringen und ist geblieben.

Im Sommer steht die Heirat an: Maria Charlotte Rast mit ihrem Partner Sjoerd.

Im Sommer steht die Heirat an: Maria Charlotte Rast mit ihrem Partner Sjoerd.

(Bild: zvg)

Schon früh interessierte sie sich für die Schicksale der Entrechteten und Geflüchteten: In Amsterdam absolvierte sie 2014 ein halbjähriges Praktikum bei der Menschenrechtsorganisation «Human Rights Watch». Sie stellte jedoch fest, dass ihr durch den Master im Schweizer Recht der Zugang zu vielen interessanten Jobs versperrt blieb. Deshalb entschied sie sich für ein zweites Studium: Auch Soziologie schloss sie mit der höchsten Auszeichnung ab und konnte während ihres Studiums als «Student Fellow» in der Abteilung Soziologie ihr Forschungsprojekt zustande bringen.

Migrantin an den Amsterdamer Grachten: Maria Charlotte Rast.

Migrantin an den Amsterdamer Grachten: Maria Charlotte Rast.

(Bild: zvg)

Seit Anfang Januar ist Maria Charlotte Rast Doktorandin an der Freien Universität in Amsterdam, unterrichtet Bachelor- und Masterstudenten und setzt ihre Forschung in der Flüchtlingsthematik fort. Inzwischen wohnt sie auch seit mehr als drei Jahren zusammen mit ihrem Freund Sjoerd, der in einer ähnlichen Branche Fuss gefasst hat: Er arbeitet als Forscher beim nationalen Berichterstatter für Menschenhandel. An ihrem achtjährigen Freundschaftsjubiläum, am 25. August, werden die zwei heiraten.

Asylwesen hindert die Integration

Maria Charlotte Rast setzt sich für Ausländer in Amsterdam nicht nur beim gemeinsamen Theaterspiel ein. Sie geht auch sonst über die Theorie hinaus und praktiziert partizipierende Forschung. Sie hilft, Sprachkurse, Gesprächsrunden und Essen zu organisieren, um den Austausch zwischen Einheimischen und Einwanderern zu ermöglichen und die Integration Geflüchteter zu fördern. Wie in etlichen anderen Ländern haben viele Amsterdamer die Integration Geflüchteter in eigene Hände genommen, weil die Leistungen des Staates nicht ausreichen oder nicht den Bedürfnissen der Asylsuchenden entsprechen.

«Traumas, sinkende Motivation und Gleichgültigkeit resultieren – der Graben zwischen Einheimischen und Geflüchteten wird so nur noch grösser.»

Bis vor ein paar Jahren noch war das Asylwesen in den Niederlanden geprägt durch unendlich lange Wartezeiten, Unsicherheit, Abwesenheit von sinnvoller Beschäftigung und Isolation von der Gesellschaft. Maria Charlotte Rast weiss: «Traumas, sinkende Motivation und Gleichgültigkeit resultieren daraus – der Graben zwischen Einheimischen und Geflüchteten wird so nur noch grösser.»

Kaum Langzeitperspektive und Entwicklungsmöglichkeiten

Inzwischen werde von Geflüchteten in Holland erwartet, dass sie so schnell wie möglich aktiv teilnehmen an der Gesellschaft. «In der Praxis heisst dies, dass ihnen Freiwilligenarbeit und marginale Arbeiten wie Putzen oder Lageristenjobs zugewiesen werden.» Diese Aufgaben stünden aber in keinem Zusammenhang mit der Ausbildung oder den Talenten der Geflüchteten.

Ausserdem böten solche Hilfsjobs meistens keine Langzeitperspektive und schon gar keine Entwicklungsmöglichkeiten, erklärt Maria Charlotte Rast. Darüber hinaus bleibe ihnen nebst diesen Arbeiten keine Zeit mehr für die Integration, das Lernen der Sprache und die Wiedererlangung ihrer Diplome. «Und schlussendlich wird ihnen noch die Schuld gegeben, sie seien faul und würden sich nicht integrieren.»

Integration mit Kultur: Maria Charlotte Rast (aussen rechts) ist Teil einer internationalen Theatergruppe.

Integration mit Kultur: Maria Charlotte Rast (aussen rechts) ist Teil einer internationalen Theatergruppe.

(Bild: zvg)

Genau diese Diskrepanz zwischen Leistungen und Bedürfnissen rund um die Integration ist das Forschungsobjekt von Maria Charlotte Rast. Was hat die Jungforscherin für Rezepte aus der Misere? Um Leistungen und Bedürfnisse besser miteinander zu verbinden, baut sie zusammen mit ihrer Professorin Halleh Ghorashi und anderen Mitgliedern ihrer Forschungsgruppe eine «Refugee Academy» auf, in der die Wissenschaftler den Austausch zwischen Geflüchteten, Solidaritätsgruppen und politischen Entscheidungsträgern ermöglichen und begleiten. «Wir wollen in Zusammenarbeit mit relevanten Parteien neue Ansätze zur Integration und Inklusion entwickeln, die funktionieren. Wir wollen anpacken», sagt sie.

Fahrende-Wurzeln

Und kurz vor dem Verabschieden schiebt sie noch nach: «Das Gerücht geht um, dass unsere Familie ihre Wurzeln bei den Fahrenden und Zigeunern hat: Meine Grossmutter ist eine Rouiller, das heisst auf Französisch so viel wie rollend …»

 

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