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Simon Infanger begann mit dem Velopendeln – heute hat er über 100’000 Kilometer auf dem Tacho. Vom Nordkap bis zum brutalsten Rennen Europas: warum er sich solchen Herausforderungen gestellt hat – und warum ihn das Velo nie ganz loslassen wird.
Es ist ein kühler Februarnachmittag in Horw, viele Velofahrer dürfte die Kälte davon abhalten, aufs Velo zu steigen. Nicht so Simon Infanger, der gleich mit drei Velos angereist ist. Auf einem ist er gefahren, auf dem Anhänger hat er zwei andere Velos aufgeladen. In wenigen Stunden wird Infanger einen Vortrag über seine Erfahrung auf zwei Rädern halten – deshalb hat er auch seine drei Velos mitgebracht. Erfahrung auf dem Velo hat er allemal: Über 100’000 Kilometer ist er bereits gefahren, sein 24-Stunden-Rekord beträgt 501 Kilometer.
Vom Pendler zum Extrem-Velofahrer
Wer glaubt, der 38-Jährige sei auf zwei Rädern geboren, der täuscht sich. Der Grund für die Faszination ist nämlich ein pragmatischer: «In der Stadt kommt man mit dem Velo einfach vorwärts», erklärt er im Gespräch mit zentralplus. Deshalb sei er jeweils mit dem Velo von Kriens nach Luzern zur Arbeit gependelt.
«Ich wollte mal etwas machen, das mich fordert.»
Simon Infanger
Irgendwann habe er entdeckt, dass man auch weitere Distanzen fahren könne. Zuerst nach Sursee, dann pendelte er täglich mit dem Velo von Luzern in den Kanton Zug. Später entschied er sich, mit dem Velo von Luzern ans Nordkap zu fahren, in lediglich 28 Tagen. Dies entspricht durchschnittlich 178 Kilometern pro Tag.
Wieso er sich das angetan hat? «Ich wollte mal etwas machen, das mich fordert», sagt Infanger lapidar. Doch es gab einen zweiten, einfachen Grund: Sein Arbeitgeber gewährte ihm nicht mehr als 28 Tage Ferien. Dass die Karriere als Extrem-Velofahrer zufällig entstanden ist, erkannte Infanger erst später, als er seine Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben hat, das 2017 erschienen ist. Der Titel: «Wie ich aus Versehen Extremsportler wurde».
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Simon Infanger radelte 4000 Kilometer quer durch Europa
Die Reise ans Nordkap fand im Jahr 2013 statt. Infanger sammelte während dieser Zeit Spendengelder, diverse Schweizer Medien berichteten über ihn. Einen Leser schien die Expedition Infangers ans Nordkap in 28 Tagen jedoch nicht beeindruckt zu haben. Er schrieb Infanger folgende Nachricht: «Cool, was du machst. Aber es gibt ein Rennen, wo man dieselbe Distanz in der halben Zeit macht.»
Infanger ignorierte es anfänglich. Vielmehr überlegte er sich, an Ironman-Wettkämpfen teilzunehmen. «Ich musste mir aber eingestehen: Ich bin ein schlechter Schwimmer und jogge nicht gerne. Dann ergibt die Teilnahme an einem Ironman wenig Sinn», sagt der Luzerner und lacht.
«Drei zähnefletschende Rottweiler haben mich nach Einbruch der Dunkelheit irgendwo in Osteuropa verfolgt. Ich hatte noch nie in meinem Leben so Angst.»
Simon Infanger
Daher kam er auf den Leser zurück, der ihm nach seiner Nordkap-Reise die ultimative Challenge vorgeschlagen hat. Es handelt sich um das Transcontinental Race, ein 4000 Kilometer langes, jährlich stattfindendes Ultradistanz-Rennen quer durch Europa, bei dem sich die Fahrer selbst versorgen müssen. Heisst: Es gibt keinen Servicemann, keine fixe Routenplanung. Die Fahrer müssen lediglich definierte Kontrollpunkte passieren. Nur rund 300 Personen machen jährlich bei diesem Rennen mit.
«Das verrückteste Radrennen der Welt», schrieb das deutsche ZDF einmal. Infanger stimmt dem zu: «Das Rennen war brutal anstrengend.» Insbesondere, weil er sich um alles selbst kümmern musste.
Angst, Abenteuer und Adrenalin
Seine damalige Partnerin war schwanger. Deswegen wollte er unnötige Risiken vermeiden. «Wir haben abgemacht, dass ich nie früher als eine Stunde vor Sonnenaufgang losfahre und dass ich eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit vom Sattel steige.»
Besonders in Osteuropa war die Reise gefährlich. Ein Fahrer ist bei der Ausgabe 2017 bei einem Unfall gar verstorben. «In Bulgarien und Osteuropa fährt kaum einer Velo, viele Autofahrer rechnen also schlicht nicht mit dir», sagt Infanger. Dies kreiere gefährliche Situationen. «Ich würde heute nicht mehr teilnehmen», sagt er rückblickend.
Eine Situation in Osteuropa bleibt dem Luzerner ganz speziell in Erinnerung. «Drei zähnefletschende Rottweiler haben mich nach Einbruch der Dunkelheit irgendwo in Osteuropa verfolgt. Ich hatte noch nie in meinem Leben so Angst. Ich bin ihnen davongefahren und dabei voll bei Rot über eine Kreuzung. Das habe ich erst im Nachhinein gemerkt.»
Begegnungen, die bleiben
Was Infanger von seiner Zeit als Extrem-Velofahrer in Erinnerung bleibt? «Viele absurde Situationen.» Er liefert gleich ein Beispiel: «Während des Transcontinental Race musste ich irgendwo in Italien in eine Apotheke. Dabei bin ich einem anderen Teilnehmer begegnet, den ich zuletzt in Belgien gesehen hatte. Wir lachten einfach und kriegten uns nicht mehr ein, ein richtiger Lachanfall. Wahrscheinlich waren wir beide einfach so übermüdet. Die Apothekerin schaute ganz verdutzt, sie verstand gar nichts.»
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Vom Extremsportler zum Familienvater – das Velo bleibt
Heute nimmt Infanger nicht mehr an Extremrennen teil. Er arbeitet Vollzeit im Marketing und ist mittlerweile dreifacher Familienvater. Das Velo begleitet ihn aber immer noch. Etwa organisierte er zusammen mit anderen Mitgliedern von Pro Velo Luzern dieses Jahr das Velo-Lilu, einen Umzug auf geschmückten Velos im Rahmen des Luzerner Lichtfestivals. Oder auch die «Kidical Mass», bei welcher Hunderte Kinder mit ihren Eltern quer durch die Stadt fahren.
Infanger fährt aber auch immer noch leidenschaftlich Velo. Im vergangenen Jahr ist er etwa innerhalb eines Tages 500 Kilometer Velo gefahren, nur um auf der neuen Achterbahn im Europapark zu sein. Kurz darauf hatte er einen Vortrag vor rund 500 Lehrabsolventen. «Ich wollte ihnen etwas Cooles zeigen, um sie zu motivieren, ihre eigenen Träume zu verfolgen.»
- Persönliches Gespräch mit Simon Infanger
- Beitrag des ZDF
- Website von Simon Infanger
- Website von Transcontinental Race
- Informationen zum Transcontinental Race von Wikipedia