Professionalisierung des Luzerner Laientheaters

«Wenn das noch Laien sind, dann…»

Bei der Theatergruppe «Aeternam» - hier mit der letzjährigen Produktion «Hier und Jetzt» - sind sich die Besucher sicher, dass sie bei einer professionellen Theatertruppe gelandet sind. Das musste sich jedoch erst entwickeln. (Bild: Mik Matter)

Auf Luzerns Theaterbühnen geben nicht nur die Profis alles, sondern auch Amateure. Und Letztere sind nicht nur beliebt, sondern auch zunehmend erfolgreich. Hinter den steigenden Publikumszahlen der Laienbühnen stecken aber auch immer öfters Profi-Regisseure. Und damit nicht genug: Einige Gruppen gehen bei der Professionalisierung noch weiter.

Wenn die Mutter Kostüme näht, der Bruder am Bühnenbild mitbaut oder eine gute Freundin auf der Bühne steht, dann schaut man sich die Theaterproduktion an. Viel eher doch, als dass man sich schick im Stadttheater den neuen Shakespeare ansieht. Ein grosser Vorteil der Laienbühnen ist ihre tiefe Verankerung in der Bevölkerung: Verwandte und Bekannte schauen sich die Produktionen an.

Doch verallgemeinern kann man in dieser Szene auf keinen Fall. Laientheater hat viele Gesichter: Vom Schwank, inszeniert durch den Dorflehrer, aufgeführt in der Mehrzweckanlage – das Publikum auf Festbänken sitzend, an welchen man während des Stücks auch gleich durch den Turnverein verpflegt wird, bis hin zum anspruchsvollen, modernen Stück, welches mit professionellem Team und erfahrenen Darstellern im eigenen Theatergebäude aufgeführt wird.

Das Laientheater ist weit verbreitet und gerade in der Innerschweiz gesellschaftlich stark verankert. In der Hälfte der Zentralschweizer Kantone gibt es sogar mehr Theatergesellschaften als Gemeinden. Aus dem Kanton Luzern sind 47 Theatervereine beim Regionalverband Zentralschweizer Volkstheater (RZV) eingetragen. Doch Steve Volkart, Präsident des RZV, gibt zu bedenken: «Es gibt nebst diesen Vereinen, die unserem Verband angeschlossen sind, viele weitere, die nicht Mitglied sind.» Wieviele das genau sind, ist Volkart jedoch nicht bekannt.

Grösste Theaterdichte der Welt

Was Volkart jedoch bekannt ist, ist die Aussage, dass in der Zentralschweiz, weltweit verglichen, am meisten Menschen in irgendeiner Form an Theaterproduktionen mitarbeiten. Die grösste Theaterdichte auf der ganzen Welt soll die Zentralschweiz also haben. «Das Theater in der Innerschweiz war und ist die Domäne engagierter Laien», betont auch Heidy Greco, Dozentin am Insitut für Theaterwissenschaft in Bern.

Nicht umsonst steht explizit das Zentralschweizer Volkstheater auf der Liste, um als UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Kulturerbe oder nicht, das Laientheater entwickelt sich auch stetig weiter. Die Anzahl der Mitglieder bleibt, mit kleineren Schwankungen, seit Langem auf dem gleichen Niveau.

Ständige Professionalisierung

Die Szene zeichnet sich aber nicht nur durch Quantität, sondern auch durch Qualität aus. In vielen Dörfern und Städten spielen hervorragende Gruppen und Vereine, deren Produktionen auch über die Dorfgemeinschaft hinaus Beachtung finden.

«Wir haben einige Leuchttürme in der Zentralschweiz, die weit über die Kantonsgrenzen hinaus strahlen», betont die Luzerner Regisseurin Annette Windlin. Die Tellspiele, das Einsiedler Welttheater oder die Luzerner Freilichtspiele nennt sie dabei. «Die Tradition dieser grossen Laienproduktionen gibt vielen anderen Gruppen das Selbstvertrauen, dass solche Projekte nicht unmöglich sind – auch finanziell gesehen.»

«Im Vergleich mit anderne Orten sind die Zentralschweizer Laientheater sehr ambitioniert.»
Annette Windlin, Regisseurin

Geprägt ist die Zentralschweizer Theatertradition auch von der katholischen Kultur, erklärt Theaterautorin Gisela Widmer. «Der Katholizismus in seiner barocken Fülle und mit seinen Ritualen ist die <Religion des Auges>, also sehr theatral und sehr zentralschweizerisch.» Religiöse Festspiele wurden schon in der Frühen Neuzeit im grossen Stil aufgeführt. Heute besteht ein vielfältiges Neben- und Miteinander verschiedener Sparten wie dem Volksschwank, dem Freilichtspiel, dem Fasnachtsspiel, dem Operettentheater oder dem anspruchsvollen Amateurtheater.

Profis im Hintergrund

Früher sei ihr die Qualität der lokalen Laientheater nicht so bewusst gewesen, sagt Annette Windlin: «Aber im Vergleich mit anderen Orten sind die Zentralschweizer Laientheater sehr ambitioniert.» Durch die lange Tradition der Laientheater in der Zentralschweiz sei es eine gewachsene Grösse, so Windlin. Gewachsen heisst, es hat eine starke Veränderung innerhalb der Tradition stattgefunden, eine stetige Professionalisierung der Theatergruppen.

«Viele Theatergruppen spielen auf sehr hohem Niveau», sagt Steve Volkart, Präsident des Regionalverbandes Zentralschweizer Volkstheater (RZV). Immer mehr sei auch bei kleineren Dorftheatern das Interesse an einer künstlerischen Weiterentwicklung spürbar, erklärt Windlin. «Man will besser werden, Fortschritte machen, neue Ästhetiken ausprobieren.» Das sei grossartig. «Die Entwicklung, dass bei Laiengruppen die künstlerische Leitung aus Profis besteht, hat einen enormen Schub ausgelöst», erklärt Windlin. Die Luzerner Spielleute, das Voralpentheater, oder die Theatergesellschaft Willisau kann man hier als Beispiele nennen.

Auch in den weniger ambitionierten Gruppen findet oftmals eine Professionalisierung des künstlerischen Teams statt. Viele Gruppen spielen mittlerweile unter professioneller Regie. Die Leitung der weiteren künstlerischen Chargen wie Maske, Bühnenbild und Kostüme, wird oft ebenfalls von Profis geleitet. Der Laie ist demnach nur noch der Darsteller. Das heisst konkret, dass der Spieler seinen Lebensunterhalt aus einem theaterfernen Beruf bestreitet. Über die Ausbildung und Qualität des Spielers sage das jedoch kaum etwas aus, so Volkart.

«Die Zusammenarbeit von Profis mit Laien wird die Regel.»
Heidy Greco, Dozentin am Insitut für Theaterwissenschaft Bern

Gerade bei langjährigen Spielern kann das Niveau dem eines Profis sehr nahe kommen. «Die Grenzen zwischen Berufsbühnen und semiprofessionellen Laientheaterensembles verschwischen sich zunehmend», erklärt Greco und ergänzt: «Die Zusammenarbeit von Profis mit Laien wird die Regel.» Und das führe wiederum zu einer motivierenden Erwartung an die spielerische Leistung.

Und selbstverständlich gäbe es auch Gruppen, die eine Professionalisierung nicht suchen, so Windlin. Dabei unterscheiden sich die Ansprüche grundsätzlich. Wollen die Einen lustige Abende für die Bekannten, so konzentrieren sich die Anderen auf eine künstlerische Qualität und Entwicklung der Gruppe. «Es geht hier immer auch um die Frage: Für wen will ich spielen?», erklärt die Regisseurin. Nur für die Dorfgemeinschaft, oder wolle man weiter ausstrahlen.

Ein Vorteil, den das Laientheater dem Professionellen gegenüber habe, sei aber genau auch seine soziale Funktion, so Gisela Widmer. «Darauf sollten die professionellen Bühnen ihr Augenmerk werfen; dass sie wieder zu einem städtischen Treffpunkt werden, zu einem Ort des sozialen, aber auch kulturellen und politischen Austauschs und der Debatte.»

Vom Amateur zum anerkannten Profi

Wohin die Professionalisierung führen kann, zeigt sich am Beispiel des Theater Aeternam in Luzern. Die freie Theatergruppe hat seit der Gründung 1994 in jedem Jahr eine Produktion auf die Bühne gebracht. Das Ensemble bestand am Anfang zum grossen Teil aus Amateuren. Doch die Spieler haben sich berufsbegleitend in Schauspiel und anderen Bereichen der Theaterarbeit ausgebildet.

«Ich weiss von Gruppen, die mit einem sechsstelligen Budget arbeiten.»
Steve Volkart, Präsident des RZV

Über die Jahre hat die Arbeit des Theaters Aeternam eine Professionalität erreicht, die mit vielen anderen Gruppen im Bereich Laientheater nicht mehr zu vergleichen ist. Die Darsteller sind mittlerweile auch als Theaterschaffende beim Berufsverband aufgenommen. Ein Sonderfall, so Volkart. «Wenn man diese Gruppe auf der Bühne sieht, dann ist klar: Wenn das noch Laien sind, dann stimmt etwas nicht.» Er sei beeindruckt, wenn sich solche Entwicklungen zeigen. «Es ist sensationell. Ich bin immer wieder begeistert.»

Professioneller ist auch teurer

Mit der Professionalisierung kommt jedoch auch ein grösserer finanzieller Aufwand. «Ich weiss von Gruppen, die mit einem sechsstelligen Budget arbeiten», so Volkart. Da mache er sich schon etwas Sorgen. Die Dimensionen seien für ein kleines Vereinstheater manchmal heikel. Einige Theaterproduktionen rechnen teilweise jährlich mit über 10’000 Besuchern. Und mit den Investitionen steigt auch der Druck, die geplante Auslastung sicher zu erreichen.

Es scheint sich jedoch um eine längerfristige Entwicklung zu handeln, die nicht nur mit einem grösseren Budget einhergeht, sondern auch mit einer Verwischung der Grenzen zwischen Profi- und Laientheater. Annette Windlin findet deshalb: «Ich wünsche mir, dass Laienspieler sich mehr auch professionelles Theater anschauen. Als Inspiration sollte man sich immer wieder auch Anderes ansehen.»

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