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Anu-Maaria Calamnius-Puhakka sitzt in der Kulturkommission der Stadt Zug. Dort spricht sie Empfehlungen für die Vergabe von Atelierstipendien. Und sie ist auch gleich die nächste Stipendiatin, die im Frühling auf Kosten der Stadt drei Monate in Genua verbringen darf. Ein Entscheid, der Fragen aufwirft.
Zum ersten Mal habe die Kulturkommission der Stadt Zug ein Stipendium an ein Mitglied aus den eigenen Reihen vergeben. Dies heisst es in einer Mitteilung von vergangener Woche. Anu-Maaria Calamnius-Puhakka wird den kommenden Frühling an der italienischen Riviera verbringen. Jedoch sei sie bei den Beratungen in den Ausstand getreten und nicht zugegen gewesen, beteuert die Kommission.
Die Stadt Zug betreibt zusammen mit 23 andern Städten drei Künstlerateliers – in Kairo, Buenos Aires und Genua. Jedes Jahr schickt sie jemanden in ein Atelier, der neben dem Wohn- und Arbeitsraum auch einen Lebenskostenbeitrag von monatlich 1’500 Franken bekommt.
Berücksichtigt werden nicht nur Kulturschaffende, sondern auch Kulturvermittler und Veranstalter – so sehen es die Richtlinien vor.
Blick von aussen
Anu-Maaria Calamnius-Puhakka (44) ist Kulturvermittlerin. Die Finnin lebt mit ihrer Familie seit 12 Jahren in Zug, hat sich stark im gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Kleinstadt engagiert. Sie ist Initiatorin und Leiterin des Tanzfestivals Young Dance für Kinder und Jugendliche. Und seit drei Jahren Mitglied der städtischen Kulturkommission.
In die sechsköpfige Kommission bringt sie nicht so sehr die Interessen des Tanzes ein – die werden durch Seraina Sidler-Tall vertreten – sondern sie soll die Sicht «von aussen» beisteuern, wie sich Mitglieder der Kulturkommission ausdrücken, und ihre Kompetenz in Sachen Kinderkultur einbringen.
Zusammenbruch der Morandi-Brücke
Praktischerweise ist Calamnius-Puhakka kulturell breit interessiert, Juristin und auch von neuen Technologien wie Blockchain fasziniert, die in Zug eine grosse Rolle spielen.
Für ihren Aufenthalt im Genueser Atelier hat sie sich zusammen mit einer anderen Kulturmanagerin ein «interdisziplinäres Mediationsprojekt» vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Morandi-Brücke ausgedacht. Und damit den Rest der Kulturkommission derart überzeugt, dass sie ihr den Vorzug vor andern Antragstellern gab.
Fast alle haben zwei Hüte auf
Auf die Frage, ob sie erwogen habe, aus der Kulturkommission auszutreten, bevor sie die Förderung beantragte, antwortet sie: «Ich habe zwar gezögert, mich überhaupt zu bewerben – aber nein.» Sie sei als Kulturvermittlerin berechtigt, ein Atelierstipendium zu beantragen. Ebenso sehr wie andere Mitglieder der Kulturkommission.
In der Tat sind nur zwei ihrer Mitglieder finanziell nicht mit der Kulturförderung verbandelt. Stadtpräsident Karl Kobelt (FDP) und Oliver Frey, der seine Brötchen in der Luzerner Stadtverwaltung verdient.
«Die meisten Kulturschaffenden in der Schweiz können von ihrer kulturellen Tätigkeit allein nicht leben.»
Seraina Sidler-Tall, Kulturkommission der Stadt Zug
Selbst Finanzfachmann Roland Wismer hat als Präsident des Genussfilmfestivals Zug mit seinem Verein vom Geldsegen der öffentlichen Hand profitiert.
Eigene Initiative wird unterstützt
Der Komponist Roland Dahinden, der Rockmusiker Dino Sabanovic und die Tänzerin Seraina Sidler-Tall, die in der Kommission Empfehlungen für die Vergabe von Fördergeldern aussprechen, wurden mit ihren eigenen Projekten alle schon von Stadt oder Kanton Zug unterstützt.
Wobei in Zug, wo man sich der subsidiären also unterstützenden Kulturförderung verschrieben hat, immer nur Zustüpfe ausgerichtet werden – nie aber ein ganzes Projekt finanziert wird.
Der Preis des Sachverstands
«In der Kulturkommission machen auch Kulturschaffende aus der Stadt Zug mit», erklärt Stadtpräsident Karl Kobelt, der dem beratenden Gremium vorsitzt. Das sei durchaus erwünscht. Erstens verfügten sie über den nötigen Sachverstand und zweitens über die spezifischen Kenntnisse der Kulturszene in der Stadt Zug.
«Wäre es denn fair, Kulturschaffende von Atelieraufenthalten auszuschliessen, nur weil sie sich für das Kulturleben in der Stadt Zug einsetzen?», fragt Kobelt. «Ich denke nicht.»
Kommission wusste um die Problematik
Andernfalls bestände die Gefahr, dass sich keine Kulturschaffenden mehr zur Mitarbeit in der Kulturkommission bereit fänden.
Im Rahmen des Öffentlichkeitsgesetzes stellte die Stadt Zug zentralplus das Protokoll der Sitzung zur Verfügung, in der über die Vergabe des nächsten Atelierstipendium entschieden wurde.
Daraus geht hervor, dass sich die Kulturkommission durchaus der Problematik und des anrüchigen Eindrucks bewusst war, den der Entscheid erwecken würde.
Nur drei Bewerbungen
Aber neben den Argumenten der Kulturschaffenden, die sich nicht benachteiligt sehen wollen, hatte die Kulturkommission ein anderes Problem: Es gab nur drei Bewerbungen fürs Genueser Altelier.
Darunter eine einer national bekannten Künstlerin, die gerade einen Auftrag der Stadt Zug an Land gezogen hatte und einen eines Zuger Musikers, der früher schon einen sechsmonatigen Atelieraufenthalt in Argentinien zugesprochen erhalten hatte und der überdies bei der Stadt Zug angestellt war.
Wer kann schon drei oder sechs Monate weg?
Die Kommission hatte also die Wahl, entweder aus Gründen politischer Hygiene überhaupt kein Atelierstipendium zur Vergabe zu empfehlen, eine der beiden Vielgeförderten ein weiteres Mal mit einem Stipendium zu beglücken – oder aber etwas Neues zu wagen und sich um jeden bösen Verdacht zu foutieren.
Stellt sich die Frage, warum das Angebot eines Atelierstipendiums der Stadt Zug auf ein so geringes Interesse stösst. «Die meisten Kulturschaffenden in der Schweiz können von ihrer kulturellen Tätigkeit allein nicht leben», sagt Seraina Sidler-Tall.
Deswegen brauchten sie mindestens einen teilzeitlichen Brotjob, um die Rechnungen zu bezahlen. Und dies wiederum würde es für viele schwierig machen, sich für drei oder sechs Monate freizumachen.
Änderungen drängen sich auf
Die Kulturkommission stellt deshalb auch die Atelierstipendien zur Diskussion. «Wir fragen uns, ob andere Förderinstrumente nicht sinnvoller wäre», sagt Sidler-Tall. Im Raum steht daher, neue Formen und Instrumente zur Unterstützung und Vernetzung lokaler Kulturschaffender zu kreieren.
Der Kanton beispielsweise schreibt ein sogenanntes «Atelier Flex» aus. Dabei handelt es sich eigentlich um ein Reisestipendium, für das Kunstschaffende ein Konzept vorlegen. Sich aber für dessen Ausführung Ort und Zeit selber einteilen.
Inwieweit die neuen Formen allerdings die Atelierstipendien in Zukunft ersetzen oder ergänzen, ist laut Stapi Karl Kobelt «noch völlig offen».