Judith Weingartner bringt Burlesque ins kleine Zug

Zuger Clownfrau hat eine verwegene Idee

Judith Weingartner als durstige Clownfrau Gerta.

(Bild: Anita Imfeld-Leu)

Vor bald zwei Jahren hat Judith Weingartner in der Zuger Altstadt das «Schabernack partout … Variété» eröffnet. Trotz vorsichtig positiver Zwischenbilanz setzt sie sich dafür ein, dass das Variété noch lebendiger wird. Wer ist die Clownfrau, die Zug mehr Kleinkultur und Burlesque-Shows bescheren will?

«Es wäre schön, etwas bequemer zu wohnen», sagt Judith Weingartner. «Dann könnte ich meine Energie auf anderes verwenden.» Nachdem die Zugerin jahrelang mit einem Zirkuswagen umhergezogen ist, wohnt «die Clown», wie sie sich selber bezeichnet, seit zwölf Jahren in einem Haus am Thunersee.

Die Koordination von Untermietern, Air-B&B-Gästen und hie und da auch Jugendlichen, die während eines Time-outs bei ihr unterkämen, sei anstrengend. Insbesondere, da Weingartner während den Projekten in Zug zudem im ausgebauten Zirkuswagen einer Freundin wohnt.

Nun jedoch wird das Haus am Thunersee abgerissen, und für Weingartner ist der Moment gekommen, um wirklich zurückzukehren in die Heimat. Denn hier hat die Kulturschaffende als Tochter eines freischaffenden Theatercoiffeurs ihre Jugend verbracht. «Ich bin quasi im Theater Casino aufgewachsen», sagt sie, «zwischen Bärten und Perücken.»

Der Schritt auf die Bühne kam erst nach Jahren

Und das Theater liess sie nie mehr los. Die Clownfrau trat in die beruflichen Fussstapfen ihres Vaters und Grossvaters, lernte Coiffeuse und im Anschluss daran Theatercoiffeuse. Führte ihr eigenes Geschäft, bis sie 32 Jahre alt war. Dann folgte eine Ausbildung in freier Kunst, in Malerei und Performance. Erst später wagte sich Weingartner selber auf die Bühne.

«Ich bin zwar wohl in einer Theaterfamilie aufgewachsen, doch die Ansprüche dort waren so hoch, dass ich mich gar nicht traute, selber Theater zu spielen», sagt die Zugerin nach kurzer Überlegung. «Es ist, als habe mein Vater erst sterben müssen, bevor ich den Schritt in Richtung Theaterausbildung überhaupt erst machen konnte.»

«Jetzt bin ich staatlich anerkannte Clown-Schauspielerin. Kein Witz. Das heisst wirklich so.»

Judith Weingartner, Zuger Clownfrau

Während ihrer Ausbildung zur Zirkus- und Theaterpädagogin im deutschen Freiburg habe sie die Clownerie definitiv gepackt, sagt Weingartner. In Mainz lernte sie dieses Handwerk während mehreren Jahren: «Und jetzt bin ich staatlich anerkannte Clown-Schauspielerin. Kein Witz. Das heisst wirklich so.»

Clown und Comedy, zwei ganz verschiedene Paar Schuhe

Wir leben heute in einer Zeit der Comedians. Warum braucht es da überhaupt noch Clowns? «Der Clown ist eine sehr authentische Figur. Er zeigt alles von sich, spielt mit eigenen Schwächen und Konflikten. Und weil sich die Leute darin wiedererkennen, finden sie das lustig. Der Mensch lacht gern über die eigenen Schwächen», sagt Weingartner. Und führt aus: «Ein Clown soll berühren. Dabei ist Ehrlichkeit sehr wichtig. Das geht viel tiefer als Comedy.»

Vor knapp zwei Jahren mietete die Zugerin das Lokal in der Ober Altstadt 9, das sie zum «Schabernack partout … Variété» umwandelte. «Die Zusage für die Miete habe ich wohl erhalten, weil man meine Familie in Zug kennt, die immerhin schon seit drei Generationen hier lebt. Ausserdem bin ich ziemlich vernetzt. So arbeite ich beispielsweise mit den Zünften zusammen und schminke die Samichläuse jedes Jahr.»

Konzerte, Clown-Unterricht, Vermietungen

Seit bald zwei Jahren also finden an der Ecke von Ober Altstadt und Schwanenplatz regelmässig Konzerte im kleinen Rahmen statt, aber auch sonst liegt der Raum nicht brach, versichert uns Weingartner. «So kann man das Variété mieten, zudem gebe ich einer Montessori-Schule hier wöchentlichen Clown-Unterricht.»

Finanziell unterstützt wird das Variété von der Stadt und dem Kanton, «wobei das allein noch nicht ganz reicht. Deswegen setzen wir uns mit grosser Eigeninitiative für das ‹Schabernack partout› ein», so Weingartner. «Aber wir wachsen», versichert uns die Clown.

Man habe einige Pläne, um das Lokal zu beleben. «So wollen wir ab März dreimal eine offene Bühne durchführen, die vor allem Schüler und Studenten ansprechen soll. Weiter sind wir im Gespräch mit der Englischen Theatergruppe und der Literarischen Gesellschaft», sagt die Zugerin. Weiter ist Weingartner mit dem Verein «Interkultureller Dialog» dran, ein Clown-Projekt für Asylbewerber aufzugleisen.

Die schmucke Bühne des «Schabernack partout ... Variété».

Die schmucke Bühne des «Schabernack partout … Variété».

(Bild: wia)

Eine Prise Erotik im dunklen Raum

Burlesque – Ausziehen mit Stil

Unter Burlesque versteht man eine erotisch aufreizende, dennoch stilvolle Show, die stets auch leicht humoristisch ist. Insbesondere im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war dieses Unterhaltungstheater insbesondere in den USA beliebt. Zwar hat Burlesque durchaus Ähnlichkeiten mit Striptease, wobei sich die Protagonistinnen beim Burlesque-Tanz nicht gänzlich ausziehen. Während der 90er-Jahre erhielt diese erotische Unterhaltungsart unter dem Namen New Burlesque in Amerika und Europa neuen Aufschwung.

Und dann hat Weingartner noch eine verwegene Idee: «Wir werden im Herbst ein Burlesque-Variété durchführen.» Burlesque, hier? Sind die Zuger denn offen für so etwas (siehe Box)?

«Man muss sie zuerst sensibilisieren. Ich lasse für den Anlass extra eine Freundin aus Berlin einfliegen, und ich habe ihr bereits ans Herz gelegt, dass die Leute hier wohl nicht so Burlesque-gewohnt sind. Sie solle nicht grad hardcore-mässig einsteigen.» So werde man besonders aufpassen, dass das Ganze stilvoll werde, erklärt die Variété-Betreiberin. «Es wird quasi ein Warm-up in Sachen Burlesque.»

Weingartner ist sicher, dass eine Prise Erotik sehr gut in diesen dunklen Raum hineinpasse. «Und ich habe die Literarische Gesellschaft Zug schon angefragt, ob sie nicht Lust hätten, eine Lesung zum Thema Tabu und Erotik durchzuführen.»

«Ich bin ein wenig eine Chaotin. Aber ich will das hier zum Laufen bringen.»

Ist das nicht schwierig, die Übersicht zu behalten, bei so vielen heissen Eisen im Feuer? «Doch, manchmal schon», sagt Weingartner und lacht. «Ich bin ein wenig eine Chaotin, wenn es um Termine geht. Aber ich will das hier zum Laufen bringen.»

Identitätsprobleme nach der Rückkehr

Während der Jahrzehnte, in denen Weingartner mit einem Bauwagen umhertingelte und bei verschiedenen Zirkusprojekten mitwirkte, hat sich Zug verändert. Aus einem schmucken, etwas unscheinbaren Dorf ist eine global relevante Wirtschaftsstadt geworden.

«Anfangs fühlte ich mich hier wirklich als Fremdling und hatte echte Identitätsprobleme. Ich wusste nicht, wo ich bin. Hier in Zug herrscht schon ein anderer Groove als etwa in Bern oder auch in Zürich. Mittlerweile habe ich jedoch zurückgefunden», so die Clownfrau.

«In der Zuger Kulturszene arbeitet man vergleichsweise wenig zusammen und bäckt lieber seine eigenen Brötchen.»

«Die Kulturszene ist jedenfalls nach wie vor ein Kuchen», sagt Judith Weingartner. Und ergänzt: «Ich gehöre ja auch irgendwie dazu. Und doch arbeitet man hier vergleichsweise wenig zusammen und bäckt lieber seine eigenen Brötchen. Das ist schade.»

Schabernack für alle!

Weingartner sagt: «Ich habe häufig das Gefühl, dass man hier Kunst nicht fürs Volk macht, sondern für die Elite. Doch ich bin überzeugt, dass Kunst alle erreichen muss. Das macht eine Kultur reich. Und genau das will ich mit dem ‹Schabernack partout› erreichen. Es soll ein Lokal für alle werden.»

Wenn man den Geschichten lauscht, welche die Variété-Betreiberin aus ihrem Leben erzählt, dann kann man nur staunen, wirkt die Zugerin doch in ihrer Art und ihrem Aussehen jung und abenteuerlustig. Auf die Frage nach ihrem Alter lächelt sie nur und sagt: «Das kommt doch überhaupt nicht drauf an.»

Die gestapelten Koffer im Variété dienen als Schrank.

Die gestapelten Koffer im Variété dienen als Schrank.

(Bild: wia)

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