Bis in die hintersten Reihen gefüllt war die «Bar59» bei der Vorrunde der Poetry-Slam-Schweizermeisterschaften in Luzern. Die 12 Slam-Poeten auf der Bühne beeindruckten mit Schlagfertigkeit, Aktualität und vor allem mit dem Bruch des einen oder anderen Tabus.
Luzern ist eine Hochburg des gesprochenen Wortes. Neben der florierenden Luzerner Rap-Szene oder dem Spoken-Word-Festival «Woerdz» werden vom 28. bis 30. März das erste Mal auch die Poetry-Slam-Schweizermeisterschaften in Luzern ausgetragen.
In drei Locations in der Stadt fanden am Freitagabend die Vorrunden statt. Das grosse Finale geht am Samstagabend im Pool des Neubads über die Bühne.
Poetry Slam zieht die Massen an
Beim Besuch in der «Bar59», wo eine der drei Vorrunden ausgetragen wird, wird rasch klar: Poetry Slam ist längst kein Nieschenphänomen mehr. Zehn Minuten vor Beginn zieht sich die Menschenschlange vom hinteren Raum der Bar an der Industriestrasse bis nach draussen.
Poetry Slam hat in Luzern eine lange Tradition. Seit 2009 finden Poetry Slams in der Loge statt. 2015 gesellte sich der vierteljährlich stattfindende Slam im Neubad hinzu, dessen 300 Plätze des Öftern ausverkauft sind. Zwei Jahre später folgte der Slam in der «Bar59», der primär lokalen Poeten eine Bühne bietet.
Mit jedem schleppenden Meter weiter in Richtung Saal wird es enger und heisser. Drinnen ist der grosse Teil des Raumes mit Stühlen vollgestellt, aber auch der hintere Teil ist durch am Rand stehende Leute bis zuhinterst gefüllt.
Kurz nach sieben Uhr tritt die erste Poetin auf die orange beleuchtete Bühne. Es ist die Luzernerin Lisa Brunner. Sie erzählt mit ihrer hohen Stimme von einem «Schöggeli», das sie durch den Raum wirft, um schliesslich punktgenau im Mund ihrer Freundin Verena zu landen. Klingt banal, brachte sie aber im Eiltempo über Wahrscheinlichkeiten zu ihrem Mathe-Unterricht im Alpenquai, zu ihrem ersten Date, zu ihrer Spiessbürgerlichkeit und schliesslich wieder zurück zu ihrem «Schöggeli».
Es ging politisch weiter mit dem Text «Welt retten oder so» von Moritz Keller, der lauten Applaus für seine politische Stellungnahme zur politischen Lage in der Schweiz erhält. «Dear Trump, call me if you need a Muurer», kritisierte Keller den Bundesrat.
«Fehler im System, weil meine Abstammung indigen.»
Kai Neuenschwander, Slam-Poet
Einen etwas anderen Stil brachte der Berner Kai Neuenschwander. Er beginnt mit der ihm häufig gestellten Frage «Wo kommst du her?». In einem Rap-ähnlichem Rhythmus antwortet er beginnend mit dem Urknall und mit einem «Fehler im System, weil meine Abstammung indigen».
Er erzählte, wie seine Mutter und sein brasilianischer Vater sich kennenlernten und warf mit viel Tiefgründigkeit Fragen über Identität und über die menschliche Existenz in den Raum. Es war fast unangenehm still in dem voll gefüllten Raum, bevor Neuenschwander seinen Schlusssatz fasst: «So, jetzt weisst du, woher ich bin. Das nächste Mal sprechen wir darüber, wer ich bin.»
Publikumsliebling zwischen Natur und 21st Century
Publikumsliebling war jedoch Michael Frei aus Thun. «Back to the Roots», forderte er. Wieder mehr Tier sollen wir alle werden, meinte der unauffällig Gekleidete und imitiert den berühmten «Netz Natur»-Moderator Andreas Moser. Frei stellt gekonnt Szenen aus Tierdokus dem Alltag eines rund 20-Jährigen gegenüber.
«Pinkelt in einen See, oder zumindest in eure Zimmerpflanze.»
Michael Frei, Slam-Poet
Zwischen Giraffen, die am Wasserloch ihren Durst stillen und betrunkenen Teenagern, die sich volllaufen lassen. Zwischen Tinder-Dates, Low-Carb-Diäten, Quinoa-Hirse-Smoothie und Starbucks-Frappuccino meint er: «Geht endlich mal wieder raus und pinkelt in einen See – oder zumindest in eure Zimmerpflanze» und erntet dafür lauten Applaus.
12 Teilnehmer brechen mit Tabus
Insgesamt 12 Teilnehmerinnen standen nacheinander für sechs Minuten auf der Bühne. Nach ihrem Auftritt folgt die Bewertung aus der Jury. Die vier mit der höchsten Punktzahl waren Andreas Kessler, Michael Frei, Kay Neuenschwander, Raphael Reift, Etrit Hasler. Sie zogen in die Finalrunde, die diesen Samstag im Neubad ausgetragen wird.
Ob fast Rap, Lyrik oder politische Texte – dem gesprochenen Wort waren fast keine Grenzen gesetzt. So unterschiedlich wie die Poeten und ihre Vortragsweisen waren auch ihre Inhalte. Besonders Themen über Technik im Zusammenhang mit Social Media oder über die eigene Identität wurden des Öfteren aufgegriffen.
Besonders auch die gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit oder Männlichkeit, oder die Sorgen ums Alt- oder Vaterwerden wurden in Form von lyrischem Text wiedergegeben. Dabei wurde auch immer mal wieder ein Tabuthema angeschnitten. So sprach zum Beispiel Andreas Kessler über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche – Themen, die zwar nicht mit grossem Unterhaltungswert punkten konnten, jedoch am Ende mit umso grösserem Applaus beantwortet wurden.
Diese Regeln gelten an der Schweizermeisterschaft1. Die vorgetragenen Texte müssen selbst geschrieben sein. 2. Der Vortrag darf nicht länger als sechs Minuten dauern. Nach Ablauf der Zeit wird ein Störsignal eingespielt für 15 Sekunden, danach wird der Vortrag durch die Moderation abgebrochen. 3. Verkleidungen, Requisiten, Instrumente oder Drittpersonen sind auf der Bühne verboten. Lediglich Textblätter sowie Kleidung des täglichen Gebrauchs sind erlaubt. Dabei ist jedoch eine «Instrumentalisierung dieser Kleidung verboten» (kein Ausziehen). 4. Beiträge dürfen nicht mehrheitlich gesungen werden. Rappen sowie Beatboxing sind erlaubt. 5. Es dürfen keine Texte vorgetragen werden, die bereits an vergangenen Schweizermeisterschaften verwendet wurden. 6. Textwiederholungen sind während der Meisterschaften nicht erlaubt. |