Von fünf auf acht unter einem Dach

So lebt Luzerner Familie mit ukrainischen Flüchtlingen

Für die private Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge hat Elias Meier sein Büro geräumt. (Bild: zvg)

Die Schweiz bereitet sich auf eine Flüchtlingswelle vor. Dabei setzen Bund und Kantone auch auf die Mithilfe von Privatpersonen, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. Der Luzerner Elias Meier hat rasch reagiert – und erzählt von seiner Erfahrung mit Yuliya und ihren zwei Söhnen.

Die Schweiz begrüsst ukrainische Flüchtlinge mit offenen Armen – und offenen Haustüren. Innerhalb einer Woche konnte die Schweizer Kampagnenorganisation Campax über 40’000 Betten für ukrainische Flüchtlinge bei Privaten organisieren.

Einer, der sich bei Campax zur Aufnahme bereiterklärt hat, ist Elias Meier. Er wohnt mit seiner Frau und den drei Kindern in einer Fünfzimmerwohnung in Oberkirch bei Sursee. Seit rund einer Woche sind sie zu acht. Ihre neuen Mitbewohner sind die Ukrainerin Yuliya und ihre zwei Söhne, acht- und dreijährig.

Spontan und durch Zufall privat aufgenommen

Wie es dazu kam? Laut Elias Meier durch eine gehörige Prise Zufall und Spontanität. Bereits früh entschied er sich dazu, Flüchtlinge aufzunehmen. «Wir haben in der Tagesschau die prekäre Situation in der Ukraine gesehen und wollten auch einen Teil beitragen.» Deshalb habe er sich bei Campax angemeldet.

Trotzdem kam es letztlich etwas anders. Via Facebook-Gruppe kam er in Kontakt mit einer ukrainischen Mutter, die einen Platz für sich und ihre beiden Kinder suchte. Wiederum per Zufall habe er den Twitter-Post von Luis Martinez gesehen. Er ist von der Schweiz an die polnisch-ukrainische Grenze gefahren, um Hilfsgüter zu bringen und Schutzsuchende mit zurück in die Schweiz zu nehmen. Letzteres jedoch ohne Erfolg.

«Ich habe ihn dann angeschrieben und gefragt, ob er noch in Polen ist, damit er Yuliya holen könnte.» Martinez war zwar bereits auf halbem Weg zurück, machte aber kehrt und holte die Ukrainerin und ihre zwei Söhne. Ihr Mann konnte nicht mit, unter anderem, da erwachsene Männer nicht mehr so einfach ausreisen können.

Unterkunft mit unbestimmter Dauer

Inzwischen wohnt das Trio bei Meiers Familie im ehemaligen Büro. Wie lange sie in Oberkirch bleiben wird, ist unbestimmt. «Für uns ist klar, dass sie hier so lange bleiben können, wie es nötig ist. Wir haben uns von Anfang an auf mehrere Monate und nicht nur ein paar Wochen eingestellt», sagt der 31-Jährige. Das rate er auch allen, die sich selbst überlegen, privat Flüchtlinge aufzunehmen.

Das hat für ihn unter anderem auch psychologische Gründe: «Sie wurden von heute auf morgen aus ihrer Heimat entwurzelt. Deshalb ist es nun umso wichtiger, ihnen einen Ort zu bieten, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit bietet.» Trotzdem würden viele Ukrainerinnen so schnell wie möglich zurückwollen.

Zuerst wollte das auch Yuliya. Da die 38-Jährige inzwischen realisiert hat, dass eine baldige Rückkehr wohl nicht möglich ist, haben sich ihre Pläne aber geändert. Nun habe sie sich zum Ziel gesetzt, möglichst früh einen Job zu finden und bald wieder selbstständig zu sein.

Unterstützung von Behörden braucht noch Zeit

Da Elias Meier relativ früh Flüchtlinge aufgenommen hat, musste er sich sehr viele Informationen selbst zusammenklauben. Für den speziellen Asylstatus S müssen ukrainische Flüchtlinge in einem der sechs Bundesasylzentren registriert werden. Wegen des derzeitigen Andrangs haben sie jedoch nur wenig Kapazität. «Im Moment werden erst Flüchtende registriert, die in einem Bundesasylzentrum unterkommen. Unsere Fahrt zum Bundesasylzentrum Bern war deshalb erfolglos und man schickte uns wieder nach Hause ohne Yuliya und die Kinder zu registrieren.»

Yuliya lebt noch mit dem 90-Tage-Schengen-Visum hier. «Wir versuchen aber, sie baldmöglichst zu registrieren, damit sie eine Krankenversicherung sowie weitere Unterstützungsleistungen erhalten.»

«Yuliya ist mit ihrem restlichen Hab und Gut und zwei Kindern ins Auto eines fremden Mannes gestiegen. Sie wusste nicht genau, wohin es geht.»

Auch die Organisation der Verantwortung sei eher kompliziert. Wenn Ukrainer im Bundesasylzentrum ankommen, sei der Bund verantwortlich. Bei privater Unterbringung hingegen die Privaten selbst sowie in gewissen Bereichen die Gemeinde. «Es stehen immer noch viele Behördengänge an und es gibt noch viele Fragezeichen», erzählt Meier. So zum Beispiel, wie die finanzielle Unterstützung der privat untergebrachten Geflüchteten aussehen wird und wann diese zustande kommt (zentralplus berichtete).

Es habe auch noch kein Amt Kontakt mit ihnen aufgenommen. Trotzdem konnte er schon einiges organisieren. Der achtjährige Sohn wird ab nächster Woche die Schule in Oberkirch besuchen.

Sprachliche Barrieren werden zur Herausforderung

Doch es bleiben gewisse Herausforderungen. So zum Beispiel die Kommunikation. Yuliya könne zwar gut Englisch, «doch es ist vermutlich schwer zu sagen, wie es einem wirklich geht, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht», glaubt Elias Meier. Noch schwerer hätten es seine Eltern, die ebenfalls eine ukrainische Familie bei sich in Nottwil aufgenommen haben. Denn diese könne praktisch kein Englisch.

Die Meiers und Yuliya machen oft gemeinsame Ausflüge zum Spielplatz. (Bild: zvg)

Weiterhin bleiben für Yuliya sehr viele Fragen offen. Wie einfach ist es, eine Stelle zu finden? Wie lange dauert es, bis sie allenfalls in die Ukraine zurückkann? Für die psychologische Betreuung sei man bei einer Privatunterbringung auf sich allein gestellt. «Yuliya hat einen Universitätsabschluss in Psychologie. Sie und die Kinder sind relativ früh aus der Ukraine ausgereist. Ob sie psychologische Hilfe für sich oder die Kinder in Anspruch nehmen will, überlasse ich ihr», sagt Meier.

Bis dahin habe er Kontakt mit der gemeindlichen Begleitgruppe Migration aufgenommen und ihr auch Bezugspersonen ausserhalb seiner Familie organisiert. «So hat sie jemanden zum Treffen, für gemeinsame Ausflüge zum Spielplatz mit den Kindern sowie zum Reden, auch falls für sie etwas bei uns zu Hause nicht stimmen sollte.» Ebenso habe er ihr auch schnellstmöglich eine SIM-Karte organisiert. Oft telefoniere sie mit ihrem in der Ukraine gebliebenen Mann.

Fahrt ins Ungewisse

Zwar ist die Bereitschaft zur privaten Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen in der Schweiz hoch. Doch die Vorstellung, eine wildfremde Person im eigenen Haus zu haben, behagt nicht allen. Für Elias Meier war das nie ein Thema: «Ich habe mir das eher andersherum überlegt. Yuliya ist mit ihrem restlichen Hab und Gut und zwei Kindern ins Auto eines fremden Mannes gestiegen. Sie wusste nicht genau, wohin es geht. Und wusste auch nicht, was das für Leute sein werden, bei denen sie nun unterkommt.» Auf der Fahrt hierhin sei sie wie auf Nadeln gesessen und habe in 72 Stunden nur zwei bis drei Stunden geschlafen. «Yuliya ist eine bewundernswert mutige und starke Frau.»

Die Familie Meier hat sich inzwischen an die neuen Mitbewohner gewöhnt. «Klar ist es eine Herausforderung, zu acht auf engem Raum zu leben», räumt er ein. «Wir wussten aber, worauf wir uns einlassen. Bei all dem Erlebten, den Unterschieden in Kultur, im Tagesrhythmus und den Essgewohnheiten ist beispielsweise ein Streit unter den Kindern nur ein kleines Übel.»

Alles in allem sei die Aufnahme eine positive Erfahrung. «Es tut gut, anderen Menschen helfen zu können.» Da nehme man auch gewisse Einschränkungen im Alltag in Kauf. Zum Beispiel im Hinblick auf die Kinder. «So können wir ihnen unsere Werte weitergeben. Wenn man helfen kann, soll man das auch tun.»

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