Ein Luzerner auf der dunklen Seite

Wenn verwesende Leichen Kunst sind

Der Künstler Joel Sutter in seinem Atelier im Würzenbach. (Bild: jav)

«Horror-Künstler» wird er genannt. Der Luzerner Joel Sutter macht Kunst, die viele Menschen schockiert. Zerstückelte Leiber gehören zu seinem Repertoire. Ekel kennt er kaum, Angst aber schon.

Er ist anders, er fällt auf. Joel Sutter ist Künstler. Wir treffen den jungen Luzerner in seiner Wohung im Würzenbachquartier, wo er gemeinsam mit seinem Partner und Hund Boris lebt. Hier hat er auch sein Atelier. Hier zeichnet er, malt, gestaltet Skulpturen und dreidimensionale Bilder.

Doch seine Kunst werden sich wohl nur ganz wenige Menschen ins Wohnzimmer hängen. Aber der 27-Jährige war schon einige Male damit in der Presse. Denn Aufmerksamkeit generieren seine Arbeiten allemal. Sein Gebiet ist der Tod, die Vergänglichkeit des Lebens. Seine Kunst besteht aus deformierten Embryonen, Maden in totem Fleisch, gefolterten Leichen und zerstückelten Menschenleibern.

zentral+: Mögen Sie die Menschen?

Joel Sutter: Ich bin seit acht Jahren mit meinem Partner zusammen. Ich kann grundsätzlich sagen: Ich mag die Menschen. Manche mehr, mache weniger. Er lacht.

zentral+: Sind Sie ein fröhlicher Mensch?

Sutter: Ich denke schon. Ich habe es gut erwischt. Mit meiner Familie, meinem Partner, den Freunden und mit meiner Arbeit. Aber es ist jetzt nicht unbedingt meine Arbeit, bei welcher ich in purer Fröhlichkeit aufgehe. Ich erarbeite Ideen und die dazugehörigen Darstellungsformen. Dafür setze ich mich mit Menschen und Bildern auseinander, die anstrengend sind, und emotional nicht immer einfach zu verkraften. Die aber meiner Arbeit die Tiefe verleihen. Wenn man sich zum Beispiel zwei Monate mit Massenmördern beschäftigt, mit Verwesungsstadien und Foltermethoden, ist das extrem spannend, aber auch sehr abgründig. Bei der Arbeit selbst, beim Handwerk, da habe ich Spass. Da geht es um Materialien und ums Ausprobieren und Perfektionieren. Im Alltag gibt es aber auch definitiv hübschere Dinge, mit denen man sich beschäftigen kann.

«Es wäre schlecht, wenn ich keine Angst hätte.»

zentral+: Weshalb tun Sie es dann?

Sutter: Es ist eine Faszination. Es ist natürlich sehr einfach, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und zu sagen: Schaut euch diesen kranken Menschen an. Schwieriger ist es, zu schauen, wie ein Mensch dazu kommt. So viele Leute schauen sich tagtäglich wie ferngesteuert alles an, was ihnen vorgesetzt wird. Aber das Dahinterschauen ist wichtig. Ich thematisiere das Böse, aber wie es unter uns lebt. Und auch in uns – in verschiedensten Ausprägungen.

zentral+: Wenn man sieht, womit Sie sich in ihrer Kunst beschäftigen, da fragt man sich: Ekeln Sie sich eigentlich vor irgendetwas?

Sutter: Nein. Null. Er überlegt lange. Doch, vor Schafskäse. Er lacht. Nein, aber sonst wüsste ich nichts.

zentral+: Aber Angst haben Sie manchmal?

Sutter: Natürlich. Ich bin gefüllt mit Ängsten. Diese sind auch oft der Motor für meine Ideen. Es wäre schlecht, wenn ich keine Angst hätte. Dann wäre meine Kunst wahrscheinlich sehr emotionslos und plump.

«Wenn wir abends ein Stück Fleisch auf den Grill werfen, ist das eigentlich ein Stück Lebewesen. Und auch Menschenfleisch ist nur ein Stück Lebewesen.»

zentral+: Aber wird man nicht regelrecht paranoid, wenn man sich ständig mit Mördern und den menschlichen Abgründen beschäftigt?

Sutter: Überhaupt nicht. Natürlich besteht die Gefahr, dass dein Nachbar austickt und dich umbringt, oder du ins Visier eines Massenmörders gerätst. Aber du gehst auch täglich an hunderten von Autos vorbei, aber deswegen steigt deine Angst nicht, von einem überfahren zu werden. Es braucht ein gewisses Grundvertrauen – und das habe ich.

zentral+: Wie grenzen sie sich emotional von diesen Abgründen ab?

Sutter: Menschen sterben, Menschen werden geboren. Man muss den Tod, oder die Leiche ganz objektiv betrachten. Sonst könnten ganz viele Leute ihren Job gar nicht machen. Der Forensiker zum Beispiel, den ich für meine Arbeiten befragt habe, sieht eine Leiche, sobald sie auf seinem Tisch liegt, als Stück Fleisch. Er ist auch Vegetarier. Da er so viel mit Fleisch und seinen Verwesungszuständen zu tun hat, sagte er. Ich finde dabei auch den Vergleich spannend: Wenn wir abends ein Stück Fleisch auf den Grill werfen, ist das eigentlich ein Stück Lebewesen. Und auch Menschenfleisch ist nur ein Stück Lebewesen. Doch wir nehmen das gar nicht mehr so wahr.

«Wenn in der Badi ein toter Fisch angeschwemmt wird, dann rennen noch alle Kinder hin.»

zentral+: Was wollen Sie also mit Ihrer Kunst erreichen?

Sutter: Ich will nicht die Welt verändern, ich will auch nicht einfach nur schockieren. Das könnte ich viel einfacher tun. Aber ich will in den Leuten etwas auslösen – Assoziationen. Ich will Geschichten erzählen und damit Fantasien anregen. Es ist dann oft der Fall, dass Leute mit schlimmen Geschichten zu mir kommen. Wahrscheinlich würden sie diese sonst nicht so einfach erzählen. Aus Angst vielleicht, das Gegenüber könnte sie verurteilen. Meine Ausstellung ist in dem Moment eine Art Spielwiese, um mit seinen eigenen kleinen Abgründen hervorkommen zu können. Die hat jeder und desto eher man sich mit ihnen beschäftigt, desto besser kann man sie verstehen. Es kann sehr brutal sein, was es auslösen kann. Aber viele verschliessen sich dann auch.

zentral+: Wann hat ihre Faszination für das Düstere begonnen?

Ich hatte die wohl schon immer. Aber als Junge fällt das nicht auf. Wenn in der Badi ein toter Fisch angeschwemmt wird, dann rennen noch alle Kinder hin. Ich habe daher lange gar nicht wahrgenommen, dass ich in der Hinsicht ein spezielles Interesse hatte. Mit 13 habe ich dann angefangen, eigene Skulpturen zu schweissen. Nicht, weil ich Kunst machen wollte, sondern weil ich Dinge haben wollte, die es so nicht zu kaufen gab. Zu dieser Zeit hat ein Nachbar mich auf HR Giger hingewiesen. Er fand, dass meine Arbeiten ihn an Giger erinnern würden.

«Meine Eltern hatten ein tiefes Veständnis für mein Interesse.»

zentral+: Und Giger wurde zum Vorbild?

Sutter: Natürlich finde ich ihn grossartig, doch ich möchte mir keine Vorbilder machen. Es gibt Personen, die mich inspirieren, auf verschiedenste Arten. Doch ich bin überzeugt: Wer zu sehr jemand anderem nacheifert, der verliert sich dabei selbst.

zentral+: Waren ihre Eltern jemals wegen dieser Faszination besorgt?

Sutter: Nein. Ich bin einem Hippiehaushalt gross geworden. Und meine Eltern hatten ein tiefes Veständnis für mein Interesse und auch eine Bewunderung dafür. Wenn jemand sich Sorgen machte, dann waren es die Lehrer. Doch meine Eltern standen immer hinter mir. Ausserdem war ich nie zurückgezogen oder unkommunikativ, daher konnte ich meine Gedankengänge immer gut erklären und aufzeigen.

zentral+: Wie ist das mit ihrem Partner?

Sutter: Er macht Musik in einer ähnlich speziellen Weise, wie ich in der bildenden Kunst. Aber sonst beschäftigt er sich nicht so sehr mit diesen Themen. Und in unserer gemeinsamen Zeit spielt das keine grosse Rolle. Da schauen wir uns auch gerne mal eine romantische Komödie an. Wenn sie gut ist. Er lacht.

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

(Bild: jav)

zentral+: Können Sie heute von ihrer Kunst leben, oder wie verdienen Sie ihr Geld?

Sutter: Ich arbeite noch 60 Prozent bei «Modul». Den Rest der Zeit nütze ich für meine Kunst. Doch es ist sehr schwierig davon zu leben. Filmausstattungen mache ich nicht besonders gerne. Es ist ein undankbarer Job: schlecht bezahlt, extremer Stress, ein Riesenaufwand und unmögliche Arbeitszeiten. Ausstellungen in Galerien sind sehr schwierig, da man für diese nur interessant ist, wenn die Kunst gut verkaufbar ist. Ich mache meist Ausstellungen mit Eintritt, um so meinen finanziellen Aufwand zu decken. Denn meine Kunst schauen sich die Leute an, sie reisen auch dafür an, aber sie sich ins Wohnzimmer hängen, das wollen die wenigsten.

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

(Bild: jav)

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

Ein Teil der Dekoration in Joel Sutters Wohung.

(Bild: jav)

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