Zum 1. August: Von Patrioten und Hassenden

Liebe Linke: Wie fest hasst ihr die Schweiz?

«Ich hasse die Schweiz überhaupt nicht», sagt Anna Spescha. Dafür habe sie auch einen Beweis. (Bild: zvg)

Die Junge SVP wünscht sich zum 1. August ein Facebook, das voller Schweizer Flaggen erstrahlt. Damit könne man es den Linken, «die unser Land hassen», so richtig zeigen. zentral+ hat nachgefragt. Wie steht es um das Verhältnis der Linken zum Vaterland wirklich?

Da schiesst einem bei der Frühstückslektüre doch glatt die Ovi aus der Nase. «Dass die Linken die Schweiz und ihre Traditionen hassen, ist nichts Neues», sagt da Anian Liebrand im «Blick». Wir sind schockiert. Die Linken! Dürfen die das? Wir wollen zu unser aller Sicherheit wissen, wie fest die Zuger und Luzerner Linken die Schweiz und ihre Traditionen tatsächlich hassen.

Billig

«Das ist jetzt aber ziemlich billig», amüsiert sich der Grüne Luzerner Stadtrat Adrian Borgula. «Ich mag die Leute und die Landschaft sehr gerne, aber ich überhöhe die Schweiz nicht.» Denn genau diese Überhöhung und die Nationalismen seien das, was immer wieder zu schweren Konflikten, Ab- und Ausgrenzung, Egoismen und Rosinenpickerei führen könne. «Wir sind nicht besser als der Rest der Welt.»

Er mache auch das Wort «Heimat» nicht am Land fest. «Meine Heimat kann das Quartier sein, die Stadt, die Region, das Land, Europa oder die Welt, es kann aber auch Musik sein.» Er fixiere das nicht an Grenzen. «Und wenn ich eine Tradition nicht so toll finde, dann sind das die Böller am 1. August. Aber auch damit muss man wohl leben», sagt Borgula und lacht. Aber ist er denn jetzt ein Patriot? Borgula sagt: «Ich bin Demokrat.»

Anmassend

Wir sind enttäuscht. Denn Hass klingt anders. Wir fragen den alternativen Zuger Kantonsrat Stefan Gisler, vielleicht finden wir bei ihm die dunkle Seite: Herr Gisler, wie fest hassen Sie die Schweiz und ihre Traditionen? Gisler stockt. «Ich finde es anmassend, wenn Vertreter der SVP glauben, nur sie dürfen definieren, was Schweizer Traditionen und Heimatliebe sind. Unsere Kultur ist vielfältig», sagt Gisler.

«Ich bin überzeugt, dass Anian Liebrand das auch noch lernt.»
Stefan Gisler, ALG-Kantonsrat

Und dann holt er aus: «Linke und Grüne vertreten die Verbundenheit mit der Heimat und der Natur in Zug viel stärker als die SVP. Diese nimmt mit ihrer Steuerpolitik in Kauf, dass schöne Landschaft, lebendiges Quartierleben, historische Häuser – letztlich die Heimat – dem Profit geopfert werden.»

Das klingt leider nicht mal ansatzweise hasserfüllt. Herr Gisler, wenn schon kein Hass da ist, macht Sie Liebrands Äusserung nicht wenigstens wütend? «Nein. Ich pflege eine Tradition des Zuhörens, schätze die Meinungsfreiheit in der Schweiz», sagt Gisler. «Und ich bin überzeugt, dass Anian Liebrand das auch noch lernt.»

Angenehm

Wir machen uns weiter auf die Suche nach dem linken Hass auf die Schweiz. Allerdings stossen wir bei Andreas Lustenberger auf einen schwierigen Verhörgast. Der alternative Kantonsrat ist viel zu entspannt, um auch nur einen Funken Hass für uns aufzubringen. «Ich bin gerade im Nationalpark im Engadin», sagt er am Telefon, «und schnetzle Auberginen fürs WWF-Lager.» Hass auf die Schweiz? «Wie gesagt, bin im Nationalpark», sagt Lustenberger und lacht, «das zählt ja wohl als Beweis für meine Zuneigung zur Schweiz. Ich finde die Schweiz sehr angenehm als Lebensmittelpunkt. Einige Entscheide würde ich wohl anders fällen, aber das wars dann auch.»

Der Beweis: Andreas Lustenberger ist tatsächlich im Nationalpark. «National», betont Lustenberger.

Der Beweis: Andreas Lustenberger ist tatsächlich im Nationalpark. «National», betont Lustenberger.

(Bild: zvg)

Wenigstens die Zuger Juso-Co-Präsidentin Anna Spescha reagiert ein wenig aufgebracht: «Ich hasse die Schweiz überhaupt nicht», ruft sie aus. Und sagt: «Es ist aber klar, dass die SVP schon lange glaubt, dass die Linke das Land kaputtmache. Der Beweis dafür, dass das Gegenteil der Fall ist, sind all die Dinge, die die Linke aufgebaut hat – die AHV zum Beispiel.»

Schwachsinn

Marco Müller, Präsident der Grünen Stadt Luzern, gibt auch aus: «Was Anian Liebrand sagt, ist einmal mehr absoluter Schwachsinn! Ich persönlich liebe die Schweiz, Luzern und das Entlebuch, wo meine Wurzeln liegen. Dazu gehören die Natur, die Kultur und die Menschen.» Traditionen seien ihm wichtig. Er freue sich auch auf den 1. August, lade Freunde zum Grillieren ein und zünde Feuerwerkskörper. «Wenn die Fussballnati an der EM oder der WM spielt, trage ich auch mal ein T-Shirt mit Schweizerkreuz.»

Wir sind schockiert. Dass sich Müllers Aussagen in diese Richtung bewegen, entspricht überhaupt nicht dem, was wir erwartet hatten. Gibt es denn nichts, das er an der Schweiz hasst? «Gewisse Traditionen sind mir nicht so wichtig, so zum Beispiel der Besuch des Rütlis, religiöse Feiertage, das Singen der Schweizerhymne oder irgendwelche Kriegsgedenken.»

«Ich sage auch nicht, alle in der SVP sind Rassisten, hören Jodelmusik oder sind Bauern.»
Marco Müller, Parteipräsident Grüne Stadt Luzern

«Aber es gibt nichts an unserem Land, das ich hasse. Ich finde sicher nicht alles toll. Dass die Schweiz beispielsweise den Export von Kriegsmaterial in andere Länder lockern will, finde ich total daneben, ich schäme mich dafür. Auch bin ich gar nicht stolz, dass die Schweiz in Sachen Gleichstellung von Schwulen und Lesben nicht weiter ist, sondern vielen europäischen Ländern hinterherhinkt.»
 
Aber alle Linken in einen Topf zu werfen, greife hier zu kurz. «Ich sage auch nicht, alle in der SVP sind Rassisten, hören Jodelmusik oder sind Bauern.»

Kein Stolz

SP-Kantonsrat David Roth ist im Urlaub und antwortet wohl deshalb ebenfalls ganz entspannt: «Die Linken bauen ihr Selbstbewusstsein und Selbstverständnis nicht auf dem Nationalismus auf. Wir sind stolz auf die Solidarität in unserem Land, die sich beispielsweise in der Alters- und Invalidenversicherung ausdrückt, oder auf Institutionen wie das Rote Kreuz, das die humanitäre Tradition in die Welt hinausträgt.» Hat Roth nicht vielleicht doch einen kleinen Seitenhieb parat? «Leute wie Liebrand können auf die eigenen Taten nicht stolz sein, deshalb bemühen sie sich in der Verklärung der Vergangenheit.»

Wir hätten gerne jemanden von links gefunden, der ehrlich zu seinem Schweiz-Hass steht. Jetzt wissen wir immer noch nicht, wer hier wie fest unser Land verabscheut. Wir wenden uns deshalb hiermit an Herrn Liebrand: Bitte sagen Sie uns doch, wer die echten Hasser sind.

Will, dass man sich auf seiner Website mit der Nationalflagge «verschweizert» – Oton Website. Ist das ein Vorschlag für beschleunigte Einbürgerungen?

Will, dass man sich auf seiner Website mit der Nationalflagge «verschweizert» – Oton Website. Ist das ein Vorschlag für beschleunigte Einbürgerungen?

(Bild: zvg)

Etwas frech

Franz Grüter, Präsident der SVP Luzern, sagt zum Ganzen: Die Mutterpartei sei mit solchen Aussagen eher zurückhaltend, doch die Jugend dürfe natürlich auch frecher sein. «Das Wort Hass hätte ich jetzt nicht in den Mund genommen, aber es ist sicher so, dass sie nicht so hinter unserem Land stehen, wie wir das tun.»

Grüter wird sein Profilbild ebenfalls mit der Nationalflagge einfärben, sagt er: «Ich finde es eine schöne und kreative Idee.»

Andere halten die Idee auf andere Weise für nützlich – wie sie auf Twitter kundtun (siehe unten).

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Michael Beglinger
    Michael Beglinger, 07.09.2015, 13:19 Uhr

    In der politischen Diskussion wird heute gerade vom rechtsbürgerlichen Lager das Vaterland bemüht und dessen Achtung und Liebe eingefordert. Ein Aspekt solcher „Vaterlandsliebe“ fusst auf der historisch-kulturellen Verbundenheit zu einem Land, primär dem Geburtsland. Diese Beziehung beruht auf einem zufälligen Element. Denn die Geburt in einem bestimmten Kontinent, Land und Ort hat sich keiner ausgesucht, auch nicht der als „Wirtschaftsflüchtling“ abgestempelte Mensch oder die Anwältin in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei. Doch die historisch-kulturelle Verbundenheit zu einem Land ist keine feste Konstante; vielmehr muss sie sichtbar gemacht, erlernt und gelebt werden. Das setzt selbstverständlich eine angemessen dotierte archäologische, historische, ethnologische und soziologische Forschung sowie die entsprechende Lehre voraus. Dazu braucht es aber Politikerinnen und Politiker mit einem patriotischen Ethos, die sich nachhaltig für die entsprechenden staatlichen Institutionen in Bildung, Erziehung und Kultur einsetzen, gerade auch im Interesse künftiger Generationen.

    „Vaterlandsliebe“ bedeutet aber auch „Verfassungspatriotismus“, das heisst das positive Bekenntnis zu der unveräußerlichen Menschenwürde und den davon abgeleiteten Menschenrechten, die universale Geltung beanspruchen. Einer schweizerischen Verfassungspatriotin und einem schweizerischer Verfassungspatrioten verbietet es sich daher, gegen Ausländerinnen und Ausländer zu hetzen, ganze Gruppen als „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu brandmarken und für eine „drastische Verschärfung“ oder gar „Abschaffung“ des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Asyl zu plädieren.

    Patriotinnen und Patrioten werden heute vor allem von rechtsbürgerlichen Kreisen oft auch verächtlich als „Gutmenschen“ abqualifiziert, obwohl gerade sie es sind, welche die bewährten Errungenschaften dieses Landes pflegen und weiter entwickeln wollen. Leider gehörten dem National- und Ständerat viel zu wenige Patriotinnen und Patrioten an. Entsprechend wurde häufig vergessen, dass „die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“, wie es in der Präambel der Schweizerischen Bundesverfassung so treffend formuliert ist. Ich wähle deshalb bei der National- und Ständeratswahl vom 18. Oktober 2015 die Kandidatinnen und Kandidaten der SP des Kantons Zug. Sie vertreten die Anliegen der sozialen Demokratie, des Rechtsstaates und der Kultur glaubwürdig und konsequent, dies übrigens gerade auch im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung des „Wirtschaftsstandortes“ Zug.

    Dr. Michael Beglinger LL.M., Zug

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