Neues Stück «Perplex» im Kleintheater Luzern

Zwischen den Grenzen von Alltag und Normalität

Die Grenzen zwischen Alltag und Normalität werden in dem Stück «Perplex» abgetastet.

 

(Bild: Ingo Höhn)

In einer starken Inszenierung stellen vier angeschlagene Persönlichkeiten ungewollt die Grenzen von Alltag und Normalität in Frage. Kein leichter Stoff, trotzdem ist «Perplex» ein unglaublich komisches, zuweilen auch lächerliches Stück. Schlicht: eine Wucht.

Ist der Mensch von Sinnen? Der Mann, der auf der Bühne steht und gerade aus der Dusche gekommen ist, quasselt seiner Partnerin von seinen frisch fabrizierten philosophischen Betrachtungen die Ohren voll. Ob das komisch ist? Nicht genug, in der Wohnung stinkt es unerklärlich nach Verwesung. Doch der Grund für diesen Dauergestank, der durchaus metaphorisch verstanden werden darf, wird im Stück erst am Schluss gelüftet und hier schon gar nicht verraten.

Realitätsverlust und erschreckende Normalität

Das Theaterensemble «Aeternam» entfaltet im aktuellen Stück «Perplex» einen psychopatholigischen Reigen um vier Menschen, deren Bezug zum Realen, zu einem einfachen und natürlichen Sein, oder wie man es immer nennen will, sich in einem höchst kritischen Zustand befindet. Die Bühne im Kleintheater, wo diesen Mittwoch die Premiere gefeiert wurde, stellt mit einfachen Mitteln ein Wohnzimmer dar (Bühnenbild und Kostüme: Bernadette Meier).

Robert und Eva, (Christoph Fellmann und Irene Wespi), die eben von den Ferien nach Hause kommen, nehmen mit Befremden zur Kenntnis, dass sich das befreundete Paar Sebastian und Judith (Marco Sieber und Franziska Bachmann Pfister) in ihrer Wohnung fest installiert hat. Dabei hätten die sich doch während ihrer Abwesenheit nur um Pflanzen und Katze kümmern sollen. Eine lineare Handlung wird es in den nun folgenden, jeweils nahtlos überleitenden Szenen nicht geben, umso mehr werden sich die Rollen dieser vier problematischen und doch so erschreckend normalen Persönlichkeiten ständig verschieben und überschneiden.

Mein Kind ist mir peinlich!

So etwa wenn Christoph Fellmann in die Rolle des kleinen Robert schlüpft. Sebastian und Eva sind nun seine Eltern und es sind Skiferien. Gezeigt wird in der zweiten Szene unter anderem, wie sich das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern entwickeln kann, wenn sich Sprösslinge verhaltensauffällig zeigen.

Nachdem der Kleine sich zuerst mit Vehemenz geweigert hat in die Badewanne zu steigen und dann die Eltern mit einer Nazibinde um den Arm anschreit, «Ihr seid solche Nazis!», distanziert sich Vater Sebastian von seinem Sohn und meint: «Robert ist mir peinlich.» Komödiantische Höhepunkte, die zuweilen auch Angst machen: Wie Christoph Fellmann als Robert jeweils die sich wiederholenden Ausbrüche inszeniert und damit das unberechenbare Gewaltpotenzial von angeschlagenen, gebeutelten Seelen offenbart.

Ein starkes Stück, wuchtig und fulminant inszeniert

Bei «Perplex», das unter der Regie von Jürg Schneckenburger aufgeführt wird, handelt es sich also um keinen leichten Stoff. Trotzdem darf immer wieder gelacht werden. Zu komisch, zuweilen auch lächerlich wirken die Szenen, welche übrigens von Thomas Silvestri musikalisch und geräuschtechnisch bestens untermalt werden. 

Der Autor von «Perplex», der 1972 in München geborene Marius von Mayenburg, stellt mit diesem Stück sowohl seinen mikroskopischen Blick für die Abgründe der menschlichen Seele unter Beweis als auch seine Fähigkeit, das Theaterpublikum in deren Tiefen mitzunehmen. Die vier Schauspieler überzeugen allesamt mit einer fulminanten, wuchtigen Darstellungen.

Du hast einen Stoffwechsel? Ja, ganz schlimm!

Der Partnertausch unter zwei Paaren ist eine Variante der vielen Möglichkeiten von sexuellen Spielereien. «Ein bürgerlich eingestanztes Ausbruchsmodell, das sich leichter in einer albernen Verkleidung vollstrecken lässt», nennt es Robert in der dritten Szene trocken, denn da wird tatsächlich ein Kostümball veranstaltet.

Sex passiert nun entweder mit viel vulgärer Rhetorik, etwa bei Sebastian und Eva, oder geht gar nicht mehr, wie bei Judith und Robert: «Du hast einen Stoffwechsel?», fragt Judith entsetzt, als sie seine feuchte Hand berührt, worauf er «Ja, ganz schlimm!» sagt. Die zaghaften Annäherungsversuche ersticken im Keim.

Wird hier Realität gespielt?

Am Ende bricht das Stück gekonnt mit der Illusion des Theaters, erst werden die Kulissen diskutiert, gar kritisiert, dann abgebrochen, und es wird sogar gemunkelt, dass der Regisseur gänzlich gefehlt habe. Anschliessend rezitiert Marco Sieber als Bühnenarbeiter einen Monolog aus Nietzsches «Fröhliche Wissenschaften». Die Frage steht im Raum: Wird hier Realität gespielt?

Theater Aeternam: «Perplex», weitere Aufführung im Kleintheater Luzern: 15.3, 16.3, 11.4., 12.4. und 13.4.

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