So tönte der Freitag am Waldstock in Steinhausen

Wenn es immer politischer wird und zum Schluss eine Party steigt

Sich musikalisch treu geblieben, aber politischer geworden: Bukahara bei ihrem Comeback am Waldstock. (Bild: Chantal Largey)

Waldstock Tag drei in Kürze: Regen, Reeeeegen, Sonne, Wind, Stroh, bewegt, verträumt, apokalyptisch, herzerwärmend, matschig, laut, Party, lauter, aaaaaaaahh!, Feierabend!

Der dritte Waldstocktag beginnt unter einem schlechten Stern. Es regnet, seit Mittag, manchmal in Strömen, der Himmel grau ist verhangen. Auf der Hauptbühne spielen Mata Maka Tribe. Die zwölfköpfige Band hat Heimvorteil. Dementsprechend sind um diese Uhrzeit schon viele Leute auf Platz, sie sind vornehmlich in der gleichen Altersgruppe wie die Band und feiern ihre Kollegen in einer Lautstärke, die sonst meist erst nach Sonnenuntergang hörbar ist.

Die Band, gerüchteweise eher als Jux gegründet, besteht aus diversen jungen MusikerInnen aus der Region, deren Gesichter meist aus anderen Band-Kontexten bekannt sind. Sie spielen eine Mischung aus Roots Reggae, Dancehall und Dub-Music. Sämtliche Reggae-Klischees werden ausgepackt, die Tanzschritte, die Backingvocals, die Texte. Mata Maka Tribe ist eine Band, die sich nicht besonders ernst nimmt, und gerade dadurch eine Stimmung zu produzieren vermag, die ihr Publikum trotz strömendem Regen das Leben geniessen lässt.

Mata Maka Tribe nimmt sich als Band nicht besonders ernst. (Bild: Chantal Largey)

Warum sich Bird mega freute

Als nächstes ist Billie Bird dran. Die Lausanner Sängerin ist eingesprungen, als eine andere Band absagen musste. Sie habe sich im ersten Moment ein bisschen gewundert, dass sie angefragt wurde, erzählt Bird nach dem Konzert. «Als Romandie-Künstlerin werde ich nicht oft gefragt, so weit weg vom Röstigraben zu spielen. Aber ich liebe die Deutschschweiz, darum hab ich mich mega gefreut!«

Der Röstigraben geriet dann auch schnell in Vergessenheit – Billie Birds französischen Texte verstehen sich auch ohne Französisch-Kenntnisse. Ihre Stimme trägt über den Platz und holt die Besucher vor die Bühne, aufgeweckt durch diese Direktheit, durch die simplen Arrangements – zwei Gitarren, manchmal eine Drum-Machine – durch das savoir-vivre-Gefühl, das sich durch das Set zieht.

Was Billie Bird ausdrücken will, versteht sich auch ohne Französisch-Kenntnisse. (Bild: Chantal Largey)

Songs wie «Perdre La Raison» und «Les Déferlantes» zeigten eindrücklich, warum die Musikerin in der Romandie bereits ganz gross ist und, zumindest wenn es nach den Waldstöcklern geht, auch in der Deutschschweiz so schnell wie möglich bekannt werden muss. Weiter ging’s dann mit einem weiteren Schweizer Musiker, der viel bekannter sein müsste, aber eine ganz andere Nische bedient: Stahlberger.

Die Tragik der Schweiz

Den St. Galler Sänger kennt man vielleicht durch seine Auftritte in der Satiresendung «Deville», vielleicht durch seinen Underground-Hit «Rägebogesiedlig». Wer ihn nicht kannte, verbrachte die erste halbe Stunde seines Auftritt zwischen Unglauben und Unverständnis.

Stahlberger, der Mundartpoet, zeichnet sich nicht nur durch seine Texte aus, welche oft die Tragik der Schweizer Agglomeration beschreiben. Sondern auch durch seine Attitüde: trocken, unaufgeregt, unemotional, grenzwertig arrogant. Mit seiner vierköpfigen Band, gekleidet in den obligaten Rollkragenpullover und Sakko, steht Stahlberger auf der Bühne und verlangt vom Publikum, sich in das Dörfchen Schäbikon zu denken, was mehr Fragezeichen als Lust hervorrief.

Die fehlende Pointe lässt ihren Song wirken: Stahlberger. (Bild: Chantal Largey)

Aber Stahlberger ist sich seiner Wirkung sehr bewusst und liess dann mit Hilfe der «Rägebogesiedlig» – inklusive Choreografie – auch am Waldstock den Groschen fallen. Der Aha-Effekt schlängelte sich von der Bühne durch das Publikum nach hinten: Aha, das ist nicht ernst gemeint. Aha, der Song hat keine Pointe, weil genau die fehlende Pointe ihn erst wirken lässt. Aha, diese fast schon apokalyptische Stimmung ist nur die erste Stufe, und dahinter versteckt sich noch so viel mehr.

Die Lieder waren eine bunte Mischung der letzten Alben, elektronischer als auch schon. Das Set, über eine Stunde lang, bildet ein grosse Rampe, der Sog wird immer stärker, auch für die Musiker, man glaubt sich schon fast an einem Punkkonzert zu befinden, als ob jeden Moment das Pogen losgehen würde. Und dann ist es vorbei, und die Fragezeichen kehren zurück in die Gesichter. Dieses Mal aber kombiniert mit Schweiss und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Denn es ist was passiert, nur was genau, das weiss man noch nicht so genau.   

Leben in einem totalitären Staat

Inzwischen ist es dunkel, der Film beginnt. «Raving Iran» ist die Geschichte zweier DJs, die versuchen, trotz den strengen Regeln ihrer Regierung die Rave-Kultur im Iran zu erhalten. Der Film, in persischer Sprache mit deutschen Untertiteln, wurde aus Sicherheitsgründen zu grossen Teilen mit einer Handykamera gedreht. Der Film zeigt einen intimen Einblick in das Leben in einem totalitären Staat und wie die Menschen damit umgehen.

Die Resignation und der Drang nach Freiheit sind in jeder Szene spürbar, die Hauptcharaktere Anoosh und Arash entwickeln sich vor den Augen der Zuschauer von jungen, verträumten Männern zu erwachsenen Menschen, die die Konsequenzen ihrer Handlungen tragen müssen. Der Film endet im Ungewissen – die beiden DJs wurden an die Street Parade in Zürich eingeladen und beschlossen, im Vorfeld in der Schweiz zu bleiben und Asyl zu beantragen.

Eine kurze Internetrecherche verrät: Anoosh und Arash sind immer noch in der Schweiz – ihrem Antrag wurde stattgegeben.

Und dann beginnt die obligate Partyzeit am Waldstock.

Die Party zum Abschluss

Mit Bokito steht eine Band auf der Bühne, die in der Schweiz noch gänzlich unbekannt ist, aber bereits das zweite Mal in Zug spielt. Die irisch-englische Band spielt Musik, die direkt aus dem Herzen Londons kommt. Vielfältig, farbenfroh, international und doch sehr englisch. «We came all the way from London to see you feckers dance!», schreit der Leadsänger ins Mikrofon und zeigt auch gleich, was er mit «dance» meint. Ein exzessiver Hüftschwung, den man selten bei einem Mann sieht, headbangen und Afrobeat-Schritte wechseln sich in schwindelerregendem Tempo ab.

«Wer verfolgt, was im Moment alles abgeht, muss lernen, manchmal auch ‹Nein› zu sagen!»

Soufian Zoghlami, Leadsänger der Bukahara

Gesangsmelodien über mehrere Oktaven, eingängige Gitarrenriffs, Drums, die so laid back spielen, dass man fast das Gleichgewicht verliert: Bokito kam ans Waldstock, um zu feiern – und die Waldstöckler feierten mit. Nun befreit, schütteln sie die schwere Stimmung des vorangegangenen Films ab und tanzen sich warm. Nach knapp einer Stunde ist der Spuk vorbei, und damit war es Zeit, für das eigentliche Highlight vom Freitagabend.

Einen exzessiven Hüftschwung gab der Leadsänger von Bokito zum Besten. (Bild: Chantal Largey).

Eine «Fast-Zuger»-Band aus Köln

Zum Zwanzigjährigen hat das Waldstock beschlossen, eine Band zum zweiten Mal ans Festival zu holen. Aber nicht irgendeine, sondern eine, die während ihren Anfängen bereits zu Gast war, und gerne, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, als «Fast-Zuger»-Band bezeichnet wird: Bukahara.

Seit ihrer Gründung in Köln 2009 legte das Quartett einen steilen Aufstieg hin. In Deutschland sind ausverkaufte Konzerthallen mittlerweile die Norm, ihre Touren führten sie durch ganz Europa und in ihrer Konzertbiografie finden sich Namen wie das Fusion-Festival oder die Philharmonie Köln.

Und was hat das nun mit Zug zu tun? Nun mit Avi Schneider (Violine, Gesang, Mandoline) spielt einer mit, der seine Anfänge wenige hundert Meter vom Gelände entfernt in Baar gemacht hat. Die Zuger haben viel Platz in ihrem Herz für Bukahara: die Texte werden lauthals mitgesungen, es wird geschunkelt und mit den Händen geschwenkt. Ein bisschen Stolz schwingt da sicher auch mit. Es passiert selten, dass ein Zuger so erfolgreich im Ausland ist, das gehört also gefeiert.

Mit Bukahara geht am Waldstock am Freitagabend die ultimative Party los (Bild: Chantal Largey).

Musikalisch sind sich Bukahara immer treu geblieben. Mit Violine, Gitarre, Kontrabass, Mandoline, Schlagzeug, Posaune und Sousaphon spielen sie Neofolk und Weltmusik, orientalisch angehaucht. «Wir sind politischer geworden», sagt Leadsänger Soufian Zoghlami ins Mikrofon. «Wer verfolgt, was im Moment alles abgeht, muss lernen, manchmal auch ‹Nein› zu sagen!»

Doch so politisch ihr Programm auch geworden ist, so leicht ist ihre Message geblieben. Das ausverkaufte Waldstock drängt sich vor die Bühne und auch als das Konzert zu Ende ist, bleibt es stehen. Zu lange hat man auf ein Konzert von Bukahara gewartet, da reicht eine Zugabe längstens nicht.

Die Musiker kommen dem gerne nach und spielen weiter und weiter, bis dann halt irgendwann die Konzertbewilligung aufgebraucht ist. «Keine Sorge, wir bleiben und feiern mit euch weiter!», schallt es von der Bühne, und wer sich an das letzte Konzert von vor sieben Jahren erinnern mag, der weiss: So wird es sein!

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