Longevity zum Luxuspreis – wer kann sich das leisten?
Valentina Bänninger und Michael Appenzeller haben gemeinsam zwei Unternehmen gegründet. (Bild: zvg)
Gesund bleiben statt krank werden: Das verspricht das Baarer Longevity-Startup 121.000. Doch: Ist das nur ein Angebot für Privilegierte – und droht hier eine neue Spielart der Selbstoptimierung?
Wer länger lebt, lebt besser? Die Longevity-Bewegung verspricht ein gesünderes, längeres Leben – mit Ernährungstipps, Hightech-Analysen und personalisierten Programmen. In den USA ist daraus ein Milliardenmarkt entstanden, in der Schweiz steckt das Thema noch in den Kinderschuhen. Doch auch hierzulande wächst die Nachfrage – bei jenen, die es sich leisten können.
Auch Valentina Bänninger und Michael Appenzeller leben ein möglichst gesundes Leben (zentralplus berichtete). In Baar setzen sie mit ihrer Firma 121.000 auf einen datengetriebenen Ansatz. Doch gesund bleiben kostet – und bringt neue Fragen mit sich.
Im Interview sprechen die Dermatologin und der Unternehmer über ihr Konzept, über Motivation statt Dogma – und darüber, wie viel Langlebigkeit kosten darf.
Weiterlesen, sonst verpasst du:
wie Bänninger und Appenzeller bei 121.000 objektiv Erfolge messen wollen
wie teuer ein Longevity-Programm ist
was sie auf die Kritik von der Wirkung von Supplements erwidern
zentralplus: Valentina Bänninger und Michael Appenzeller, was ist die zentrale Idee hinter 121.000 – dass die Leute 121 Jahre alt werden oder dass sie möglichst lange und gesund leben?
Michael Appenzeller: Letzteres. 121.000 steht zwar für das Überschreiten der maximalen Lebenserwartung von 120 Jahren. Aber wir können natürlich nicht programmieren, wie alt jemand wird. Unser Ziel ist es, unsere Klientinnen und Klienten auf ihrem Weg zu unterstützen. Wir begleiten sie – mit Beratung, Diagnostik und Programmen.
Valentina Bänninger: Wir wollen ein seriöses Angebot anbieten – eine Evaluation vom Status quo und mit Festlegen von zwei individuellen Fokusthemen, auf die sich die Klientin oder der Klient im Alltag fokussieren kann. Longevity hat viele unseriöse Anbieter auf den Plan gerufen, mit Versprechen eines ewigen Lebens. Doch schnelle Lösungen gibt es nicht. In unseren Angeboten orientieren wir uns an den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und arbeiten mit umfassenden Tests. Die Tests sind reproduzierbar und basieren auf Vergleichspopulationen.
zentralplus: Warum ist ein möglichst langes Leben per se erstrebenswert?
Appenzeller: Unser Gesundheitssystem konzentriert sich auf die Behandlung von Krankheiten statt auf Prävention. Wer den Alterungsprozess verlangsamt, wirkt vielen chronischen Leiden präventiv entgegen. Dafür kann jeder etwas tun mit Ernährung, Bewegung und einem gesunden Lebensstil.
zentralplus: Wie wissenschaftlich fundiert sind Ihre Empfehlungen, etwa bei den Supplements?
Bänninger: Unser Supplementprogramm haben wir selbst entwickelt – geleitet von einer Ernährungswissenschaftlerin, die früher unter anderem an der Universität Harvard geforscht hat. Gemeinsam mit einem medizinischen Team hat sie auf Basis aktueller Studien ein Programm entwickelt. Viele im Internet angebotene DNA-Tests sind wissenschaftlich fragwürdig – wir hingegen nutzen einen patentierten Test. Dieser hat sich gegen andere, welche wir evaluiert haben, durchgesetzt.
zentralplus: Supplements stehen immer wieder in der Kritik. Manche basieren auf wissenschaftlichen Ansätzen, anderen fehlt jegliche Evidenz. Was können sie wirklich leisten?
Bänninger: Die Kritik an Supplements ist berechtigt. Der Markt ist unübersichtlich und nicht alle Produkte halten, was sie versprechen. Wir setzen wir auf einen konsequent wissenschaftlichen Ansatz: Unsere Supplement-Empfehlungen basieren auf aktuellen Studien, Biomarker-Daten und einem individualisierten Verständnis von Gesundheit und Langlebigkeit. Was Supplements leisten können? Richtig eingesetzt sind sie ein effektives Werkzeug zur Optimierung von Zellgesundheit, Energielevel, Entzündungswerten und vielen anderen gesundheitsrelevanten Parametern. Aber: Wirkung entsteht nur dann, wenn Qualität, Dosierung und persönliche Bedürfnisse zusammenspielen.
zentralplus: Wie individuell sind Ihre Programme? Und berücksichtigen Sie dabei auch Dinge wie Genetik oder familiäre Risiken?
Appenzeller: Für jede Klientin und jeden Klient gibt es eine Gesundheitsanalyse. Dazu gehören eine ausführliche Anamnese – auch mit Blick auf familiäre Vorbelastungen – sowie die Analyse von Wearables-Daten, Körperzusammensetzung, Blutzuckerwerte und ein vollständiges Blutbild. Wir machen zusätzlich einen nutrigenetischen Test, bei dem wir genetische Faktoren analysieren, die zum Beispiel den Stoffwechsel oder das Risiko für bestimmte Erkrankungen beeinflussen können. Der epigenetische Test zeigt uns das biologische Alter und die Geschwindigkeit des Alterns. Auf dieser Datenbasis erstellen wir ein individualisiertes Programm und begleiten die Person über mehrere Monate.
zentralplus: Also unterzeichnen Sie einen Vertrag?
Appenzeller: Ja, wir unterzeichnen gemeinsam eine Vereinbarung. Das ist auch symbolisch gemeint – es signalisiert die Verbindlichkeit des Programms. Darin legen wir fest, wann wir Fortschritte gemeinsam analysieren und bei Bedarf Anpassungen vornehmen. In der Regel machen wir das nach sechs bis neun Monaten.
zentralplus: Und was kommt dann dabei raus?
Appenzeller: Am Ende verzeichnen alle Teilnehmenden eine messbare Verbesserung einzelner Werte. Zu einem Teil messen wir auch die Veränderungsbereitschaft, denn vieles hat auch mit Selbstdisziplin zu tun.
zentralplus: Wie objektiv lassen sich diese Erfolge überhaupt messen – und gibt es unabhängige Evaluationen Ihrer Programme?
Bänninger: Erfolg ist auf Datenbasis messbar. Wir arbeiten mit einem ganzheitlichen Biomarker-Tracking, das individuelle Fortschritte transparent macht: Von Entzündungswerten über Blutzuckerregulation bis hin zu epigenetischem Alter. Unsere Programme basieren nicht auf subjektivem Wohlbefinden allein, sondern auf validierten Messpunkten – vor, während und nach der Intervention.
zentralplus: Von welchen Kosten sprechen wir bei diesen Longevity-Programmen?
Appenzeller: Bei uns liegt der Einstiegspreis bei etwas über 2000 Franken – das langfristigste Programm liegt bei rund 7000 Franken. Darin enthalten sind mehrere Tests, Analysen und eine Begleitung über Monate – quasi im Aboformat. Die meisten entscheiden sich für ein Paket, das rund 4000 Franken kostet. Darin enthalten sind alle unsere Tests, ein personalisierter Langlebigkeitsplan und die laufende Begleitung während der Implementierung.
zentralplus: Kritikerinnen bemängeln, dass Longevity ein Luxusprodukt sei, das sich nur ein privilegierter Teil der Gesellschaft leisten könne.
Appenzeller: Ja, die Kosten sind zurzeit hoch. Die Diagnostik und Tests sind teuer. Allein ein grösseres Blutbild kostet in der Schweiz etwa 600 Franken. Hinzu kommt der individuelle Beratungsaufwand. Ob die Krankenkassen etwas übernehmen, muss im Einzelfall geklärt werden. Wir arbeiten daran, die Preise zu senken, etwa über Partnerschaften. Unser Ziel ist es, dass Longevity langfristig allen zugänglich wird.
zentralplus: Wer kommt momentan zu Ihnen?
Appenzeller: Einerseits Führungskräfte und Unternehmerinnen, die ihren Umgang mit Stress verbessern und ihre Leistungsfähigkeit erhalten wollen. Andererseits Menschen, die sich unwohl fühlen, oft nach gesundheitlichen Krisen oder Jahren mit ungünstigem Lebensstil. Die meisten sind zwischen 35 und 65 Jahre alt.
zentralplus: Wie verhindern Sie, dass Longevity zur rein egozentrischen Optimierung verkommt?
Bänninger: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir denken Longevity nicht als narzisstische Selbstoptimierung, sondern als Grundlage für ein sinnerfülltes, engagiertes Leben. Bei 121.000 geht es nicht darum, möglichst lange zu leben, sondern möglichst gut – mit Energie, mentaler Klarheit und sozialer Verbundenheit. Unsere Kunden sind häufig Menschen, die Verantwortung tragen – für Familien, Unternehmen oder gesellschaftliche Projekte. Länger gesund zu leben bedeutet, länger beitragen zu können. Mit unseren Programme wollen wir nicht nur die körperliche Langlebigkeit fördern, sondern auch Sinn, Achtsamkeit und Resilienz.
zentralplus: Wie sehen die Zukunft von Longevity – als kurzfristiger Hype oder echten Wandel?
Appenzeller: Wir sind überzeugt, dass mehr dahintersteckt als ein kurzfristiger Trend. Oft braucht es bei neuen Themen einen Hype, damit sich ein Markt entwickelt. Und es braucht eine Bereinigung, damit sich seriöse Anbieter durchsetzen. Longevity kann langfristig unser überlastetes Gesundheitssystem entlasten. Denn nur dann zu handeln, wenn etwas kaputt ist, ist einfach nicht nachhaltig.
zentralplus: Und wenn ich trotzdem lieber bei Prosecco und Pommes vor dem Fernseher alt werden will – bin ich dann ein schlechter Mensch?
Bänninger: Ganz im Gegenteil – wer bewusst geniesst, lebt oft sogar länger! Unsere Philosophie ist nicht dogmatisch. Es geht nicht darum, alles zu verbieten, sondern zu verstehen, was dem eigenen Körper guttut – und wie man Spielräume schafft, um beides zu leben: Gesundheit und Genuss. Longevity heisst für uns nicht Askese, sondern Freiheit. Wenn Pommes, Prosecco und Netflix zur Lebensfreude beitragen – grossartig. Wir helfen lediglich dabei, den biologischen Spielraum so zu erweitern, dass beides möglich ist: die kleinen Sünden und ein vitales, langes Leben. Und manchmal gönnen wir uns ein zu einer spannenden Netflix-Doku auch ein Glas Rotwein – bio natürlich! (Sie lacht.)
Isabelle Dahinden schreibt über Menschen, Beziehungen und das Leben. Nach ihrem Studium in Gesellschafts- und Kommunikationswissenschaften begann sie im Dezember 2017 als Praktikantin bei zentralplus. 2021 schloss sie die Diplomausbildung am MAZ ab, übernahm 2023 die stellvertretende Redaktionsleitung – und ist seit April 2025 Co-Redaktionsleiterin. Sie verantwortet das Ressort Gesellschaft.