Eine Zuger Bühne «lebt» – sonst wird viel eingekauft
Der Elfensaal von Satz & Pfeffer: eine beliebte Bühne in der Stadt Zug. (Bild: Satz&Pfeffer)
Krypto, tausende Briefkastenfirmen und niedrige Steuern: So kennt man Zug. Nun will die Stadt am See auch Schweizer Kulturhauptstadt werden. Doch: Kultur wird in Zug mehrheitlich eingekauft, findet unser Autor.
Wer hätte das gedacht: Stadtpräsident André Wicki (SVP) wirft sich als umtriebiger Marketing-Guru in Zuger Sache so richtig ins Zeug. Jüngst punktete er, indem er Zug als erste Schweizer Stadt präsentierte, die sich im Metaverse aufhält (zentralplus berichtete). Das passt zum Image: modern, technologisch aufgeschlossen, innovativ.
Gemessen an seiner Bevölkerung ist Zug die wirtschaftlich innovativste Stadt der Schweiz, was die Anzahl Patente angeht (zentralplus berichtete). Und auch der Kanton macht mit: Er beteiligt sich mit rund 40 Millionen Franken am Aufbau eines Blockchain-Instituts (zentralplus berichtete). Oder beauftragt den neuen Verein «Zug Alliance» mit einer Studie zu autonomem Fahren (zentralplus berichtete).
Marketingtechnisch schlagen sich Kanton und Stadt Zug also mehr als passabel. Die bekannte, ausgesprochene Kundenfreundlichkeit gegenüber Steuern zahlender Firmen und Privaten rundet das Bild einer internationalen Wirtschaftsmetropole ab. Und das bei nur 32’000 Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt Zug.
Seefest, Chriesisturm und Zuger Seefest – sind das Kulturperlen?
Doch jetzt will Zug in einer eher wirtschaftsfremden Branche glänzen: Kürzlich erklärte sie ihre Absicht, sich als Schweizer Kulturhauptstadt 2030 zu bewerben (zentralplus berichtete). Konkurrenten sind Aarau, Bellinzona, Lugano, Schaffhausen und Thun. Nicht gerade kulturelle Schwergewichte, gewiss. Aber ist Zug eines?
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Ins Feld wirft die Stadt Zug Traditionen wie das Seefest, den Chriesisturm oder verweist auf das Theater Casino. Zudem wird auf neue Veranstaltungsformate und den Ausbau kultureller Einrichtungen – wie die Erweiterung des Kunsthauses und die Instandsetzung der Gewürzmühle – aufmerksam gemacht. Eine «globalisierte Kleinstadt» mit viel Tradition und Kultur, nennt Stadtpräsident André Wicki die Stadt Zug in einer Mitteilung.
Als Kulturhauptstadt wolle man 2030 ein «aussergewöhnliches Kulturjahr» gestalten, aber auch langfristig die Stadtzuger Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft voranbringen.
Theater Casino steht für Kulturimport
Mit dem Chriesisturm, dem Kunsthaus oder der Instandsetzung der Gewürzmühle zu werben, mag noch passen. Das sind genuine Zuger Institutionen. Doch das Theater Casino hervorzuheben, ist zweischneidig, denn dieses Haus steht wie kein anderes dafür, dass Zug schon seit langem gut darin ist, Kultur respektive Kulturveranstaltungen einzukaufen. Im Jahr 1991 gelang es sogar, den Jahrhundertmusiker Miles Davis nach Zug zu locken.
Aber um sich eine echte Kulturhauptstadt nennen zu dürfen, müsste die Bühne eine lebendige sein, eine, wo Programme entstehen, geprobt, gearbeitet wird.
«Satz und Pfeffer» ist Paradebeispiel für lokale Kultur
Es gibt natürlich auch andere Bühnen in Zug, so die Industrie 45 (Konzerte), den Burgbachkeller (Kleinkunst) oder die Galvanik (Konzerte). Wobei gemunkelt wird, Konzerte in der Galvanik würden vor allem auswärtiges, aber kaum das Zuger Publikum ins Chollergebiet locken.
Eine lebendige Bühne gibt es in Zug: Nämlich die von Michael van Orsouw und Judith Stadlin mit viel Herzblut betriebene Lesebühne «Satz und Pfeffer», wo auch gelebt, geprobt und gearbeitet wird und wo Literaten aus Zug und Umgebung immer wieder eine Bühne erhalten. Demnächst gemäss aktuellem Programm auch der Zuger Ständerat Matthias Michel (FDP). Doch auch sie kämpft: «Satz und Pfeffer» musste während der Pandemie in Eigenregie Spenden auftreiben, um überleben zu können (zentralplus berichtete).
Comedians mit Herkunft Lehrersemi werden unnötig gehätschelt
Viel eher scheint der heilige St. Michael der Säulenheilige der Zuger Kulturszene zu sein. Dem gleichnamigen Lehrerseminar sind derart viele nationale Comedy-Kassenschlager entsprungen, dass man geneigt ist, zu glauben, das Seminar sei eine getarnte Ausbildungsstätte für Komiker (zentralplus berichtete).
Marco Rima, Michael Elsener, Divertimento, sie alle sind Gewächse des Lehrersemis respektive verhinderte Lehrer. Auf die ist Zug stolz, Künstlerförderung während der Pandemie inklusive (zentralplus berichtete). Und dies, obwohl sie in Zug selber kaum Wirkung entfalten, sondern auf Bühnen in der ganzen Schweiz. Selbstredend ist «Satz und Pfeffer» das Gegenbeispiel.
Tadashi Kawamata macht Zug zum Wohnzimmer der Kultur
Das Zuger Kunsthaus unter der Leitung von Matthias Haldemann steht schon eher für Zuger Kultur mit Breitenwirkung auf eigenem Terrain. Das Tafelsilber des Kunsthauses ist die Sammlung Kamm, dazu kommen Wechselausstellungen im Austausch mit anderen Häusern.
Auch die «Interventionen», die der weltbekannte japanische Künstler Tadasha Kawamata im Auftrag des Kunsthauses zwischen 1996 und 1999 schuf, zählen in der doch eher geschäftsmässigen Wirtschaftsmetropole Stadt Zug zur Seelennahrung (zentralplus berichtete). Aber auch das – letztlich ein Import. Genauso wie die «Seesicht» von Roman Signer, eine Installation, in die man hinabsteigen kann, um von unten direkt in den milchig-trüben Zugersee hineinstarren zu können (zentralplus berichtete).
Überpräsenz von bildender Kunst dank einer Flut von Galerien
Gleichzeitig könnte man vorbringen, in Zug gebe es sehr viele Galerien. Fragt sich nur, wer all die Kunstwerke kaufen will. Die Geschäfte sind international ausgerichtet und vertreten sehr oft nicht einheimische Künstler. Das sind Kunsthandelsplätze für Reiche und eher nicht fürs gewöhnliche, einheimische Publikum.
Also auch damit kann sich Zug nicht rühmen. Und der vielgepriesene schönste Sonnenuntergang der Welt über dem Zugersee ist auch kein Kulturfilet. Erstens ist das Natur, zweitens Allgemeingut und drittens weltweit an schönen Lagen zu haben. Wenigstens eines haben die Zuger um Marketing-Guru André Wicki sofort verstanden.
Der schlaue Marketing-Kniff der Stadtzuger Regierung
Man muss die Zuger Bevölkerung in der Projektentwicklungsphase bereits so früh wie möglich mit einbeziehen. Mit der nun lancierten Diskussion und Mitmachaktion lockt der Stadtrat die Zuger Kulturschaffenden hinterm Busch hervor und zieht ihnen den Speck durch den Mund. Nach dem Motto: Helft mit, damit wir Kulturhauptstadt werden. Auch wenn es heute noch an der einen oder anderen Ecke mangelt.
In einem Monat will sich die Stadt Zug auf dem Stierenmarktareal ein erstes Mal mit der Bevölkerung und Vertreterinnen aus Kultur, Politik, Wirtschaft und Tourismus austauschen. Bis Ende Jahr muss das Bewerbungsdossier für die Kulturhauptstadt Schweiz eingereicht sein.
Geld für neue Projekte sollte ja genügend vorhanden sein. Fürs Metaverse gab es schliesslich auch 50’000 Franken von der Stadt.
Redaktor bei zentralplus mit Themen-Schwerpunkten Politik und Kultur. Hat an der Universität Zürich Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Als ehemaliger Triathlet nach wie vor begeisterter Läufer, Rennradfahrer und Schwimmer.