Zuger Projekt zur Kulturförderung

Wenn der Pianist im Brautmodegeschäft komponiert

Setzen sich für Zuger Kultur und Läden ein: Iris Weder (l.) und Regula Kaiser (Bild: mfl)

Die Slampoetin textet in der Apotheke. Eine Theatergruppe übt im Spielwarenladen. Die Stadt Zug will Künstlerinnen nächsten Sommer mit dem Pilotversuch «Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt» in Läden Bühnen bieten.

«Wow, dass ihr so etwas auf die Beine stellt!» Iris Weders Augen leuchten angesichts der ersten Reaktionen auf ihr gemeinsam mit Regula Kaiser erarbeitetes Projekt. Die Leiterin der Abteilung Kultur der Stadt Zug hat in der Beauftragten für Stadtentwicklung und Stadtmarketing eine Verbündete gefunden.

Mit dem Pilotversuch «Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt» lanciert die Stadt Zug einen Wettbewerb für Co-Working von Künstlern mit Detaillistinnen in den Läden. Mit von der Partie ist die Vereinigung Pro Zug mit über 300 Läden. Das Projekt ist der Versuch, Detailhandel, Künstler und die breite Öffentlichkeit in der Zuger Innenstadt zusammenzubringen. Die Stadt Zug betritt damit Neuland: Sie kann sich dabei nicht auf eine andernorts erprobte Praxis abstützen.

Wettbewerb für acht bis zehn Siegerprojekte

Die Idee: Detaillisten stellen Künstlerinnen während der Öffnungszeiten kostenlos Arbeitsflächen in ihren Ladenlokalen zur Verfügung. Im Gegenzug gewähren diese der Laufkundschaft einen Blick über die Schulter. Dafür sollen sie einen Beitrag von der Stadt und von Förderstiftungen erhalten.

Laut Iris Weder will dieses Projekt aktuell bereits die Stiftung Landis&Gyr mit unterstützen. Darüber hinaus stehen Zusagen von weiteren Stiftungen in der Pipeline. Doch die mit bis zu 12'000 Franken bezahlte öffentliche Kulturarbeit im Ladenatelier erhalten die Künstler nicht auf dem Silbertablett. Um die gewünschte Qualität für die Zielvorgabe von acht bis zehn Tandems zu erreichen, soll der Wettbewerb spielen.

Ab sofort können Künstlerinnen und Detailhändler miteinander in Kontakt treten und gegenseitige Erwartungen abklären. Den Wettbewerb will die Stadt noch in der ersten Dezemberhälfte ausschreiben. Wer eine Mitstreiterin sucht, ist eingeladen, am 18. Januar das offene Speeddating im Burgbachsaal zu besuchen.

Künstler zeigen 100 Stunden Präsenz in der Zuger Innenstadt

Bis spätestens 26. März sind die Tandems in der Folge aufgefordert, gemeinsam mit den Ladenbesitzern ihrer Wahl konkret ausgearbeitete Projektvorschläge mit gegenseitiger vertraglicher Zusicherung einzureichen. Zugelassen sind professionelle Kunstschaffende mit Bezug zu Stadt oder Kanton Zug. Die breit abgestützte Jurierung ist auf den 25. April angesetzt. Mitte Juni bis Anfang Juli 2023 erfolgt die Umsetzung.

Mindestens 60-100 Stunden sollen die Kulturschaffenden publikumswirksam in den Läden arbeiten. Fixpunkt sind zwei festgelegte Nachmittage in der Woche. Damit ist sichergestellt, dass die an der Kunst interessierte Laufkundschaft zu bestimmten Zeiten auch jemanden beim Arbeiten antrifft.

Ein Geben und Nehmen von beiden Seiten

Das Tandem-Projekt verspricht einen mehrfachen Nutzen. Die Läden profitieren davon, dass ihre Tandempartner aus der Kulturszene Kundinnen anziehen. Mit positiven Effekten auf Kundenbindung und Verkauf. Die Kunstschaffenden erhalten im Gegenzug die Möglichkeit, das Publikum an ihrem kreativen Prozess teilhaben zu lassen.

Für sie, die oft im stillen Kämmerlein vor sich hinwerkeln, ist das ungewohnt. Iris Weder weist darauf hin, dass sie in der Regel auch nicht Zwischenstände, sondern nur Endresultate präsentieren. Was zur Folge hat, dass die realisierte Kunst nach langem Schaffensprozess oft nur kurz aufgeführt oder zugänglich gemacht wird. Für die Künstlerinnen wie auch das Publikum sieht sie eine zusätzliche Chance, über eine längere Zeit miteinander in Verbindung zu bleiben.

Regula Kaiser vom Stadtmarketing ist gespannt, wie die Künstler mit dieser neuen Möglichkeit umgehen. «Nicht das Präsentieren, sondern das Kreieren und Arbeiten steht im Vordergrund. Doch soll die Kundschaft nicht nur zuschauen, sondern auch Fragen stellen können.»

Innovativer Ansatz mit grossem Lernpotenzial

Kaiser freut sich auf den nächsten Sommer. Sie kann sich vorstellen, dass das Projekt Eventcharakter erhält. Auf Wunsch eventuell mit Gruppenführungen. Dass bezüglich Umsetzung noch nicht alles bis ins Detail geklärt ist, liegt in der Natur der Sache. Als Pionier-Pilotprojekt hat das «Tandem Kulturraum Innenstadt» den Charakter eines Experiments.

«Wir betreten Neuland und wollen mit diesem Projekt bewusst viel lernen.»

Iris Weder, Leiterin Abteilung Kultur der Stadt Zug

Iris Weder ist sich der erwartbaren Unwägbarkeiten bewusst: «Wir betreten Neuland und wollen mit diesem Projekt ganz bewusst sehr viel lernen.» Deswegen sei vorgesehen, die Projektphasen stetig zu reflektieren. Dazu gehört auch das Festhalten der Learnings und das Auswerten der Resultate.

Aktiv agieren und beleben statt zur Not nur reagieren

«Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt» setzt grundlegend neu an. Bis anhin reagieren die Behörden in vielen Orten bloss auf das grassierende Ladensterben in den Innenstädten. Stehen Ladenlokale leer, stellen sie diese temporär Kulturschaffenden zur Verfügung.

Erreicht ist damit nichts. Denn mit dem Eingehen des Ladens erlischt ein Stück Stadtleben und wird nicht wieder neu entfacht. Oft bleibt die Ladenfläche dauerhaft verwaist. Eine publikumswirksame Wiederbelebung des Standorts ist die temporäre Raumnutzung für Kulturschaffende im seltensten Fall.

Das macht das Gemeinschaftsprojekt zwischen Kulturabteilung, Stadtmarketing und dem Verein Pro Zug mit 300 Detaillisten aus. Iris Weder dazu: «Indem wir Kulturschaffende frühzeitig in die Läden der Innenstadt bringen, schaffen wir ein lebendiges Umfeld und hoffen damit, dass die Läden weiterhin existieren können.»

«Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt» bringt neue Impulse

Das Projekt «Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt» unternimmt damit den Versuch, aus zwei Notständen einen Nutzen für die Innenstadt und die Kultur zu ziehen. Einerseits bietet es eine kreative Antwort auf den Mangel an bezahlbaren Arbeitsräumen für Kulturschaffende. Andererseits vermittelt es Ladenbesitzern mit schwindender Laufkundschaft neue Impulse.

«Für die strukturellen Ladenprobleme sind ganzheitliche Lösungsansätze über das Absatzdenken hinaus gefragt.»

Regula Kaiser, Verantwortliche Zuger Stadtmarketing

Wie Regula Kaiser in den mit den Detaillisten gemeinsam durchgeführten Workshops für Massnahmen gegen Ladensterben festgestellt hat, müssen viele aus der Branche ein neues Verständnis entwickeln (zentralplus berichtete). «Die aktuellen Ladenprobleme in den Innenstädten sind struktureller Natur. Daher sind ganzheitliche Lösungsansätze gefragt, die über das reine Absatzdenken hinausgehen.»

Beispielhafte Pionierarbeit für andere Städte

Trotz der umfangreichen konzeptionellen Vorarbeit: Was dieses Tandemprojekt für die Stadtzuger Kultur und die in der Innenstadt angesiedelten Geschäfte auslöst, ist offen.

«Wenn unser Projekt andernorts aufgegriffen und kopiert würde, wäre das für uns die schönste Bestätigung.»

Iris Weder, Leiterin Abteilung Kultur der Stadt Zug

Iris Weder ist aufgrund positiver erster Reaktionen aus dem Kulturbereich guten Mutes: «Ich bin überzeugt, dass unser Projekt Wirkung zeigt. Wir wollen damit auch für andere Städte Pionierarbeit leisten. Wenn es andernorts aufgegriffen und kopiert würde, wäre das für uns die schönste Bestätigung.»

Verwendete Quellen
  • Konzept «Tandem Kulturraum Zuger Innenstadt»
  • Persönliches Gespräch mit Regula Kaiser und Iris Weder
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