Streitgespräch zur geplanten «Tourismusklausel»

Ladenöffnungszeiten: Vorpreschen des Stadtrats spaltet die Politik

Uneins über die geplante Tourismuszone: Christian Hochstrasser (Grüne) und Judith Wyrsch (Grünliberale).

(Bild: jwy)

Luzern will eine moderne Touristenstadt sein, hat aber mittelalterliche Ladenöffnungszeiten. Mit der «Tourismusklausel» will der Stadtrat in der Innenstadt nun die strikten Vorgaben umgehen. Das Vorgehen provoziert, wie auch unser Streitgespräch zeigt.

Die Ladenöffnungszeiten in Luzern entsprechen nicht mehr den Gewohnheiten der urbanen Bevölkerung. Wer am Samstag nach 16 Uhr noch ein Pack Spaghetti kaufen will, muss sich dafür in einen der wenigen offenen Tankstellen- oder Bahnhofshops drängen.

Der Luzerner Stadtrat will darum die Regeln lockern und die restriktiven kantonalen Vorgaben umgehen: Teile der Innenstadt sollen als Tourismuszone deklariert werden. Mit der Folge, dass nicht mehr nur Souvenirshops, sondern alle Warenhäuser, Boutiquen und Geschäfte innerhalb dieser Zone länger geöffnet haben können (zentralplus berichtete).

Wirtschaft, Tourismus und City-Vereinigung frohlocken. Auf der anderen Seite boykottieren Linke und Gewerkschaften geplante Gespräche über einen Pilotversuch und werfen der Stadtregierung einen «juristischen Schlungg» vor.

Wir haben zu diesem vergifteten Thema zwei Stadtparlamentarier an den Tisch gebeten – denn hier scheiden sich die grünen Geister:

Die Grünliberale Judith Wyrsch hat ein Postulat mitunterzeichnet, das den jetzigen Weg angestossen hat.

Der Grüne Christian Hochstrasser wehrt sich zwar nicht gegen moderate Anpassungen der Öffnungszeiten – kritisiert aber: So nicht!

Längere Öffnungszeiten ja, aber wie? Judith Wyrsch (GLP) und Christian Hochstrasser (Grüne) sind sich uneins.

Längere Öffnungszeiten Ja, aber wie? Judith Wyrsch (GLP) und Christian Hochstrasser (Grüne) sind sich uneins.

(Bild: ida)

zentralplus: Ärgern Sie sich auch, wenn sie abends oder am Sonntag neben Tausenden anderen im Bahnhof einkaufen müssen?

Christian Hochstrasser: Ich arbeite in einem reformierten Kanton und an Abenden vor Feiertagen stehe ich regelmässig überrascht vor einem geschlossenen Geschäft in Luzern. Ich bin zwar kritisch gegenüber einer völligen Liberalisierung, kaufe aber ab und zu im Bahnhof oder an einer Tankstelle ein.

Judith Wyrsch: Ich bin in solchen Momenten froh, dass es in Luzern überhaupt noch Läden gibt, die offen haben.

zentralplus: Dass Läden am Samstag um 16 Uhr schliessen, entspricht den heutigen Gewohnheiten nicht mehr – einverstanden?

Hochstrasser: Es kann ärgerlich sein, wenn man sieht, dass Geschäfte in Stans oder Küssnacht länger geöffnet haben. Aber es hat im Kanton Luzern mehrere Abstimmungen dazu gegeben und alle wurden abgelehnt. Sogar die Vorlage für eine massvolle Erweiterung – am Abend bis 19 Uhr und Samstag bis 17 Uhr – wurde abgelehnt. Ich habe damals zu den Befürwortern gehört. Ich bin aber Demokrat genug, dass ich das akzeptiere.

Wyrsch: Es gab im Kanton dreimal ein Nein, die erste Abstimmung war 2006 und es gab ein klares Nein. 2012 kam ein moderater Liberalisierungsversuch und die Stadt hat den Entwurf angenommen. Dann gab’s 2013 die sehr liberale Initiative der Jungfreisinnigen, die gar keine Chance hatte. Aber auch dort war die Zustimmung in städtischen Gebieten gross.

«Da zerschlägt man viel Geschirr, obwohl moderate Lösungen greifbar wären.»

Christian Hochstrasser, Grüne

zentralplus: Also ist es legitim, dass die Stadt eine eigene Lösung anstrebt?

Wyrsch: Absolut. Es kann nicht sein, dass der Kanton uns in so vielen Bereichen etwas vorschreibt. Es gibt in der Stadt einfach andere Bedürfnisse als auf dem Land.

Hochstrasser: Es geht nicht nur um den Willen der Stadt, die Ladenöffnungszeiten sind eine kantonale Angelegenheit. Wenn man das ändern will, muss man das kantonale Gesetz ändern. Es gibt ein Bedürfnis in der Stadt und ich bin für eine massvolle Lösung zu haben. Dazu laufen die Gespräche auf Kantonsebene und es bewegt sich offenbar etwas.

«Juristischer Schleichweg»: Christian Hochstrasser kritisiert den Stadtrat:

 

zentralplus: Wieso ist das für Sie ein «juristischer Schleichweg», wenn die Stadt ihre Grenzen auslotet? Ein Gutachten gibt ihr Recht.

Hochstrasser: Wie der Stadtrat vorgeht, ist für mich absolut unverständlich. Einerseits rechtlich, aber auch vom Prozess her. Dass gewisse Tourismusgeschäfte heute von der Touristenklausel Gebrauch machen, hat man akzeptiert. Die können heute schon am Sonntag bis 20 Uhr und am Abend bis 22.30 Uhr geöffnet haben. Aber der Tourismusbegriff wird im Gutachten extrem breit definiert. Diese Auslegung der gesetzlichen Ausnahmeregelung auf die halbe Stadt ist sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers. Es scheint mir ein sehr wackliges Gutachten zu sein, wenn nicht sogar ein Gefälligkeitsgutachten.

Wyrsch: Das Gutachten nennt einen Ermessensspielraum, der jetzt ausgecheckt werden muss. Das hat der Stadtrat jetzt vor. Wir haben doch bei den Ladenöffnungszeiten schweizweit ein Flickwerk mit Ausnahmeregeln in Bahnhöfen, Flughäfen, Tankstellen und Tourismuszonen. Also bewegt sich der Stadtrat mit dem jetzigen Vorgehen in den vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten.

Hochstrasser: Die Spielräume bestehen eigentlich nicht, das Gutachten versucht die Spielräume akrobatisch zu verbiegen.

Wyrsch: Auch ein Schwanenplatz hat heute eine spezielle Regelung. Jetzt versucht man daraus eine Erweiterung zu erhalten, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, weil es die Politik nicht zulässt.

«Ein Zeichen, dass etwas passieren muss»: Die Grünliberale Stadtparlamentarierin Judith Wyrsch unterstützt das Vorgehen des Stadtrats.

«Ein Zeichen, dass etwas passieren muss»: Die Grünliberale Stadtparlamentarierin Judith Wyrsch unterstützt das Vorgehen des Stadtrats.

(Bild: ida)

zentralplus: Das Bahnhof-Shopping ist doch auch ein Einkaufszentrum mit Kleiderläden, Elektroartikeln und mehr. Da wird der Spielraum doch auch grosszügig ausgelotet.

Hochstrasser: Ja, aber die Stadt ist der falsche Player, der Kanton muss einen Weg aufzeigen. Was der Stadtrat hier macht, scheint mir kontraproduktiv und kaum im Sinne der Bevölkerung. Es ist ja keine Erweiterung von Schwanenplatz und Grendel, sondern die Rede ist von einem Rayon bis ins Gebiet Hirschmatt und Neustadt. Ich kann nicht nachvollziehen, dass Stadträtin Franziska Bitzi so überrascht ist vom Aufruhr, den sie selber angerichtet hat. Es geht letztlich um die Frage, ob Läden bis 22.30 und am Sonntag bis 20 Uhr offen haben.

zentralplus: Aber das ist doch noch gar nicht entschieden.

Hochstrasser: Es gibt gemäss Gesetz und Gutachten gar keine Möglichkeit für eine moderate Lösung mit diesem Vorgehen. Entweder gehört man zur Tourismuszone, in der alle die gleich langen Spiesse haben müssen, oder man gehört nicht dazu.

«Jetzt bereits wieder Nein zu sagen, finde ich genauso provokativ.»

Judith Wyrsch, GLP

zentralplus: Sie glauben dem Bekenntnis also nicht, dass der Stadtrat die rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreizen will?

Hochstrasser: Man kann dem Manor nicht eine andere Regelung geben als dem Bucherer, das wäre gegen die Rechtsgleichheit, auch in einem Pilotprojekt. Und dann der riesige Rayon, extreme Öffnungszeiten – von den strengsten zu den liberalsten der Schweiz: Ist das wirklich ein kluger Weg in der Diskussion, wenn die Sozialpartner und der Detaillistenverband gleichzeitig am kantonalen runden Tisch für eine moderate Lösung gesprächsbereit wären? Da zerschlägt man mit dem Zweihänder viel Geschirr, obwohl moderate Lösungen greifbar wären.

Wyrsch: Da höre ich auch eine Angst heraus. Tatsache ist doch schon heute, dass die Tourismusvorgaben von den Geschäften nicht bis ans Ende ausgeschöpft werden. Souvenirshops haben nicht bis 22.30 Uhr offen, obwohl sie dürften. Das wird auch in Zukunft kaum der Fall sein.

Hochstrasser: Hast du das Gefühl, die Geschäfte öffnen am Sonntag nicht?

Wyrsch: Das weiss ich nicht, aber ich bin auch nicht dagegen, dass gewisse offen haben. Ich finde das Vorgehen des Stadtrates moderat. Es ist ein Zeichen, dass etwas passieren muss unter Einbeziehung aller Anspruchsgruppen. Wir reden von einem Pilotprojekt, noch ist nichts fixiert oder entschieden. Man soll sich in eine Richtung tasten, so verstehe ich das Vorgehen und ich habe da keine Bedenken.

Die GLP spekuliert schon auf eine mögliche Parlamentsdebatte:

 

zentralplus: Der Stadtrat hat angekündigt, dass er das juristische Maximum – unter der Woche bis 22.30, Sonntag bis 20 Uhr – nicht ausreizen wolle. Darüber müsste man doch jetzt reden? Ist es denn richtig, wenn man das Gespräch boykottiert, wie das die Gewerkschaften und der Detaillistenverband tun?

Hochstrasser: Das Vorgehen des Stadtrates ist dermassen provokativ, dass ich es hundertprozentig verstehe, dass sich der Detaillistenverband und die Gewerkschaften, die sonst ja notabene auch spannende Gegenpositionen haben, nicht darauf einlassen. Unter diesen Rahmenbedingungen ist ein moderates Vorgehen gar nicht mehr möglich.

Wyrsch: Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Das Vorgehen stützt sich auf Erfahrungen aus den letzten zehn Jahren. Aus Abstimmungen hat sich gezeigt, dass es ein ländliches und ein städtisches Verständnis gibt. Was vom Kanton kommt, ist nicht unbedingt für die Stadt kompatibel. Da habe ich meine Bedenken, ob der runde Tisch da Richtige ist.

Hochstrasser: Der Stadtrat boxt nun ohne solide rechtliche oder politische Abstützung einfach den Willen einzelner Wirtschaftsverbände durch. Das hat nichts mit städtischem Verständnis zu tun.

Wyrsch: Mich stört einfach, dass es zur Blockade kommt und dass man sich nicht mal auf ein Gespräch einlässt. Lass uns doch andenken, was möglich ist. Es ist ein Pilotversuch, ein Start. Jetzt bereits wieder Nein zu sagen, finde ich genauso provokativ und nicht zielführend.

zentralplus: Es gibt in der Stadtpolitik die Tendenz, dass man Diskussionen frühzeitig abbricht. Ist das nicht schlechter Stil?

Hochstrasser: Man unterschätzt immer wieder, wie viele Lösungen gefunden werden. Es gibt Gespräche in der Stadtpolitik über Fraktionen hinweg. Aber wenn man wirklich eine Lösung suchen will, macht man es sicher nicht so wie der Stadtrat jetzt.

«Wie der Stadtrat vorgeht, ist für mich absolut unverständlich»: Grünen-Politiker Christian Hochstrasser.

«Wie der Stadtrat vorgeht, ist für mich absolut unverständlich»: Grünen-Politiker Christian Hochstrasser.

(Bild: ida)

zentralplus: Ist es denn nicht zulässig, dass die Stadt im Bereich ihrer Möglichkeiten ihre Interessen durchsetzt und nicht auf den Kanton wartet? Das macht sie auch in anderen Bereichen – etwa in der Verkehrspolitik.

Hochstrasser: Grundsätzlich schon, das ist eine spannende Frage. Aber ob die Stadt zuständig ist, den Tourismusbegriff des kantonalen Gesetzes umzudefinieren?

Wyrsch: Was hältst du vom Vorstoss der FDP, dass Gemeinden selber über die Ladenöffnungszeiten entscheiden sollen? Ich begrüsse den Vorschlag, auch die kantonale GLP unterstützt den Vorstoss. Diese angestrebte Gemeindeautonomie entspricht dem Föderalismus.

Hochstrasser: Es ist ein Widerspruch. Die gleichen Kreise kritisieren ja die kantonalen Unterschiede und wünschen sich eine Harmonisierung. Soll bei den Gemeinden der Föderalismus beim gleichen Thema wirklich besser sein?

Wyrsch: Wir haben ein schweizweites Flickwerk, was die Ladenöffnungszeiten anbelangt, jede Gemeinde und jeder Kanton versucht aus seinen individuellen Bedürfnissen die Möglichkeiten umzusetzen, die er kann. Die GLP steht nicht für eine Tourismuszone «à la Interlaken». Aber wir wollen uns loslösen von einer kantonalen, ländlich geprägten Vorgabe. Diesen Sommer haben Basel und Bern längere Öffnungszeiten durchgebracht – nach langen Gesprächen, in denen wir jetzt auch stecken.

Hochstrasser: Jene Orte mit den liberalsten Öffnungszeiten jammern genau gleich wie wir. Mit einer Liberalisierung blüht der Detailhandel nicht einfach auf, das ist eine Illusion.

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